„Ich habe Lust auf Sesamkringel," sagte Nikos, als sie gegen Mittag aufwachten. Sesamkringel und Nescafé auf der Dachterrasse, das war so ungefähr das Schönste, was er sich an diesem warmen Junimorgen vorstellen konnte.
„Ich gehe und hole welche. Wir treffen uns dann oben," meinte Tom und rannte los. Unrasiert, ungeduscht und ungekämmt sprang er immer zwei Stufen auf einmal hinunter. An ihrem Lieblingsgyrosstand herrschte schon Hochbetrieb, während der Bäcker fast ausverkauft war. Aber Sesamkringel gab es noch. Träumend schlenderte er zurück zu der Treppe.
„Hallo Tom," riss ihn Melinda aus seinen streunenden Gedanken.
„Hallo," antwortete Tom mechanisch. Eiskalte Glasperlchen liefen seine Wirbelsäule herunter. „Hallo," wiederholte er und versuchte, sich zu konzentrieren. Hatte er ihren Namen eigentlich vor gestern Abend gewusst? Sicher ist sicher, dachte er und fragte sie:
„Wie heißen Sie noch mal?"
„Seit wann so förmlich? Melinda. Na, schönen Urlaub gehabt?"
„Danke, Paris ist toll."
„Ach, in Paris warst Du? Wir wollen doch beim Du bleiben."
„Ich will bei gar nichts bleiben. Ist ja wohl kein Zufall, dass wir uns hier treffen. Was wollen Sie von mir?"
Tom war einfach ärgerlich, dass sich der Dreiklang aus Dachterrasse, Sesamkringeln und Nescafé verzögerte. Er hatte keine Zeit für übertriebene Höflichkeit. Sie bemerkte seine abwehrende Haltung. Vorsicht war geboten.
„Ich wollte Dich fragen, ob Du Zeit hättest, mit mir über ein kleines Geschäft zu sprechen. Ich hätte ein ziemlich lukratives Angebot für Dich."
„Ich habe keine Lust auf Rätselraten. Sagen Sie einfach, was Sie wollen, ich sage ja oder nein, und gut ist es."
„Man kann doch nicht mitten auf der Straße über Geschäfte reden. Darf ich Dich zum Mittagessen einladen?"
„Nein, ich werde erwartet. Um was geht's denn?"
„Heute Abend? Um neun in der Plaka? Ich zahle."
„Nein. Kommen Sie in zwei Stunden ins Hotel da oben. Wir können uns auf der Terrasse unterhalten. Sie haben 15 Minuten."
Sie schäumte innerlich. Dieser Bengel zog sie am Nasenring durch die Manege. So als sei er vorgewarnt. Ahnte er etwas? Steckte Martin doch mit ihm unter einer Decke? Sie würde es in zwei Stunden wissen.
„Na gut. Halb drei. Hoffentlich hast Du dann bessere Laune."
„Sobald Sie wieder weg sind, ganz bestimmt."
„Kannst Du mir mal sagen, warum Du so garstig bist? Beim letzten Mal warst Du ganz zufrieden mit mir."
„Beim letzten Mal wäre ich mit jedem Esel oder jeder Ziege zufrieden gewesen. Können wir bitte beim „Sie" bleiben?"
Melinda reagierte nicht auf seine Unverschämtheiten, und das bereitete ihm Sorgen. Wer sich widerspruchslos derlei Frechheiten gefallen ließ, hatte ein echtes Anliegen. Oder ein Druckmittel. Oder beides. Als hätte sie seine Gedanken gelesen, erhob sie vorsichtig Einspruch:
„Wenn es Ihnen dann besser geht. Das mit den Tieren wäre nun aber nicht nötig gewesen. Sowas sagt man nicht zu einer Frau, mit der man freiwillig geschlafen hat. Grüßen Sie Ihren Freund von mir. Den mit dem Mustang," sagte sie spitz, drehte sich um und stöckelte von dannen. „Nein," tadelte sich Tom selbst, „das tut man wirklich nicht. Entschuldigung, Melinda," formulierten seine Gedanken und schickten gleich hinterher, „laut sagen tust Du das aber nicht!"
DU LIEST GERADE
Die richtigen Leute Band 6: Blutrünstige Bestien
Historical FictionIm 6. Band meiner Reihe „Die richtigen Leute" erleben Tom und seine Freunde während eines Besuchs am Suezkanal und in Ismailia die brutalen Auswirkungen des Nahostkrieges. Auf einer Autofahrt von Kairo zur libyschen Grenze geraten sie in eine Ausein...