„Sollte das ein Zufall sein?" dachte Tom. „Wohl kaum," beantwortete er sich seine Frage selbst - dem Geheimdienst, und besonders Oberst Al-Numeiri, würde ein solcher Zufall nicht unterlaufen. Leutnant Shukri baute sich vor dem Oberstleutnant auf und machte Meldung, woraufhin der sich an Tom wandte und ihn auf Englisch bat:
„Herr Major, würden Sie mir Ihre Begleiter vorstellen?"Tom führte ihn entlang der geordneten Reihe und nannte ihm Namen und Nationalität seiner Freunde. Ein gewisser ägyptischer Rekrut stand wie ein Häufchen Elend ganz am Ende der Reihe.
„Meinen Freund Khaled kennen Sie vermutlich, Herr Oberstleutnant. Er wollte unbedingt mitkommen, weil er etwas sehr Wichtiges mit Ihnen besprechen will."
Khaled nahm Haltung an und grüßte seinen Vater militärisch, der ihm die Hand schüttelte. Tom konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass auch der Vater von dem Zusammentreffen mit seinem Sohn überrascht war denn er wirkte verunsichert. Tatsächlich gingen dem Oberstleutnant ähnliche Gedanken durch den Kopf wie Tom: Warum schickte Al-Numeiri seinen Sohn mit, ohne ihn vorzuwarnen? Sollte sich Khaled mit dem Geheimdienst eingelassen haben? Er schob die Fragen einstweilen beiseite und sagte:
„Bitte setzen Sie sich. Die Plätze mit den Uniformen sind für die Zivilisten. Sie werden sie gleich alle anziehen. Die Israelis haben gute Kameras! Sie müssen immer die Helme tragen, und nehmen Sie die Sonnenbrillen nicht ab, damit Sie als ägyptische und libysche Soldaten durchgehen."
Er gab ihnen noch eine ganze Reihe von Verhaltensregeln und wies sie darauf hin, dass sie seinen Befehlen unbedingt gehorchen müssten, solange er die Verantwortung für sie trug.
„Ich zeige Ihnen jetzt unsere Route. Wir fahren von hier aus," er zeigte mit einem Stab auf ihren Ausgangspunkt, „westlich an Ismailia vorbei, dann am nördlichen Stadtrand nach Osten zu einem Beobachtungspunkt am Kanal, der auch von der UNO genutzt wird. Ich werde Sie dort über die aktuelle Lage unterrichten. Dann fahren wir zum UNO-Hauptquartier in Ismailia, wo Sie ein kurzes Gespräch mit einem UNO-Mitarbeiter führen können. Von dort aus geht es ans Nordende des Großen Bittersees. Sie setzen mit einem Schnellboot der Armee zur Münsterland über und können eine halbe Stunde dort bleiben. Von Abu Sultan aus fahren wir dann wieder hierher. Unser Zeitplan ist eng. Sie müssen bei Sonnenuntergang das Schiff verlassen, dann sind wir gegen zehn Uhr wieder hier."
Die Zivilisten gingen in das Nachbarzelt und zogen sich um. Khaled, der Toms Wink mit dem Zaunpfahl verstanden hatte, nutzte die Pause, um mit seinem Vater über seine Zukunft zu sprechen. Er erzählte, wie er Tom und seine Freunde kennengelernt hatte. Sein Vater hörte aufmerksam zu, als Khaled vorsichtig seinen Plan ausbreitete, nach Libyen zu gehen. Sein Vater unterbrach ihn immer noch nicht. So geduldig kannte Khaled ihn noch gar nicht. Schließlich beichtete er seinem Vater, dass er schon in zwei Tagen mit Tom und Nikos nach Libyen fahren würde.
Das war es also, dachte der Oberstleutnant. Sein Sohn reiste offenbar im Auftrag des Geheimdienstes. Al-Numeiri hatte erwähnt, dass Tom und Nikos einen persönlichen Auftrag für ihn ausführen sollten. Anscheinend war sein Sohn, wie auch immer, daran beteiligt. Und ganz offensichtlich hatte man ihm verboten, darüber zu sprechen. Er verstand das. Er war lange genug Offizier, und lange genug hatte er beste Verbindungen zu einem bestimmten Teil des Geheimdienstes. Das oberste Gebot war: nicht drüber reden! Es war ihm zwar schleierhaft, wie Al-Numeiri gerade auf Khaled gekommen war, aber wie so vieles würde auch das ein Geheimnis des Mukhabarat bleiben, schätzte er.
„Mein Sohn, ich bin stolz auf Dich," sagte er, „dass Du Dich auf so eine wichtige Mission begibst. Ich wünsche Dir Allahs Segen. Weißt Du denn, wie lange Du in Libyen bleiben wirst?"
„Nein. Es könnten ein paar Jahre werden. Ich danke Dir für die guten Wünsche und auch dafür, dass Du mich nicht aufzuhalten versuchst. Ich habe noch eine große Bitte."
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Die richtigen Leute Band 6: Blutrünstige Bestien
Historical FictionIm 6. Band meiner Reihe „Die richtigen Leute" erleben Tom und seine Freunde während eines Besuchs am Suezkanal und in Ismailia die brutalen Auswirkungen des Nahostkrieges. Auf einer Autofahrt von Kairo zur libyschen Grenze geraten sie in eine Ausein...