27 Richtig Urlaub

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Die Fahrt in den Süden der Insel war wieder ein Abenteuer, denn die Straße war noch schlechter als vor Jahren. An mehreren Stellen war sie nur noch halb so breit, weil ein Teil der Fahrbahn ins Tal gestürzt war. Toms Vater machte drei Kreuze, als sie endlich in der Küstenebene ankamen, was allerdings etwas voreilig war.

Sie besichtigten in aller Ruhe die Gesetzestafeln von Gortyn, aber dann ging es auf einer noch schlechteren Straße weiter, die gefährlich hoch oberhalb einer malerischen Bucht entlang der Felsen verlief, um dann in engen Kurven nach Agia Galini hinunterzuführen. Als der Ort sichtbar wurde, hielten sie an und stiegen aus.

„Eure Freunde haben nicht zu viel versprochen," kommentierte Toms Vater. Der kleine Ort aus schneeweißen Häusern klebte unter ihnen an den steilen, zerklüfteten Hängen in einer Bucht, die einen natürlichen Hafen bildete, der durch eine kurze Mole zusätzlich geschützt war. Ein paar Fischerboote waren dort festgemacht. Tom überschlug die Zahl der Häuser - es mochten vielleicht 40 sein. An der steilen Dorfstraße gab es einen kleinen Laden, am Hafen zwei Tavernen, und in einer der beiden Gässchen des Ortes eine Bar, aus der Rockmusik tönte.

Bis sie an dem Haus des Fischers am Ende des Hafens in der ersten Reihe ankamen, war ihnen nur ein Junge auf einem Fahrrad begegnet. Die Menschen schienen alle Siesta zu halten. Allerdings war ihnen die ganze Zeit ein Hund gefolgt, der laut kläffend versuchte, in ihre Reifen zu beißen.

Der Fischer und seine Frau hießen sie willkommen und zeigten ihnen das Haus, in dem sie die nächsten Tage wohnen würden. Es gab zwar nur zwei Zimmer mit je einem Doppel- und einem Einzelbett, aber das würde schon reichen, meinten sie.

Tom fragte nach einer Unterkunft für seine Eltern. Es gab kein Hotel, nur ein paar Privatzimmer. Der Fischer bestand darauf, dass Toms Eltern in seinem Haus wohnen sollten, denn das Zimmer seiner Söhne stände leer. Die ganze Gruppe wurde auch zum Essen eingeladen und revanchierte sich, indem sie ihre Gastgeber für den nächsten Abend in eine Taverne einluden.

Den restlichen Nachmittag verbrachten sie an dem Strand in der Nähe ihrer Unterkunft, und als sie mit ihrem Training anfingen, versammelte sich die Dorfjugend und sah ihnen zu. Das waren allerdings erschreckend wenige, vielleicht zehn Kinder und Jugendliche. Alle anderen gingen in entfernten Orten zur Schule und kamen, wenn überhaupt, nur am Wochenende her.

Toms Eltern legten sich etwas abseits in den heißen Sand.

„Wenn wir zuhause erzählen, was wir hier erleben, glaubt uns keiner. Bei einem Fischer wohnen, wie 1959 an der Ostsee," sinnierte Tom Mutter.

„Lass uns lieber nicht so viel erzählen," meinte ihr Gatte.

„Ich verstehe allmählich, warum unser Tom dauernd herfliegt."

„Ich auch. Es ist verrückt. Hätten wir gewusst, was hier abläuft, hätten wir es ihm verboten. Ich möchte nicht wissen, wie er seine Energie dann rausgelassen hätte."

„Ich habe nicht gewusst, dass er so viel Energie hat. Wir haben überhaupt ziemlich wenig gewusst," stellte Toms Mutter fest.

„Gottseidank," seufzte sein Vater.

Nach dem Abendessen saßen alle auf der Kaimauer und ließen sich den Wind um sie Nase wehen.

„Könnt Ihr's riechen?" fragte Ahmed.

„Was riechen?" fragte Tom zurück.

„Der Wind kommt aus der Wüste, aus Libyen," lächelte Ahmed. „Das ist von hier aus nicht weiter entfernt als Athen, ungefähr 300 Kilometer."

„Hast Du nun doch Heimweh?"

„Nein. Ich meine, ich freue mich schon, wieder nach Tripolis zu kommen, und besonders auf Nesreen. Aber bei Euch ist es toll. Bitte kommt mich alle besuchen, wenn ich wieder zuhause bin."

Die richtigen Leute Band 6: Blutrünstige BestienWo Geschichten leben. Entdecke jetzt