„Ich habe genau mitgezählt. Sie sind alle wieder weggefahren," flüsterte der eine Stasi-Mann zum anderen.
„Wahrscheinlich essen sie irgendwo. Das machen wir jetzt auch. In zwei Stunden sind wir wieder hier, vorher werden die nicht wiederkommen."
Die beiden ostdeutschen „Handelsbevollmächtigten" gingen in die Stadt hinunter, kauften sich Gyros und setzten sich auf eine Marmormauer am Omoniaplatz, die den Bürgersteig vor einer Bank von den Fahrbahnen trennte.
„Hier müsste man mal Urlaub machen," seufzte der eine. „Richtig was los. Diese Straßenkreuzer. Schöne Autos baut der Klassenfeind."
„Wir können ja einfach ein bisschen länger bleiben," schlug sein Kolege vor.
„Lieber nicht. Das ist mein erstes Mal im Westen. Es soll nicht mein letztes sein."
Um zehn nahmen sie ihren Beobachtungsposten im Strefipark wieder ein. Zwei langhaarige, heruntergekommene Männer kamen zu ihnen und sprachen sie auf Griechisch an. Es klang aggressiv. Der größere der Ostdeutschen zog eine Pistole, die er unter seinem Jackett versteckt hatte und zielte auf die beiden Drogenabhängigen:
„Verschwindet!"
Die Junkies verstanden kein Deutsch, aber sie gehorchten auf der Stelle.
Zwei lange Stunden mussten die Geheimagenten noch warten, dann grollte der Mustang den Weg herauf. Nikos und Tom stiegen aus, schlossen das Cabriodach und gingen die Treppe hinunter. Die Männer unter der Pinie warteten zwanzig Minuten, dann schlichen sie nach unten.
Das Schloss der Hoftür ließ sich mit einem einfachen Dietrich knacken, das hatten sie überprüft. Sie öffneten die Holztür zentimeterweise, um zu verhindern, dass sie quietschte. Als sie sie gerade wieder geschlossen hatten, kam jemand aus einem der drei Zimmer. Sie drückten sich in den Schatten des Klohäuschens. Jemand benutzte die Toilette und ging wieder zurück. Die ostdeutschen Agenten registrierten, dass die Tür nicht abgeschlossen wurde.
Sie warteten einen Moment, dann pirschten sie sich an die Zimmertür heran. Drinnen brannte Licht, aber sehen konnten sie nichts, denn die Vorhänge waren zugezogen. Der Kleinere zählte mit seinen Fingern, und bei „drei" stürmte der Größere mit gezückter Pistole in das Zimmer. Die beiden Männer in dem Doppelbett unterbrachen ihre Beschäftigung nicht.
***
Tom rief:
„Hau ab, Phil!"
„Ähm, wir wollen ja nicht stören, aber könntet Ihr mal eine Pause machen?"
Tom und Nikos schreckten hoch. An ihrem Bett stand ein großer, kräftiger Mann, Anfang zwanzig, leichter grauer Anzug, blonde Haare, grau-blaue Augen. Seine Pistole war auf Toms Kopf gerichtet. Im Türrahmen waren die Umrisse eines zweiten, kleineren, ebenfalls blonden Mannes im Schatten zu ahnen, der anscheinend unbewaffnet war.
„Wir müssen uns mal unterhalten," sagte der Mann am Bett.
„Ich rede nicht mit Leuten, die mit Pistolen herumfuchteln," beschied ihn Tom, zog Nikos an sich und küsste ihn.
„Das sind Ostdeutsche. Dialekt," flüsterte er ihm ins Ohr. Der Mann an der Tür musste ein Grinsen unterdrücken. Der andere ergriff die Bettdecke und zog sie mit einem Ruck herunter.
„Du bist lästig," beschwerte sich Tom. „Also gut, was willst Du?"
„Zieht Euch an."
„Warum?"
„Sagte ich schon. Wir müssen reden."
„Tun wir doch. Was will er?" fragte Tom den Mann an der Tür und zeigte auf den Mann neben dem Bett.
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Die richtigen Leute Band 6: Blutrünstige Bestien
Historical FictionIm 6. Band meiner Reihe „Die richtigen Leute" erleben Tom und seine Freunde während eines Besuchs am Suezkanal und in Ismailia die brutalen Auswirkungen des Nahostkrieges. Auf einer Autofahrt von Kairo zur libyschen Grenze geraten sie in eine Ausein...