Im Dämmerlicht wirkte die einsame Taverne, vor der nur ein Auto stand, ein bisschen wie ein Geisterschlösschen. Der dunkle See war auf dieser Seite von einem schweigenden Wald umgeben. Die ersten Sterne blitzten auf. Die Gaststube duftete nach gegrilltem Fleisch. Nur an einem Tisch saßen zwei Männer und warteten auf ihr Essen. Tom führte seine Begleiter an den Tisch in der Ecke, wo er schon zweimal gesessen hatte.
Der Wirt trat aus der Küche und kam mit ausgebreiteten Armen zu ihnen:
„Wie schön, Dich mal wieder zu sehen. Man hört Geschichten über Dich. Das sind doch sicher Deine Eltern. Herzlich willkommen."
Er umarmte Tom, der seine Eltern und Nikos vorstellte. Dann nahm Tom seinen Vater an der Hand und ging mit ihm und dem Wirt in die Küche. Dort überreichte er seinen Rucksack, den der Mann in eine Kammer neben der Tür zum Hof trug. Als er zurückkam, war der Rucksack nicht leer, das fühlte Tom.
„Was ist los? Die falschen Teile?" fragte er den Restaurantbesitzer.
„Nein, ein Haufen Papiere, die gerade erst gekommen sind. Andreas sagt, Du sollst die in Iraklion vorbeibringen, morgen, wenn's geht."
„Alles klar. Was empfehlen Sie uns?"
„Schafsköpfe wollt Ihr sicher nicht, obwohl die wirklich lecker sind. Aber wir haben natürlich ganz frische Fische."
Sie suchten vier Stück aus, und Tom bestellte Spinat und ein anderes, etwas helleres Blattgemüse sowie Kartoffeln.
„Was war das da eben in der Küche?" fragte sein Vater, der das Gemisch aus Griechisch und Englisch nicht verstand, das Tom und der Wirt gesprochen hatten. „Und woher kennt Dich der Wirt?"
„Wir waren schon mal hier, vor ein paar Jahren. Ich habe ihm eben Ersatzteile gegeben, und er mir ein bisschen Papier."
„Was für Ersatzteile, und was für Papier?"
Tom überlegte kurz, aber der Tag war bis jetzt so gut gelaufen, da konnte man ein wenig mehr Wahrheit verkraften.
„Wir haben Ersatzteile für eine Druckmaschine mitgebracht. Damit stellt der Widerstand Flugblätter her. Man kann solche Sachen schlecht mit der Post schicken. Die Papiere bringen wir morgen früh nach Iraklion. Ihr könnt gerne mitkommen. Wenn Ihr Lust habt, kann ich Euch auch zeigen, woher solche Papiere kommen. Und jetzt wechseln wir mal das Thema."
Es gab ja auch genug Gesprächsstoff. Seine Eltern kannten Dave und Martin, die schon einmal in Hohenberg gewesen waren. Allein über die beiden gab es viel zu erzählen. Das Essen war köstlich, der ganze Abend sehr harmonisch, und das nach all den Zumutungen.
„Wie lange bleibt Ihr denn auf Kreta?" fragte Toms Vater.
„Wir hatten eine Woche eingeplant. Morgen fahren wir nach Chania, wenn wir aus Iraklion wiederkommen. Dann wollen wir für ein paar Tage in ein Dorf an der Südküste, wo Freunde von uns mal Urlaub gemacht haben, Agia Galini. Vielleicht noch zwei Tage im Osten, Agios Nikolaos. Mal sehen. Wir besuchen Euch noch mal, wenn Ihr in Nafplion seid. Fliegt Ihr eigentlich?"
„Ja. Die Schiffe sollen nicht so sicher sein."
„Die Nefertiti schon. Und die Tutanchamun auch. Wollt Ihr nicht für einen Tag nach Ägypten fahren?"
Seine Mutter hätte gerne die Kreuzfahrt gemacht, aber Kreta war ihrem Mann defintiv südlich genug.
„Also, wenn wir noch zehn Tage hier sind, sollten wir uns auch ein Auto mieten," schlug sie vor.
„Muss das sein? Ich weiß nicht, ob ich die Nerven habe wie unser Sohn," wandte ihr Gatte ein.
„Du gewöhnst Dich schon daran."
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Die richtigen Leute Band 6: Blutrünstige Bestien
Historical FictionIm 6. Band meiner Reihe „Die richtigen Leute" erleben Tom und seine Freunde während eines Besuchs am Suezkanal und in Ismailia die brutalen Auswirkungen des Nahostkrieges. Auf einer Autofahrt von Kairo zur libyschen Grenze geraten sie in eine Ausein...