In Deutschland hatte Joelle etwas davon gesagt, dass ich nicht mit ihr zu diesem Konzert fahren müsste. Dass ich nicht ihre Assistentin wäre oder irgendwas in der Richtung.
Davon war aber am nächsten Tag nicht mehr die Rede. Da war ich fest eingeplant als ihre Assistentin. Ich sollte sie zu diesem Unternehmerehepaar fahren und dort dafür sorgen, dass sie alles hatte, was sie brauchte.
Ich stimmte grummelnd zu. Nicht, dass ich an sich etwas dagegen hatte, ihr zu helfen, aber ich kam mir schon ein wenig überrumpelt vor.
Am Morgen des Konzerts fing sie dann wieder mit ihrem Diventum an.
Sie verzog sich mit ihrer Violine für Stunden ins Badezimmer, weil sie dort glaubte, die beste Akustik zu haben (was Schwachsinn war). Ich ließ sie in Ruhe. Starallüren waren mir nicht fremd. Ich hatte mal in einer Band gespielt, in der selbst die Backgroundsängerin sich aufspielte, weil sie sich auf ihr Tamburinspiel vorbereiten musste.
Ich hatte alles schon erlebt und ertragen, da konnte ich auch Joelles Marotten ertragen. Das war ihr großer Tag, immerhin hatte sie den Urlaub klargemacht.
Schließlich fuhr ich sie zu dem Anwesen des Unternehmers. Es war auch eine Finca, aber einer sehr viel größere.
Wir wurden freundlich begrüßt von dem Ehepaar und in das Wohnzimmer geführt, wo Joelle spielen sollte.
Nun drehte sie total auf. Sie verlangte nach einem anderen Stuhl als den, der für sie vorgesehen war, dann stimmte sie dreimal die Violine. Es war nicht das ganz teure Teil, das sie in ihrer Phantasie zertrümmert hatte, aber auch eine Kostbarkeit, wie sie mir mehrfach versichert hatte. Allerdings war sie wohl nicht so kostbar, denn sie ließ sie mich für sie tragen.
Schließlich sagte Joelle auch noch diesen Satz, den ich mehr hasse, als alle andere, den aber auch nur Frauen sagen:
„Magst du mir ein neues Wasser bringen? Das hier ist schon ein wenig schal!"
Damit hielt sie mir die Flasche hin.
‚Magst du mir einen bequemeren Stuhl besorgen? Magst du das Licht etwas dimmen, ich bekomme sonst Migräne. Magst du die Pflanze da hinten etwas zur Seite schieben, die hat eine schlechte Aura. Magst du...'
Es gab nichts, was ich mehr hasste: ‚Magst du...'
Es ist so ein: Du willst dies oder das für mich tun, du weißt es nur noch nicht, und ich tue dir einen Gefallen, wenn ich dich daran erinnere. Man macht aus der Befriedigung seiner eigenen Bedürfnisse einen kollektiven Akt, dem sich alle widmen müssen.
Sie hatte mich zu ihrer Assistentin degradiert. Ich war mir sicher, dass sie immer so sprach, wenn irgendwer ihr bei einem Konzert zur Seite stand.
Ich lächelte, trat an sie heran und zischte schneidig süß in ihr Ohr:
„Das möchte ich sehr gerne für dich tun. Ich bin dir doch immer gern zu Diensten!"
Joelle war so in ihrem Lampenfieber gefangen, dass sie gar nicht verstand, was ich ihr damit sagen wollte. Ich nahm ihr die Flasche aus der Hand und suchte die Küche.
Ich habe nichts dagegen, andere zu bedienen. Ich kellnere, wenn es sein muss, und da bin ich auch zu den größten Idioten nett und freundlich. Ich mache nie Stress, bin nie genervt im Job. Aber das hier war was anderes.
Ich hatte mir das Ziel gesetzt, Joelle ein paar Manieren beizubringen (und zugegeben von ihr großartige Orgasmen zu bekommen), und was tat sie? All die Benimmregeln, die ich ihr um die Ohren knallte, perlten an ihr ab, ohne eine Spur zu hinterlassen! Das nervte mich.
Später entschuldigte sie sich, und ich erklärte ihr, dass man sich nicht entschuldigen kann, sondern nur um Entschuldigung bitten kann. Dass es beim Entschuldigen um Vergebung geht, und die kann man nur erbitten, sich aber nicht selbst erteilen. Es war so eine Feinheit, aber wenn sie sich entschuldigte, dann war es für sie damit getan. Sie sagte: „Ich entschuldige mich" und wartete gar nicht auf eine Reaktion. In ihrer Welt konnte man Entschuldigungen nicht annehmen. Es reichte, sie auszusprechen.
Sie verstand das natürlich, und ich war mir sicher, dass ihr diese sprachliche Feinheit auch schon andere Leute erklärt hatten. Immerhin kam sie aus der Familie der Gebildeten und Wohlerzogenen. Aber an diesem Abend ging es eben um ihre Karriere, und blieb mir nichts übrig, als klein beizugeben.
Ich nahm meine Aufgabe wahr und ging in die Küche.
Dort traf ich auf die Hausherrin.
„Hätten Sie vielleicht noch eine Flasche Wasser für Joelle?", fragte ich höflich.
„Natürlich, kommt sofort!"
Die Frau mittleren Alters ging an den Kühlschrank und holte eine.
„Ist etwas nicht in Ordnung?", fragte sie besorgt.
„Nein, nein. Alles ist gut. Aber Künstler sind manchmal etwas sensibel. Dafür muss man Verständnis haben."
„Natürlich! Sie müssen stolz sein, für solch ein Ausnahmetalent arbeiten zu dürfen!"
„Das bin ich."
„Sind Sie auch Musikerin?"
„Bassistin."
„Dann muss es doch umso vorteilhafter für Sie sein. Ich bin sicher, Sie haben schon viel von Joelle gelernt, und Sie können sicherlich viel, viel besser beurteilen, für was für ein Genie Sie arbeiten dürfen als wir."
„Ich könnte dieser kleinen Schlampe befehlen, dass sie sich vor Ihnen die Klamotten vom Leib reißt und mir die Füße küsst. Das würde sie ohne mit der Wimper zu zucken machen, und wenn Sie möchten, dann schicke ich sie danach noch zwischen Ihre Schenkel, wenn Sie darauf stehen. Dann werden Sie merken, was für ein Genie und Wunderkind sie ist."
Der Satz lag mir auf der Zunge. Ich behielt ihn für mich. Ich war mir auch ziemlich sicher, dass Joelle das nicht tun würde. So folgsam war sie noch nie gewesen.
Stattdessen lächelte ich, stimmte ihr zu und verschwand dann mit dem Wasser.
Aber eigentlich hätte ich mich besser noch etwas länger mit der Frau unterhalten, denn Joelle war auf dem Höhepunkt ihres Nervfaktors angelangt und beschwerte sich nun über die Luftfeuchtigkeit im Raum und meinte, dass sie so nicht arbeiten könne.
Ich ignorierte das, ging ihr aus dem Weg, ließ sie die Diva spielen.
Als sie dann aber ihr Konzert begann, war ich sprachlos.
Es war was von Bach. Er hatte Solo-Sonaten für Violinen geschrieben. Ist wohl etwas Rares, dass eine Violine ohne Begleitung spielt. Es ist immer leichter sich in einer Band oder einem Orchester zu verstecken. Da kann man sich mal verspielen, und es fällt nicht sofort auf. Aber wenn man allein ist, dann ist man auf sich selbst gestellt und jeder hört alles, was schief läuft. Das kann brutal sein.
Vor allem eben bei einem Instrument, das ohnehin sehr schwer zu spielen ist wie die Violine.
Und ich sah, wie sie sich in der Musik verlor. Sie schien weggetreten in ihrem Spiel, der Welt entflohen. Sie war glücklich, daran gab es keinen Zweifel. Joelle, die manchmal ihr Instrument so verfluchte und sich beklagte, war in diesem Moment im Nirvana. Man sah es an ihrem Lächeln, an den nicht sehr damenhaften Grimassen, die sie bei schwierigen Passagen schnitt, und wie sie sich davor anspannte und danach wieder entspannte. Allein ihre Körpersprache zu beobachten, war ein Erlebnis.
Fast wurde ich ein wenig neidisch, denn wenn ich spielte, dann immer in einer Band, und da muss man ein Auge auf die anderen haben. Man kann auch eine geile Zeit haben als Bassistin in einer Funkband, aber man ist dabei Teil eines größeren Ganzen, man stellt sich in die Dienste einer Gemeinschaft. Man kann sich in einer Band nicht in seine Musik verlieren, sonst wird man schnell zum egozentrischen Arsch. Dafür bekommt man andere Kicks, wenn man Teil einer Gruppe ist, die aufeinander eingespielt ist. Das hatte auch etwas.
Ich konzentrierte mich auf sie statt auf die Musik. Die Musik war toll, und wie Joelle sie aus der Violine herausschälte, war schon bemerkenswert. Aber ehrlich gesagt vermittelte mir die Musik nicht viel. Ich liebte diese Musik nicht, ich liebte Joelle. Vielleicht wurde mir das in diesem Moment zum ersten Mal klar.
Das Konzert war ein Riesenerfolg in meinen Augen, und als ich Joelle zurück in die Finca fuhr, schien sie auch ganz zufrieden zu sein, obwohl sie mit mir eine Diskussion beginnen wollte über Teile, die ihr nicht gelungen waren. Aber ich sprang nicht darauf an. Einerseits weil ich keinen Plan hatte, wovon sie sprach. Andererseits hatte ich das Gefühl, dass sie gelobt werden wollte. Nun, das hatte ich getan. Ich hatte ihr wieder und wieder gesagt, wie toll sie gewesen war. Aber sie konnte davon einfach nicht genug bekommen und fischte so lange nach Komplimenten, bis der Komplimenten-See eben leer gefischt war.
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Die Violinistin und die Bassistin - eine lesbische Liebesgeschichte
ChickLitEine turbulente lesbische Liebesgeschichte zweier unterschiedlicher junger Frauen. Die Story ist schon was älter, aber ich hoffe, sie gefällt euch trotzdem. Like and subscribe und vor allem kommentiert!