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Mittlerweile leben wir zusammen. Ganz zufrieden auf einem heruntergekommenen Bauernhof, den wir gekauft haben. Nun, wir zahlen ihn noch ab, aber wenn alles weiter so gut läuft, dann gehört er bald ganz uns.

Ohne Marihuana-Gewächshäuser. Obwohl ich letztens ganz versteckt ein paar seltsame Pflanzen gesehen habe. Ich werde Joelle zur Rede stellen müssen. Direkt am Eingang haben wir ein Beet mit Brennnesseln angelegt, und manchmal lasse ich sie rauskriechen, um mir ein paar Stängel zu bringen. Dann haue ich ihr die über den ganzen Körper.

Wir haben einen alten Hof billig erstanden und restaurieren ihn langsam. Wir sind nicht reich, aber wir kommen zurecht. Mit Musik verdient man heutzutage nicht mehr viel. Aber wir bauen uns langsam was auf und haben unsere Finger in verschiedenen Projekten.

Joelle hat ihre Profimusikkarriere an den Nagel gehängt, was mit ziemlich viel Stress verbunden war. Sie hat sich mit ihrer Familie überworfen, und im Moment herrscht wohl Funkstille zwischen ihnen.

Sie spielt nicht mehr professionell Violine. Aber manchmal spielt sie für mich. Ich lasse sie sich dann in Lack oder Leder aufbrezeln, und dann gibt sie mir ein Privatkonzert. Es bereitet ihr Freude.

Stattdessen hat sie begonnen Musikpädagogik zu studieren, aber sie ist nicht weit gekommen. Drei Semester. Dann ging es nicht mehr, weil diese andere Sache so viel Fahrt aufnahm, dass sie keine Zeit mehr für ihr Studium hatte. Denn wir wurden richtig erfolgreich mit unserem Projekt.

Nachdem der Produzent unser Demo gehört hatte, war er hin und weg und gab grünes Licht uns zu unterstützen. Wir finanzierten unser erstes Album mit einer letzten CD von Joelle. Classic goes Rock. Joelle als klassische Violinistin spielt Rockmusik. Eine Sache, die kommerziell erfolgreich ist, aber die Reputation jedes ernsthaften Musikers ruiniert. Das brachte uns genug Geld ein, unser eigenes Album zu produzieren. Wir beerdigten die klassische Joelle und fortan verschwand sie aus der Öffentlichkeit.

Stattdessen machten wir unser eigenes Projekt. Düstere, sexuell aufgeladene Musik voller Bässe und Schwüle. Schwer und bedeutungsschwanger. Was wir zusammen arrangiert hatten. Eine ganze CD davon unter einem anderen Namen.

Chastity.

Keuschheit, so heißen wir. Mit den Doubles, die uns auf der Bühne vertreten, hat es nicht geklappt. Das ist einfach zu teuer. Aber Joelle hat eine Grafikerin aufgetan, die uns animiert hat. In 3D, sieht sehr geil aus! Zeichentrickfiguren für Erwachsene. Fetisch-Animation. Wir sind so etwas wie die Band Gorillaz für Sado-Maso.

Meine Figur trägt Leder, lange Haare zum Dutt gebunden, blutrote Lippen, große blaue Augen. Lilith heißt die Figur. Sie kommt in der Bibel als Nachtdämon vor und ist ein Symbol für die dunkle Seite der Frau, aber auch für ihre Emanzipierung.

Joelles Figur heißt Nivian. Sie hat etwas mit der Artussage zu tun. Eine verfluchte Frau, die auf einer Insel in einem Fluss gefangen ist und nicht hinausschauen darf. Sie singt wunderschöne Lieder und webt die Bilder, die sie sieht in einen endlosen Teppich. Eines Tages sieht sie durch einen Spiegel Ritter Lanzelot, verliebt sich in ihn und stirbt durch den Fluch bei dem Versuch, nach Camelot zu gelangen. Die Figur ist klein, bleich, rothaarig, manisch depressiv, gestört.

Es versteht sich von selbst, dass Joelle die Figuren kreiert hat.

Lilith ist die Herrin von Nivian und je nach Song können die beiden in den Videos mal ganz romantisch miteinander umgehen oder voll Hardcore im härtesten SM-Stil. Wir klauen auch manchmal ein paar Ideen von Rammstein.

Joelle macht sich darüber Gedanken, wie man einerseits die Massen ansprechen kann, andererseits aber auch kalkuliert Skandale erstellen kann, auf die die Medien anspringen, um über uns zu berichten und uns noch bekannter zu machen. Manchmal erkenne ich darin ihre Fähigkeit, andere zu manipulieren. Aber es stört mich nicht. Sie macht uns populärer. Ich frage mich nur manchmal, inwieweit ich von ihr auch manipuliert werde, fühle mich, als sei ich der Dompteur eines Tigers, der sich vorstellt, er hielte den Tiger unter Kontrolle, in Wahrheit aber den Launen der Wildkatze ziemlich hilflos ausgesetzt ist. So fühle ich mich manchmal.

Wir haben eine Arbeitsteilung etabliert. Ich kümmere mich um die Organisation, das Geschäftliche und die Technik. Sie ist für das Kreative zuständig. Manchmal würde ich auch gerne mehr komponieren, aber mir fehlt die Zeit und Joelle ist einfach besser. Sie ist Lennon/McCartney, ich bin Ringo. Sie ist so viel besser, dass ich ihr dieses Feld weitgehend überlasse. Trotzdem bin ich, wenn es geht, zusammen mit ihr im Studio, und ich bringe meine Ideen ein. Es ist ein Wettkampf, wer die besten hat. Sie gewinnt meist, aber ich werde besser.

Ein paar richtig fette Hits haben wir gelandet. Erst mit Coverversionen, aber auf dem letzten Album waren die ersten eigenen Kompositionen von Joelle. Sie schreibt die Texte, die Musik machen wir immer noch gemeinsam. Ein kleines Studio haben wir, das beständig größer wird. Den Folterkeller können wir uns noch nicht leisten, aber Joelle bestellt ständig neue Spielzeuge.

Wir veranstalten dann ganz zeremoniell ein SM-Unboxing, wie sie es nennt. Sie kniet nackt vor mir, wir packen zusammen das Spielzeug aus, und ich benutze es dann an ihr.

Sie ist voll in diesem Lifestyle aufgegangen. Joelle betreibt zudem einen Blog, in dem sie über SM schreibt. Er ist unglaublich erfolgreich. Sie schreibt an einem Buch, und überall im Haus fliegen Zeichnungen herum mit Designs für Lack und Lederkleidung. Korsagen, Ganzkörperanzüge. Alles.

Sie geht vollkommen in dieser Sache auf, und ich habe Schwierigkeiten, ihr zu folgen.

Mittlerweile habe manchmal wirklich Angst, dass ich ihre ganzen Neigungen nicht mehr befriedigen kann und sie mich sitzen lässt.

Ich liebe sie. Nie zuvor habe ich einen spannenderen Menschen kennengelernt.

Sie liebt mich. Das sagt sie, und bis auf wenige Augenblicke glaube ich ihr auch. Ich bin immer noch ihre Herrin und versuche sie zu zügeln, aber ich habe das Gefühl, dass ich sie nie wirklich unter Kontrolle habe, dass sie mir weit überlegen ist. Manchmal lässt sie mich das wissen, dann blitzt ihre Überheblichkeit wieder auf. Ich bestrafe sie, aber ich kann es ihr einfach nicht austreiben.

Manchmal denke ich, dass sie mich irgendwann verlassen wird, weil ich ihren immer ausgefalleneren Begierden nicht mehr gerecht werden kann.

Sie meint, das wäre Quatsch, ich solle nicht so denken, und ich glaube ihr.

Ich bin ihre Herrin. Ich kann sie schlagen, fesseln, liebkosen, küssen, einsperren, streicheln, foltern.

Und sie gehorcht mir.

Sie bettelt, fleht, kniet vor mir, küsst mir die Füße. Natürlich nur, wenn ihr danach ist. Denn oft genug zoffen wir uns auch. Aber wir wissen auch, was wir aneinander haben. Und das Versöhnen ist ja bekanntlich das Beste am Streit.

Aber wenn ich ehrlich bin, dann hält sie die Zügel in der Hand.

Es ist okay, wir führen eine etwas unkonventionelle Beziehung.

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Die Violinistin und die Bassistin - eine lesbische LiebesgeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt