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Ich hörte den Aufzug kommen.

Sie konnte was erleben! Immerhin hatte sie mir versprochen, die Treppe zu nehmen statt des Aufzugs!

Aber als ich die Tür öffnete, da fiel sie mir heulend in die Arme.

Ich wusste nicht, was los war, ich wusste nicht, was passiert war. Ich hielt sie einfach fest und ließ sie sich ausheulen. Sie schluchzte, und ich verstand nichts. Ich hielt sie einfach in den Armen und wartete, dass sie sich beruhigte.

Es dauerte eine ganze Weile, bis sie sprechen konnte. Mit verheulten Augen und belegter Stimme erzählte sie, dass ihr Lehrer sie runtergemacht hatte, weil sie irgendeine scheißkomplizierte Passage in einem scheißschweren Stück nicht hinbekam. Was sollte ich dazu sagen? Manche Sachen sind einfach zu schwer für einen, egal, wie lange und oft man übte. Ich hätte ihr den Tipp gegeben, einfach ein paar Noten auszulassen oder ein bisschen zu improvisieren. Aber das funktionierte bei klassischer Musik scheinbar nicht. War das ein Grund, so ein Drama zu veranstalten? Ich wusste es nicht. Für mich nicht, aber meine Welt war auch nicht so kompliziert wie Joelles. Ich verstand es nicht, aber ich litt mit ihr. Sie tat mir leid, und ich musste mich wieder daran erinnern, dass nicht alles so einfach war, wie ich es mir machte.

„Ich will das alles nicht mehr! Ich ertrage es nicht mehr!"

Sie tat mir leid. Es brach mir das Herz. Vielleicht war das alles wieder nur ein Spiel, so wie sie häufig spielte, um ihren Willen zu bekommen. Aber ich glaubte es nicht. Ich schämte mich sogar dafür, so etwas gedacht zu haben. Ihre Tränen in diesem Moment waren echt, daran gab es nichts zu rütteln. Ich tröstete sie, so gut ich konnte. Aber so richtig gut machte ich meinen Job nicht.

Aber Ich war vielleicht einfach etwas robuster als sie und konnte mich nicht so gut in ihre Zerbrechlichkeit hineinversetzen.

„Kannst du dich heute um mich kümmern?"

Joelle machte große Augen.

Was sollte ich schon sagen? Wenn ich das mit dem Trösten schon nicht richtig hinbekommen hatte, dann musste ich etwas anderes tun.

„Lass uns spielen"

„Was?" Sie schniefte.

„Lass uns spielen. Das bringt dich auf andere Gedanken."

Sie sah mich mit großen, roten Augen an.

„Okay. Ich spiele mit dir!"

„Aber nichts Krasses! Mellow, okay?"

„Mellow. Piano. Pianissimo. Nichts Krasses. Ganz entspannt."

„Vielen Dank! Störe ich? Gehe ich dir zu sehr auf die Nerven? Ich will dir nicht auf die Nerven gehen!"

„Du gehst mir nicht auf die Nerven. Mach dir mal keine Sorgen darüber. Wie wäre es, wenn du ins Schlafzimmer gehst, dich ausziehst und aufs Bett legst, ich komme gleich, ich muss nur noch meine Arbeit hier fertig machen."

„Oh! Ich habe was besorgt. Ein Geschenk!"

„Für mich?"

„Ja klar! Naja, damit kannst du mich fesseln."

„Also sind es Fesseln für dich?"

Sie nickte. „Ist das schlimm? Es sind die guten, damit musst du dir keine Sorgen machen, mich zu verletzen. Das ist doch auch irgendwie gut für dich, findest du nicht?"

„Na dann!" Ich schmunzelte, nahm es ihr aber nicht übel. „Und wo sind diese Super-Fesseln?"

„Im Auto, unten, die habe ich vergessen!"

Die Violinistin und die Bassistin - eine lesbische LiebesgeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt