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Es dauerte eine Weile, bis wir uns wiedersahen. Ich hatte einen Job aufgetan. Irgendein mir unbekannter Schriftsteller wollte seinen Roman zum Hörbuch machen, und da es darin um einen Jazz-Bassisten ging, hatte man mich engagiert für die Zwischenspiele. Ich sollte auch ein wenig Gitarre und Schlagzeug spielen, quasi als Multiinstrumentalistin alles machen. Der Mann bezahlte das aus eigener Tasche. Über Connections hatte ich von dem Job erfahren und ihn auch erhalten. Es war alles etwas ungewöhnlich, aber es wurde bezahlt, und das zählte.

Also hatte ich ein paar Klamotten zusammengepackt und meinen Kontrabass und mich auf die Socken nach Berlin gemacht. Es war kein Vergnügen mit Bass und Bahn, immerhin ist so ein Kontrabass zwei Meter lang, und das ohne Stachel. Aber dieses Mal beschwerte sich kein Schaffner, dafür waren meine Mitreisenden nicht immer ganz so verständnisvoll.

Ich quartierte mich in einer Art Jugendherberge ein, die ich allerdings nicht oft sah, denn wir arbeiteten von früh morgens bis spät in die Nacht. Der Mann wollte Geld sparen, denn die Miete für das Tonstudio, der Toningenieur und ich waren ihm dann scheinbar doch etwas zu teuer. Nun, ich ertrug es, der Ingenieur auch, nur die Stimme des Autors und Sprechers ließ gegen Ende der Aufnahmen ziemlich nach. Als der Toningenieur das anmerkte, meinte der Autor, es wäre doch gut, wenn ein Hörer die Anstrengung hören könnte, die mit dem Einlesen verbunden wäre. Der Toningenieur und ich sahen uns an und schüttelten den Kopf. Es war schön, mit professionellen Leuten zusammenarbeiten zu dürfen. Oder eben nicht. Wir sagten aber nichts weiter dazu, denn der Kunde hat ja immer Recht.

In dieser Zeit jedenfalls bekam ich nicht viel von Joelle mit. Sie hatte auch zu tun, und so hatte ich ihr lediglich aufgetragen, mir jeden Tag eine Phantasie zu schreiben über Twitter. Sie hatte also nur 140 Zeichen.

Sie schrieb seltsame Sachen, die manchmal schon ein wenig komisch daher kamen, aber sie versüßten mir die Nächte in meinem billigen Hotel.

Ich nenne hier mal drei Beispiele:

„Wir fahren im Beetle, du spielst zwischen meinen Schenkeln, zwingst mich an der Ampel der Frau am Straßenrand meine Titten zu zeigen."

„Im Reitstall bindest du mich mit gespreizten Armen und Beinen nackt in einer Pferdebox an und kitzelst mich, bis ich weinend zusammenbreche."

„Du fesselst mich im Wald an einen Baum, bestreichst meine Brüste mit Honig und siehst zu, wie Bienen und Wespen mir den von der Haut lecken."

Ich fand es amüsant, aber ich kommentierte es auch nicht weiter. Es waren Spielereien. Nachts in meinem kalten Hotelbett machte ich mir meine warmen Gedanken zu ihren Phantasien, und ich malte mir die 140 Zeichen zu Kurzgeschichten aus, stellte mir vor, wie Wespen über ihre Brust krabbelten, wie sie den Atem anhielt und angstvoll auf die kleinen Viecher starrte, die über ihren hilflosen Körper krabbelten und gierig den Honig von ihr leckten. Ich stellte mir vor, wie sie krampfhaft versuchte, sich so wenig wie möglich zu bewegen, um die Tiere nicht aggressiv zu machen und dazu zu bringen, sie zu stechen. Ich stellte mir vor, wie sie jeden Muskel anspannte und ihr Herz schnell und heftig schlug, wie sie immer schreckhafter wurde und schließlich um Gnade winselte und mich anbettelte, dass ich aufhören sollte, dass ich den Honig von ihrem Körper wischen sollte. Wie sie mir alles versprach und noch viel mehr, wenn ich sie nur endlich befreien würde.

Am Ende tat ich ihr dann auch den Gefallen, verscheuchte die Viecher mit einem Strahl eiskalten Wassers aus dem Gartenschlauch. Ich war mir nicht sicher, ob das wirklich so funktionierte, vermutlich nicht. Vermutlich würde das gerade die Wespen wütend machen und zur Attacke animieren. Aber in meiner Vorstellung klappte es. In meiner Vorstellung band ich Joelle dann auch von dem Baum los, nahm sie in meine Arme und tröstete sie. Ich spürte ihren Atem an meinem Hals und wie ihr verkrampfter Körper sich langsam entspannte. Sie war so angespannt gewesen, dass sie zitterte. Ich flüsterte ihr sanfte Worte des Trostes ins Ohr, und sie schluchzte erst und dann kroch sie in meine Umarmung, in mich und den Schutz, den ich ihr bot. Und sie war dankbar dafür.

Ich war von meinem Einfallsreichtum selbst ganz überzeugt, obwohl es natürlich ihre Idee gewesen war.

Mir gefielen ihre Phantasien, und ich wollte mehr davon. Abends in Berlin in meinem billigen Hotel war es einsam. Eigentlich war ich durchaus gerne allein, aber nun, da Joelle da war, wollte ich mehr von ihr als Tweets.

Also gab ich ihr die Aufgabe, mir eine ganze Geschichte zu schreiben.

Sie sollte mir eine ganze Phantasie schreiben.

Vielleicht würde ich ja dadurch auch mehr über sie erfahren.

Was ich dann bekam, war allerdings nicht, was ich erwartet hatte. 

Die Violinistin und die Bassistin - eine lesbische LiebesgeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt