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Laut Wikipedia kommt der Begriff „Domina" aus dem Lateinischen und bedeutet: „Die Herrin des Hauses". „Domus" ist das Haus, daran erinnerte ich mich noch aus dem wenig erfolgreichen Lateinunterricht. „Heute wird der Begriff in aller Regel verwendet zur Bezeichnung einer Frau, die gegen Entgelt sadistische und dominante Praktiken anbietet."

Okay. Damit war ich schon mal einen Schritt weiter.

Ich erhielt kein Entgelt. Sadistisch war ich auch nicht, bot auch keine sadistischen Praktiken an. Das mit der Dominanz kam irgendwie hin. Ich hatte Spaß daran gefunden. Joelle hatte in mir irgendwas gestartet.

Aber es schien ein kurzes Vergnügen gewesen zu sein, denn sie war ja abgedampft, bevor sich irgendwas Ernstes entwickeln konnte.

Ich hätte damals nicht zugegeben, dass sie mir fehlte. Aber sie tat es.

Ich fand mich bei Wikipedia und versuchte rauszufinden, worum es bei diesem BDSM ging. Es war mir fremd. Dominanz und Unterwerfung, darüber hatte ich mir noch nie Gedanken gemacht. Die wenigen Videos, die ich mir ansah, waren eklig und abstoßend. Aber es gab viele davon. Ich war in dieser Angelegenheit scheinbar eher ein Weichei, und mir war auch nicht klar, wie einvernehmlich es da zuging.

Ich entwickelte so etwas wie eine Routine, suchte immer mal wieder nach Infos, Bildern oder Videos, fand vielleicht auch das eine oder andere, das nicht uninteressant war, aber dann auch immer wieder ziemlich eklige Sachen. Nur eines gelang mir nicht, das alles zu vergessen und hinter mir zu lassen.

Ich hatte auch in ihrem Facebook-Profil gewühlt. Fast wie so eine stalkende Ex. Die Rollen hatten sich gedreht. Ich redete mir ein, dass ich so mehr über ihre Neigung herausfinden konnte.

Das war natürlich Bullshit, denn es ging mir um sie.

Ich googlete sie auch und musste überrascht feststellen, dass sie in der Klassikwelt schon verdammt bekannt war. Es gab allerlei Berichte über sie, selbst Spiegel Online hatte ihr schon Artikel gewidmet. Sie galt als Wunderkind, als neue Hoffnung in der Klassikwelt. Man lobte ihre Präzision, ihre Werktreue, und dass sie trotz ihres jungen Alters nicht den Weg in den Kommerz eingeschlagen hatte. Scheinbar machten viele junge Künstler klassische Musik, die sehr kitschig und übertrieben klang und sich damit an ein breites, aber eben kein eingeweihtes Publikum richtete. Joelles Musik galt als noch unverfälscht und ernsthaft.

Auf der anderen Seite schien man sie zu vermarkten als die Lolita der klassischen Musik. Ich fand einige Fotos, in denen ihr bleicher Teint hervorgehoben wurde, in denen ihre Lippen blutrot geschminkt waren und sie mit ihren graublauen Augen unschuldig in die Kamera blickte. Ich konnte mir vorstellen, dass sie damit bei alten Knackern Eindruck schinden konnte. Bei mir hatte sie das auch.

Kunst war in meinen Augen zu 80% Marketing. Einige der besten Musiker, die ich kannte, mussten krebsen, um über die Runden zu kommen, einige der schlechtesten waren große Stars. Wenn man Talent und Marketing zusammenbringt und mit Lolita-Schmollmund noch ein paar CDs und noch ein paar Tickets mehr verkauft, dann war das in meinen Augen vollkommen in Ordnung.

Sie hatte als Solistin ein paar CDs eingespielt, machte Tourneen. Ich war jedenfalls überrascht. Das erklärte ihre Scheu vor öffentlicher Bloßstellung, und ich verwarf den Gedanken schnell, sie in der Fußgängerzone in einer zu engen Bluse um das Kleingeld der Passanten spielen zu lassen.

Mein Fazit war, dass ich ihren Erfolg und Bekanntheitsgrad unterschätzt hatte. Das machte sie für mich noch nicht zu einem Idol, aber es erklärte das ein oder andere.

Ich las und recherchierte also, fand allerdings in ihren Interviews nichts, was auf ihre Neigung schließen ließ. Warum sollte ich auch irgendetwas finden? So etwas behält man für sich und offenbart es nur den engsten Vertrauten.

Die Violinistin und die Bassistin - eine lesbische LiebesgeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt