ACHTZEHN

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Misa nimmt das Angebot liebend gern an. Aidon verspricht ihr all die Sicherheit, die diese Stadt zu bieten hat. Solange sie hier verweilen, darf niemand die Stadt betreten oder verlassen, wofür sie ihm sehr dankbar ist.

Am Nachmittag erkundet sie gemeinsam mit Lurra das Schloss. Von Ean fehlt jede Spur seit dem Essen, was Misa überraschenderweise positiv aufnimmt. Nach dem Vormittag ist es ihr sehr unangenehm, allein mit ihm zu sein. Sie kann nicht verstehen, wie etwas so Banales sie derart aus der Fassung bringen kann. Sie und Ean kennen sich nun schon so lange und noch nie hat sie ihn auf diese Weise gesehen. Noch nie hat er sie so nervös gemacht ...

Doch je mehr sie darüber nachdenkt, desto mehr erinnert sie sich daran, wie sie früher gern dabei zusah, wie er trainierte, oder wie sie es genoss, mit ihm auszureiten und sich von all den Sorgen und Belastungen des Lebens abzulenken. Aber sie hat es mehr als ein Gefühl von Respekt und Bewunderung empfunden.

Trotzdem versucht sie, diesen Gedanken einfach beiseitezuschieben und sich auf die Erkundung des Schlosses zu konzentrieren.

Als die Sonne langsam untergeht und die Lichter im Hof hell aufleuchten, bemerken Misa und Lurra, dass das Fest bereits im vollen Gange ist. Sie machen sich auf den Weg nach unten, wo die Musik bereits durch alle Gänge zu hören ist. Beim Ausgang treffen sie auf Aidon, der das Fest von der Seite beobachtet. Als er die beiden sieht, bildet sich ein weites Lächeln in seinem Gesicht und er begrüßt sie herzlichst.

Der gesamte Platz pulsiert vor Leben. Die Kinder tanzen und spielen auf dem Platz. Stände verkaufen alles Mögliche, von Essen hin bis zu Handwerksarbeiten. Besonders fasziniert ist Misa von den Früchten, die mit Schokolade überzogen sind. Den süßen Düften, die in der Luft liegen, kann man hier nicht umgehen.

Lurra findet eher Gefallen an den Broschen, die die Form eines Skarabäus haben. Als Aidon anbietet, Lurra mehr davon zu zeigen, nimmt sie das Angebot interessiert an. Auch Misa hat nichts dagegen, dass sie ihre Zeit ihm widmet. Sie freut sich, dass sie endlich auf ihn eingeht, statt ihm bloß die kalte Schulter zu zeigen.

Misa ärgert sich, als sie sich ständig umsieht, nur um Ean zu finden und ist umso erfreuter, als zwei kleine Mädchen auf sie zukommen. Ihre Augen glänzen vor Freude und haben ein ansteckendes Lächeln auf den Lippen. Die ältere der beiden hat schwarzes lockiges Haar, das sie direkt an Aidon erinnern.

„Tanzt du mit uns?", bittet sie Misa, worauf sie ihre Hand mit einem Lächeln entgegennimmt. Die jüngere Schwester ist ein wenig schüchterner, aber dennoch neugierig. Sie beobachtet Misa aufmerksam und fasziniert. Im Gegensatz zu ihrer Schwester hat sie kurzes glattes Haar und viel hellere Augen. Dieselben hellbraunen Augen wie Aidon.

Als Misa nicht mehr kann, zieht sie sich von der Tanzfläche zurück, um kurz wieder Energie zu schöpfen. Die Jüngere der beiden stellt sich vor sie und zieht sie mit. „Guck mal, ich will dir unbedingt zeigen, was mein Bruder mir beigebracht hat." Das Mädchen steht vor Misa, ihr Blick von einer eindringlichen Ernsthaftigkeit geprägt, als sie sich konzentriert hinstellt. Mit einer Hingabe, die nur einem Kind eigen sein kann, schafft sie es, einen Steinbrocken durch leichte Handbewegungen zu heben.

„Wow", gibt Misa nur erstaunt von sich. Sie hat zuvor noch niemanden gesehen, der dieses Element beherrscht, und ein kleines Mädchen hebt einen Stein, der für ihren Körper viel zu schwer ist, mit Leichtigkeit. Ein Hauch von Errötung huscht über das Gesicht des Mädchens, als sie ihre Freude kaum zurückhalten kann.

Nach einer Weile des Tanzens und Spielens merken die Mädchen, dass Misa müde wird, und lassen sie sanft los. Sie verabschieden sich mit einem fröhlichen Winken und verschwinden dann wieder zwischen den anderen Kindern, um weiterzuspielen.

Misa entscheidet noch, einen Spaziergang außerhalb des Schlosses zu machen. Aidon hat ihr versprochen, dass ihr in diesen Mauern nichts passiere, egal wo sie hingeht und sie vertraut seinen Worten wie keinen anderen.

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