VIERUNDZWANZIG

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Am Mittag machen Misa und Kethy einen Spaziergang durch den Wald, doch düstere Wolken verhüllen den Himmel und lassen kein Licht durch. Die Sonne hat sich hinter der dunklen Wolkenschicht verborgen und ein kalter Wind streicht durch die Baumkronen. Selbst die Vögel scheinen bedrückt zu sein und ein beklemmendes Schweigen liegt über der verlassenen Stadt, das nur durch das gelegentliche Rascheln der Blätter durchbrochen wird.

Auf ihrem Weg passieren sie die verlassene Stadt, deren Ruinen trotz des Verfalls einen magischen Eindruck hinterlassen. Misa fragt sich, wie dieser Ort wohl vor Hunderten von Jahren ausgesehen haben möge.

Während sie durch die Ruinen spazieren, entdecken sie Lurra. Misa hat, seitdem Lurra erfahren hat, dass sich ihr Aufenthalt hier verlängert, nicht mehr oft gesehen.

Sie scheint noch weniger davon beeindruckt zu sein als Misa, auch wenn sie es wohl oder übel hinnimmt. Doch am Wetter ist unverkennbar, dass Lurra nicht in bester Stimmung ist.

Misa entdeckt sie dabei, wie sie sich die Umgebung um die Höhle des Drachen anschaut. Ihre Freundin ist gerade dabei, die Erde abzutasten, als Misa sich auf sie zubewegt.

„Was tust du da?", fragt Misa verwundert, aber Lurra scheint ihr nicht wirklich zuzuhören und tastet weiter verzweifelt die Erde ab.

„Ich möchte schnellstmöglich hier weg. Vielleicht kann ich den Drachen einfach ertränken", murmelt sie vor sich hin

„Sowas jemals von dir zu hören, hätte ich nicht gedacht", entgegnet Misa irritiert, doch Lurra seufzt nur genervt und legt sich auf den Boden. Kethy betrachtet sie von oben, bevor sie es sich auf ihrem Bauch gemütlich macht.

„Sie wollen Ean so lange hierbehalten, bis er den Drachen getötet hat. Ist dir klar, wie wenig Menschen bis jetzt in der Lage dazu waren?" Ihr Verhalten ist gerechtfertigt. Niemand weiß, wie man einen Drachen töten kann, was ziemlich merkwürdig ist, wenn man überlegt, wie wenige es noch von ihnen gibt. Das Einzige, was sicher ist, ist, dass ein Drache nicht mit Feuer getötet werden kann. Und das zeigt viel zu gut, dass Ean hier nun mal fehl am Platz ist. Mit dem Gedanken fällt Misa das Buch ihrer Mutter ein.

„Lurra, ich lasse Kethy bei dir. Ich habe vielleicht eine Idee", kommt es von ihr, worauf sie wieder zum Lager eilt. Dort ist es sehr ruhig, die meisten trainieren zu der Uhrzeit weiter außerhalb. Drei Frauen sind dabei, das Essen für den Abend vorzubereiten und paar weitere Männer sitzen schon betrunken am Tisch zusammen.

Misa schenkt dem ganzen keine Beachtung und geht schnell in ihr Zelt, in dem sie direkt das Buch hervorholt. Sie spürt die Kälte der rauen Seiten auf ihrer Haut, als sie das Buch öffnet. Die Seiten erscheinen genauso wie beim letzten Mal und sie blättert beharrlich weiter, bis sie auf die Seite mit den Drachen trifft. Dort sind verschiedene Arten von Drachen aufgelistet, von denen Misa bis dahin nicht einmal gewusst hat, dass es sie gibt. Oder zumindest gab. Sie betrachtet die Illustrationen und liest die Beschreibungen aufmerksam. Bislang hat sie angenommen, dass Drachen längst ausgestorben seien, doch das Buch lässt sie daran zweifeln.

Es gibt zu jedem Element eine Drachen-Obergruppe, und jeder dieser hat eine unterschiedliche Schwäche. Der Drache, der das Element Feuer beherrscht, wird durch Wasser geschwächt. Es ist der aggressivste der vier Arten und es ist fast unmöglich, diesen umzubringen.

„Zu zähmen kommt wohl nicht infrage", murmelt sie verzweifelt vor sich hin.

Misa liest sich alles ausführlich durch und die einzige Möglichkeit, die sie findet, ist es, ihm sein Augenlicht zu berauben. Sie findet diese Vorstellung um einiges schmerzhafter, als ihn umzubringen. Um ihn zu zähmen, müsste sie seine Sprache sprechen und eines der Elemente beherrschen. Sie kann sich vorstellen, dass das für Lurra möglich wäre, immerhin versteht sie die Tiere und auch beherrscht sie das Element Wasser.

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