ACHTUNDZWANZIG

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„Misa, ich habe für eure Reise Tränke vorbereitet", hört Misa Lurra sagen, während sie selbst schon im Halbschlaf ist. Ihre Worte dringen gedämpft zu Misa durch, als ob sie durch einen Schleier aus Träumen hindurchkämen.

„Ean hat mir erzählt, wie gefährlich Esmeraya für euch sein kann, besonders weil hier auch er bekannt ist. Ich packe sie einfach in deine Tasche und falls ihr mal nicht auffallen wollt, könnt ihr es trinken." Misa nickt langsam, obwohl die Worte eher wie ein ferner Traum klingen. Die Ermüdung, die der Alkohol mit sich gebracht hat, lässt sie kaum mehr zwischen Realität und Schlaf unterscheiden.

Die Verabschiedung am nächsten Tag dauert nicht lange. Lurra erklärt zum Abschied bloß, dass sobald sie in Ayan sind, sie Raben mit Briefen schicken wird. Raben sind dreister, schneller und bestechlicher. Über diese zu kommunizieren, ist um einiges einfacher als über Tauben.

Ean und Misa haben über den Vorfall am Abend nicht mehr gesprochen. Misa ist selbst von ihrem eigenen Verhalten schockiert. Nie zuvor hat sie sich so hasserfüllt verhalten und es macht sie unruhig zu wissen, dass sie dasselbe fühlt, wie es Freya in ihren Träumen tut.

Auch über die Worte von Cyrus haben sie nicht gesprochen. Misa hofft insgeheim, dass Ean davon ausgeht, dass sie nichts mitbekommen hat. Die Gedanken kreisen unentwegt in ihrem Kopf, doch sie wagt nicht, sie laut auszusprechen. Die Angst vor der Reaktion von Ean lässt sie verstummen und in sich gekehrt bleiben.

Lurra und Aidon nehmen die Pferde, um noch vor dem Schlüpfen des Drachens in Ayan zu sein. Zu Fuß würden sie Wochen brauchen und wer weiß, wie auffällig Kethy bis dahin mit ihrer Größe wird.

Als Cyrus sich bei Ean verabschiedet, verspricht er, dass er seinem Vater nichts von seinem Aufenthalt erzählen wird. Auch wenn Ean ihm hierbei mit geschlossenen Augen glaubt, schafft Misa es nicht, ihm Vertrauen zu schenken.

Esmeraya ist eine wunderschöne Provinz. Das Klima ist hier optimal. Es regnet ab und zu, jedoch scheint am nächsten Tag wieder die Sonne. Die Wälder sind überwachsen mit den schönsten Blumen. Jedoch sehen die beiden hier wesentlich mehr Stadt als Wald als in den Provinzen zuvor. Esmeraya ist um einiges mehr besiedelt, als es Uminya und Knyx sind. Sie sind drei Tage unterwegs, als sie die Berge und Vulkane an der Grenze zwischen Knyx und Esmeraya nicht mehr sehen können. Es ist auch der dritte Tag, als ihnen der Proviant ausgeht.

Das Geld, das Ean auf die Reise mitgenommen hat, ist mittlerweile aufgebraucht. Sie haben nur noch Misas Schmuck, was Ean sehr ungern verkaufen möchte. Misa kramt in ihrer Tasche und findet neben ihrem Schmuck vier Fläschchen mit einem Zettel und es ist eindeutig Lurras Schrift.

„Wenn ihr mal euer Erscheinungsbild ändern müsst. Ein Fläschchen wirkt bis zu sieben Tagen!"Misa liest die Worte auf dem Zettel vor und erinnert sich sofort an Lurras Worte, von denen sie gedacht hatte, sie seien nur ein Traum gewesen. Ean nimmt eines der Fläschchen und betrachtet es genauer.
„Was soll das sein? Hat sie es überhaupt schon mal ausprobiert, oder sind wir ihre Experimente?", äußert sich Ean skeptisch, während er das Fläschchen von allen Seiten inspiziert.
„Ich glaube, dass wenn Lurra sich nicht sicher wäre, hätte sie es uns nicht mitgegeben." Ean nickt zustimmend und packt dieses wieder zurück in Misas Tasche.

„Wie es scheint, sind wir gezwungen, euren Schmuck zu verkaufen", wechselt Ean das Thema mit einem Seufzen. Sie können sich nicht mal mehr eine Unterkunft leisten.

„Ich kenne jemanden in Velar. Ein alter Freund von mir. Ich könnte ihn drum bitten, das Gold einzuschmelzen und dann weiterzuverkaufen. Somit würde niemand erkennen, dass es eurer war", erklärt er, als sie sich weiter auf den Weg machen. „Und die Tränke kommen uns hier echt gelegen", kommt es überzeugt von Misa. „Zumindest, wenn sie funktionieren", entgegnet Ean ihr direkt.

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