SECHSUNDDREIßIG

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Um sie herum ist es dunkel, nur ein kleiner Lichtstrahl ist in der Ferne zu sehen. Misa schaut sich um und versucht zu begreifen, wo sie ist. Sie steht vom Boden auf und bewegt sich in die Richtung des Lichtes. Je weiter sie in diese Richtung läuft, desto weiter scheint er sich zu entfernen. Ein Gefühl der Dringlichkeit überkommt sie und sie beginnt zu rennen. Als sie das Licht endlich berührt, verliert sie den Boden unter ihren Füßen und fällt ins Nichts. Misa prallt auf dem Boden auf, fühlt jedoch außer einem kleinen Stich im Rücken keinen wirklichen Schmerz.

In dem Moment, als sie ihre zusammengekniffenen Augen öffnet, sieht sie, dass sie auf einem Feld mit roten Spinnenlilien gelandet ist. Die Sonne ist gerade dabei unterzugehen und außer dem Feld aus Blumen ist nichts in Sichtweite. Ein Bild, das Misa in einem anderen Moment vielleicht sogar hätte genießen können.

„Du bist endlich da", hört Misa eine sanfte Stimme hinter sich. Sie greift direkt zum Schwert und zieht es aus der Scheide, bevor sie sich zu der Person dreht.

Vor ihr steht eine junge Frau, in leichtem Stoff, komplett in Weiß gekleidet. Ihre Haut ist kreidebleich und ihre schneeweißen langen Haare sind mit einer Krone verziert. Ihre hellen, blauen Augen mustern Misa mit einem zufriedenen Blick. Die beiden sehen sich ähnlich, so wie es Geschwister tun.

Misa hält ihr Schwert in die Richtung der Frau, die exakt so aussieht, wie Freya in ihren Träumen.„Wer seid ihr?", kommt es mit einer harten Stimme von Misa. „Und wohin wurde ich gebracht? Ihr sollt wissen, wenn ihr mir was antut, werdet ihr mit dem Tod bestraft." Misas Hand zittert zwar, jedoch versucht sie alles, damit man dies nicht in ihrer Stimme heraushören kann.

„Du weißt, wer ich bin, und ich habe dich nirgendwo hingebracht. Du bist in deinem Kopf. Wo dein Körper im Moment ist, kann ich dir nicht sagen", erklärt die Dame in Weiß ihr mit einer sanften Stimme. Misa fühlt, wie ihre Welt ins Wanken gerät und nimmt zitternd ihren Arm herunter.

„Bin ich tot?", kommt es schon fast flüsternd von Misa, die Angst schnürt ihr fast die Kehle zu. Die Frau schüttelt den Kopf, ihre Augen bleiben sanft, aber bestimmt. „Im Moment nicht, genauso wenig, wie ich es bin. Deine Zeit wird kommen, so wie jedermanns. Aber heute ist dieser Tag noch nicht."

Misa atmet tief durch, versucht, ihre Gedanken zu ordnen. Ein Traum, es muss ein Traum sein. Doch, ohne dass Misa diese Worte ausspricht, widerspricht die Frau ihr; „Ein Traum? Nein. Träume sind nicht real. Sie sind flüchtig, unwirklich und oft vergisst man diese. Sie zeigen dir deine tiefsten Bedürfnisse. Aber das hier ist kein Traum. Was du hier erlebst, ist realer als jeder Traum. Es geschieht in deinem Kopf, weil es der einzige Ort ist, an dem ich dich erreichen kann", sagt die Frau, als hätte sie Misas Gedanken gelesen. Misa tritt einen Schritt zurück, ihre Gedanken rasen.

„Du kannst nicht Freya sein. Das macht keinen Sinn" Viel weiter bewegt sie sich nicht, da sie nicht die Blumen grundlos zertreten möchte. Die Frau lächelt, aber es ist kein warmes Lächeln, eher kühl und berechnend.

„Ich bin Freya. Die restlichen Menschen aus Caelium nennen mich als die erste Lewenstein, auch wenn ich nicht nur für die Taten meines menschlichen Lebens bekannt sein sollte." Freyas Stimme klingt sanft, fast melodisch, doch es schwingt eine unerklärliche Macht darin mit. „Ich habe lange darauf gewartet, dass du es endlich schaffst zu erscheinen, aber anscheinend bist du nicht dazu in der Lage, solange du dich sicher fühlst. Du hast den Abstand von deinem Begleiter nötig gehabt, um hierhin zu finden."

Misa versteht nicht genau, was geschieht. Alles fühlt sich so surreal an. Können Träume so realistisch sein? Freya tritt auf Misa zu und hält ihr eine Kette mit demselben Symbol hin, das auch auf ihrem Buch abgezeichnet ist und der Ring trägt, den sie gefunden hat. Misa zögert, nimmt es schließlich mit zitternden Händen entgegen.

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