VIERUNDDREIßIG

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IAm Horizont erkennen sie schon Ciel. Das Schiff legt an einem Berg an, und von dort aus müssen sie hinunter in die Stadt laufen.

Sie sind wie versprochen in zwei Stunden an ihrem Ziel angekommen und jetzt müssen sie nur noch in der Stadt unter den tausenden Menschen die richtige Person finden, die sie suchen.

Misa fühlt eine Mischung aus Erleichterung und Anspannung. Sie denkt an Lurra und Aidon, die nicht einmal gesucht werden mussten, geschweige denn Ean. Aber wo sollen sie nun hier anfangen? Sie haben nichts außer der Stadt und einen Hinweis, der nicht wirklich viel Sinn ergibt. Zwei Brüder und ein Held. Aber beachte, auch dein Feind kann ein Held sein.

Als Misa die Stadt von oben erblickt, erkennt sie dieselbe Architektur, die sie schon in Umi gesehen hat. Innerhalb der Mauern liegen Gärten, in denen Kirschblüten gerade anfangen zu blühen.

Hier unterscheidet sich jedoch das Adelshaus, das sich in der Mitte der Stadt erstreckt und von einer Mauer geschützt ist. Das Haupthaus erstreckt sich über mehrere Stockwerke in den Himmel. Das Dach ist geschwungen und leicht nach oben gebogen. Umgeben von Wachtürmen, die das Anwesen elegant und furchteinflößend erscheinen lassen.

Als die beiden vom Schiff steigen, bleiben sie kurz stehen, um zuzusehen, wie das Schiff weiterfliegt. Misa kann immer noch nicht glauben, wie sie vor einem Moment noch durch die Lüfte geschwebt ist. Sie versteht nicht, wie man so etwas verbieten kann. Wenn Himmelschiffe in allen Provinzen erlaubt wären, gäbe es keine Probleme mehr damit, Orte schnell zu erreichen.

„Mein Vater hat erzählt, dass euer Bruder die Himmelsschiffe auch in Arendel verbieten möchte. Euer Vater ist bei diesem Thema leider nicht anders", kommt es von Ean, als er dem Schiff hinterherschaut. Misa seufzt tief und denkt über die Ziele ihres Bruders Riku nach. Viele der politischen Entscheidungen ihres Vaters und auch Rikus sind für sie ein Rätsel und eine Quelle ständiger Frustration. Es ist, als würden beide sich von Angst oder Hass gegenüber Magie leiten lassen. Das war nicht immer so und das macht es für Misa umso frustrierender.

Sie erinnert sich an die Zeit, als sie noch jünger waren. Zu dem Zeitpunkt kannte Misa Ean noch nicht und sie hatte eine engere Beziehung zu Riku. Es war die Zeit, als sie Riku als mehr sah als bloß den Kronprinzen, der er heute ist.

Manchmal spielten sie im Garten Verstecken oder fingen Schmetterlinge und als sie hinfiel, half er ihr hoch und tröstete sie. Für ihn stand Misas Schutz immer im Vordergrund und das auch, obwohl die Königin es nicht leiden konnte, die beiden zusammen zu sehen.

Die beiden waren gerade dabei, Schmetterlinge zu fangen, als Riku stehen blieb und Misa ansah.
„Vater sagte, meine Mama kommt nicht mehr wieder", sagte der acht Jahre alte Junge. Misa erinnert sich an seine jungenhafte Stimme, die sie manchmal vermisste, als sie zu ihm auf dem Thron hochschauen musste. Sie drehte sich zu ihm um und nahm ihn in den Arm.

„Aber wir haben doch noch meine Mama, ich teile sie gerne mit dir. Immerhin siehst du bisschen aus wie Papa und meine Mutter liebt Papa", gab die naive Fünfjährige von sich. Riku hingegen schüttelte bloß den Kopf.

„Die Königin mag mich nicht. Aber solange du da bist, ist es nicht so schlimm. Und Papa möchte mich morgen bei einem Treffen sehen, wenn er jemanden aus der Wasserprovinz trifft. Er wollte mich schon lange nicht mehr sehen."

Misas Herz zieht sich bei der Erinnerung zusammen. Nun, als sie über diese Situation nachdenkt, realisiert sie erst, dass dies der Zeitpunkt war, als ihr Vater Riku die Politik näherbringen wollte. Nicht, weil er ihn einfach bloß sehen wollte. Riku hatte zu dem Zeitpunkt seine Mutter verloren, doch weder der König noch die Königin standen ihm bei. Misa erinnert sich noch an die Bälle, die ihre Mutter zu dem Zeitpunkt veranstaltete, obwohl Rikus Mutter todkrank war.
Ein Schauer läuft ihr über den Rücken, als sie darüber nachdenkt, wie glücklich die Königin über ihren Tod war, während ein kleiner Junge nur noch seine Halbschwester hatte.

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