Choi Soobin erwachte durch ein heftiges Poltern aus seinem Schlaf.
War es etwa sein Magen?
Es wäre möglich, immerhin hatte er seit ein paar Tagen nichts mehr gegessen. Und wie es aussah, schien es Sejung auch nicht sonderlich zu kümmern, wie es dem ›Gefangenen‹ ging, denn auch er war seit einiger Zeit nicht mehr nach Hause gekommen. Da Soobin sich aber nicht sicher war, ob Yeonjun und Beomgyu zur Polizei gegangen waren, hatte sich der Hüne damit abgefunden, hier zu sterben. Die Schmerzen an seinem Körper wurden allmählich unerträglich, als ob jede Bewegung ihn noch tiefer in den Abgrund ziehen würde.
Doch das Poltern wurde immer stärker und die Gewissheit, dass hier etwas nicht stimmte, trieb ihn an, seine letzten Kräfte zu mobilisieren.
Mit zitternden Gliedern richtete er sich im Bett auf.
Sein Blick fiel auf den dünnen Strahl des Sonnenlichts, der durch den schmalen Spalt der verriegelten Tür drang. Es kostete wahnsinnig viel Kraft, und er sackte wieder auf der Matratze zurück. Jeder Atemzug war ein Kampf und seine Lungen schienen zu brennen. Aber er wusste, dass er keine andere Wahl hatte, als durchzuhalten.
Mit letzter Anstrengung schob er seinen Körper zur Seite und blickte auf seine Handgelenke und Fußknöchel hinab. Er war ans Bettgestell gefesselt und wusste nicht, wie er sich bemerkbar machen konnte.
Er versuchte durch den Knebel, der das Atmen und Schlucken so schwer machte, Laute von sich zu geben, aber auch der Versuch war einfach unmöglich. Soobin spürte eine Welle der Panik in sich aufsteigen, während er versuchte, sich auf dem Bett hin und her zu drehen. Es war eine verzweifelte Botschaft an die Menschen da draußen, ein Hilferuf, der ungehört verhallte. Doch er gab nicht auf. Denn auch wenn die Dunkelheit um ihn herum immer bedrohlicher wurde, spürte er tief in seinem Inneren einen Funken Hoffnung, dass sich alles zum Guten wenden würde. Es war eine Chance, sein Leben neu zu gestalten, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und in eine Zukunft voller Hoffnung und Wiedergutmachung zu treten.
Die Menschen, die dort draußen in allen Räumen herumstöberten, schienen auf Soobins Schreie aufmerksam geworden zu sein. Man hörte Getuschel, dann laute Befehlsschreie und das Poltern wurde immer intensiver. Als die Tür schließlich gewaltsam aufgestemmt wurde, strömte ein gleißendes Licht in den stickigen, kleinen Raum.
Es war so grell, dass es Soobin blendete und er schloss die Augen für einen Moment. Das Adrenalin schoss durch seine Adern, als er realisierte, dass die lang ersehnte Rettung endlich gekommen war. Seine Augen weiteten sich vor Überraschung, als er die Uniformen und Abzeichen der Polizisten erkannte.
»Wir haben ihn!«, rief einer der Polizisten mit entschlossener Stimme, bevor die ganze Gruppe den Raum stürmte.
»Könnten Sie uns noch einmal genau schildern, was sich abgespielt hat, ab dem Zeitpunkt, wo das alles angefangen hat?«, fragte der Polizist mit dem ernsten Blick und fixierte ihn mit seinem eisigen Blick. Neben ihm saß ein Herr im Anzug und es schien, als würde er Notizen von dem Gespräch machen. Das Licht im Verhörraum war so grell, dass Soobin die Augen zusammenkneifen musste. Die Helligkeit bereitete ihm Kopfschmerzen und schien absichtlich gewählt zu sein, um ihn zu verunsichern und in die Enge zu treiben. So als ob sie seine Gedanken durchdringen und seine Antworten entlarven wollten.
Soobin zog den Kopf ein.
Er fühlte sich von den Polizisten eingeschüchtert, aber so sollte das wohl auch sein. Zwar wusste er nicht, warum er noch einmal alles wiedergeben sollte, aber vielleicht war es auch nur für das Protokoll.
»Mein Freund – Ex-Freund – Sejung kam eines Abends nach Hause und meinte, dass er Yeonjun mit seinem neuen Freund gesehen hatte«, begann Soobin daher zu wiederholen, »und er meinte, dass er um den Jungen besorgt sei, weil Yeonjun kein guter Freund gewesen wäre. Er lag mir damit wochenlang in den Ohren, hat versucht, mich davon zu überzeugen, dass es diesem Jungen – Beomgyu – schlecht ging. Dass Yeonjun ihn sogar im Pandemonium auf den Strich schicken würde. Ich wollte mich selbst davon überzeugen und bin zum Pandemonium gefahren, dabei begegnete ich einem von seinen Feiern.«
Zwei Augenpaare musterten ihn gespannt und wollten, dass er fortfuhr. »Und Sie konnten sich davon überzeugen, dass dies stimmt?«, fragte der Polizist.
Soobin biss sich auf die Unterlippe.
»Er hatte zumindest viele Fotos davon, wie Beomgyu Sex mit anderen hatte«, erzählte er den Polizisten weiter, ließ aber aus, dass er dazugehörte, »deswegen glaubte ich, dass es stimmt. Also habe ich Sejung zugesagt, dass wir Beomgyu vor Yeonjun schützen und wir haben diesen Plan ausgeheckt. Ich habe das Hotel in Brand gesetzt, Yeonjun angerufen und bin in sein Apartment eingebrochen, um diese Fotos zu verteilen. Danach habe ich gewartet, was passiert. Es war reiner Zufall, dass Yeonjun aus dem Gebäude ging, aber ich habe die Chance genutzt und Beomgyu ... geholt. Als ich mit ihm dann nach Hause gekommen bin, hat Sejung ihn in die Kammer eingesperrt und gemeint, dass er da drin sicher wäre, solange er sich um Yeonjun kümmert.«
Wie hatte er damals nur so dumm sein können?
Beschämt senkte Soobin immer weiter den Kopf, bis sein Kinn die Brust berührte.
»Als ich dann herausgefunden habe, dass mein angeblicher Freund nur versucht hat, wieder mit seinem Ex zusammenzukommen, habe ich Beomgyu aus dieser Kammer befreit. Und als Sejung davon erfahren hatte, wurde er so wütend, dass er mich bewusstlos schlug. Danach bin ich in der Kammer aufgewacht«, erzählte er weiter, doch der Schluss war gelogen.
Trotzdem breitete sich Stille aus und dann blickte der Polizist über dessen Schulter zu dem großen Spiegel, hinter dem sich wahrscheinlich ein Raum mit neugierigen Polizisten befand. Es war ein aufregender, gar besonderer Fall und das langsame Nicken des Beamten deutete darauf hin, dass er zustimmte. »Die Erzählung stimmt mit dem, was die Zeugen und das Opfer ausgesagt haben, überein«, sagte er, während der Anzugträger alles notierte. »Bloß eine Abweichung wäre da. Choi Beomgyu behauptet, Sie wären dazu genötigt worden. Stimmt das?«
»Wie?«, schnappte Soobin nach Luft, konnte kaum glauben, was er da gerade hörte. »Er hat ... – das kann ich nicht beantworten, ich habe Sejung wirklich geliebt. Aber ich habe mich bei seinen Gefühlen geirrt.«
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✔ ENCEPHALON: You Blow Me Away
Mystery / Thriller🅱🅴🅾🅼🅹🆄🅽 Der Femboy Choi Beomgyu wacht in einem kleinen Zimmer auf. Es ist dunkel. Gefesselt und geknebelt, bricht er in Panik aus. Bald muss er herausfinden, wer hinter der Entführung steckt. Und dass er nicht allein ist. Doch wer ist diese o...