Ganze zwei Jahre waren vergangen, seit jenem schicksalhaften Tag, an dem Yeonjun und Beomgyu den Mut aufgebracht hatten, zur Polizei zu gehen und Sejung wegen der Entführung und seinen abscheulichen Taten anzuzeigen. Sie hatten sich gemeinsam durch den zermürbenden Prozess der Ermittlungen und des Gerichtsverfahrens gekämpft. Es hatte viele Tage gegeben, an denen Zweifel und Angst sie zu erdrücken schien, aber sie hatten einander gestärkt.
Dank der umfangreichen Beweise, die sie gegen Sejung vorlegen konnten, darunter die leichten Verletzungen an Beomgyus Hand- und Fußgelenken sowie die Aussage von Soobin und wie man ihn im Apartment vorgefunden hatte, hatten sie eine gerechte Strafe für den Schuldigen erreicht. Die Gewissheit, dass dieser gefährliche Mensch nun hinter Gittern war.
Doch auch Soobin, der sich als Komplize von Sejung erwiesen hatte, war nicht ungeschoren davon gekommen. Er hatte seine Strafe im Gefängnis absitzen müssen, eine Zeit der Reflexion und des Bedauerns.
Dies war nichts, was Yeonjun bereuen würde.
Schon im ersten Jahr hatte er keinen Gedanken mehr daran verschwendet und jetzt stand er vor dem großen Spiegel in ihrem Schlafzimmer und ließ sich von seinem Liebsten ankleiden. Sie hatten viel durchgemacht, aber sie hatten auch viel gewonnen. Sie hatten sich selbst wiedergefunden, sich gegenseitig gerettet und waren noch stärker daraus hervorgegangen. Die Erinnerungen mischten sich mit einer leisen Melancholie und als Beomgyu sein Maßband von Yeonjuns Taille nahm und ihm in die Augen sah, konnte er darin Dankbarkeit und Liebe sehen. Die Vergangenheit mochte schmerzhaft gewesen sein, aber sie hatten gelernt, was sie im Leben möchten.
»Sieht wirklich gut aus, Prinzessin«, meinte Yeonjun stolz und betrachtete das von Beomgyu entworfene Kleid im Spiegel.
Es war schwarz, lag eng an und an den Seiten hatte es offene Schlitze. Der Stoff war angenehm und er konnte es kaum erwarten, dieses Prachtstück bei seiner Mutter zu präsentieren. Seine Eltern waren auch sehr glücklich über den Zuwachs und hätten nicht erwartet, dass die Beziehung so lange halten würde. Nicht einmal, dass Yeonjun angefangen hatte, seinen Job als Model zu lieben und sich dafür zu begeistern.
Nun konnte er seinen Job nämlich sogar zum Teil an Beomgyus Seite verbringen, denn obwohl es als Kind sein großer Traum gewesen war, in den Tiefen des Ozeans zu forschen und die Geheimnisse der Meereswelt zu entdecken, hatte Beomgyu im Laufe der Zeit erkannt, dass sein wahres Feuer in einem anderen Bereich brannte. Die Mode begleitete ihn seit vielen Jahren und ihm wurde eine kreative Ausdrucksmöglichkeit geboten, die sein Herz zum Schlagen brachte. Schon bevor er von zu Hause weggegangen war, hatte er eine tiefe Faszination für Stil, Design und die Verbindung von Farben, Formen und Textil gehabt. Eine Welt der Mode öffnete ihm eine Tür zu unendlicher Kreativität und Selbstentfaltung. Die Entscheidung, seiner Leidenschaft zu folgen und sich der Mode zu widmen, war für Beomgyu befreiend. Die Last war von seinen Schultern gefallen und seine Seele konnte sich Tag für Tag mit neuer Energie und Inspiration aufladen. Es war ein Weg, der ihm erlaubte, seine eigene Stimme zu finden und seinen künstlerischen Ausdruck zu zeigen.
Mit Yeonjuns Unterstützung und auch von dessen Mutter, die einige Modelabels leitete, wagte Beomgyu den Sprung in diese neue Welt. Gemeinsam erkundeten sie Modemarken, besuchten Ausstellungen und inspirierten sich mit neuen Ideen. Es war ein mutiger Schritt gewesen, sich von dem traditionellen, Studium basierten Karriereweg zu lösen und seinen eigenen Weg zu finden. Er hatte endlich seine Selbstliebe gefunden und herausgefunden, dass er in der Modewelt seine Träume formen und zum Leben erwecken konnte.
Die Mode und vor allem Yeonjun als Model wurde zu seiner Leinwand, auf der er seine Emotionen, Träume und Geschichten zum Ausdruck brachte. Jedes seiner entworfenen Kleidungsstücke, das aus Kleidern und Röcken für Männer bestand, erzählte seine eigene Geschichte, voller Individualität und Selbstausdruck.
Und weil er als Meeresbiologe nur auf Reisen sein würde, bei denen Yeonjun ihn kaum begleiten konnte, war der Beruf für ihn keine gute Option gewesen. Die Entfernung zu seinem Freund und die ungewisse Zukunft hatten ihn dazu veranlasst, einen anderen Weg einzuschlagen, wo sie beide glücklich miteinander sein konnten.
Und das waren sie auch, denn Yeonjun hatte in den zwei Jahren keine Medikamente mehr zu sich nehmen müssen. Auch die Aufmerksamkeit seiner Eltern war nicht mehr so von Bedeutung, denn alles, was er brauchte, bekam er von Beomgyu. Sie gaben einander das Gefühl von Heimat und Geborgenheit, das ihnen zuvor gefehlt hatte. Und dadurch war das Verhältnis innerhalb der Familie auch besser geworden.
Besser hätte es, für das Pärchen nach all den Strapazen wirklich nicht laufen können.
Und so nahm ihr Leben eine Wendung zum Besseren. Sie hatten sich durch die Dunkelheit ans Licht gekämpft und wurden schließlich vom Glück eingeholt. Während ihre Zukunft erst angefangen hatte, begann der Anfang einer völlig neuen Geschichte ...
Es war triefend nass vom prasselnden, unerbittlichen Regenschauer. Die Lichter der Straßenlaternen und Häuser, sowie die von Clubs und Fahrzeugen spiegelten sich wie bunte, funkelnde Juwelen in den Pfützen wider, die sich auf dem Asphalt gesammelt hatten. Jeder Tropfen, der auf den Boden traf, erzeugte ein Plätschern, das die Stille der Nacht durchbrach.
Ein junger Mann stand in diesem Regen.
Wirkte verloren und hilflos.
Nicht nur seine Kleidung triefte vor Wasser, sondern auch sein blondes Haar klebte ihm an der Stirn und im Nacken. Traurige Augen blickten auf das Gebäude vor ihm, mit dem sein Unglück wohl angefangen hatte.
Choi Soobin hob das Kinn leicht an und seufzte.
Doch das Geräusch ging im Regen komplett unter, vermischte sich mit der Melodie des herab prasselnden Wassers.
Die Zeit seiner Gefängnisstrafe war vorüber und für ihn gab es keinen Sejung mehr. Damit besaß er auch keine Wertgegenstände und fand sich ohne Heim, ohne Besitz und ohne Arbeitsplatz wieder.
Sein neues Zuhause würde dieses Gebäude vor ihm werden.
Das Pandemonium.
Das Mysterium, das das Pandemonium umgab, war greifbar. In dieser Atmosphäre schien das Gebäude eine eigene Seele zu haben, eine, die gefangen hielt, aber auch Antworten versprach.
Mit dem Regen auf seiner Haut und den funkelnden Lichtern in seinen Augen trat Soobin entschlossen auf das Gebäude zu, doch sein Herz blieb für einen Moment nachdenklich, denn er wusste, dass diese Nacht und all ihre Geheimnisse sein Leben für immer verändern würden.
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✔ ENCEPHALON: You Blow Me Away
Mystery / Thriller🅱🅴🅾🅼🅹🆄🅽 Der Femboy Choi Beomgyu wacht in einem kleinen Zimmer auf. Es ist dunkel. Gefesselt und geknebelt, bricht er in Panik aus. Bald muss er herausfinden, wer hinter der Entführung steckt. Und dass er nicht allein ist. Doch wer ist diese o...