1 - Wenn Liebe dich loslässt

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Zuerst war da ein Knacken.

Das war das Erste, was ich überhaupt wahrnahm. Knack. Knack. Plopp. Schon wieder! Dieses Mal schien es in meinem Kopf zu sein. Und als hätte ich

einen Schalter umgelegt, liefen die Schmerzen in meinen Schädel. Wie Wasser, das durch einen Fluss fließt.

Mit einem Keuchen riss ich die Augen auf und starrte in das gleißende Licht der Petroleumlampe über mir. Ich spürte meinen Kopf so deutlich wie noch nie zuvor in meinem Leben. Ein Kater war nichts dagegen.

Meine Finger zitterten, als ich sie vorsichtig hob und gegen meine Schläfe drückte. Augenblicklich fühlte ich mich merkwürdig beobachtet, so als seien tausende Kameras auf mich gerichtet.

„Geht es Ihnen gut?"

Die Stimme war ein Messerstich in mein Hirn.

Langsam versuchte ich, mich aufzurichten, doch zwei riesige Hände drückten mich wieder nach unten auf die Liege. Der Druck der fremden Finger auf meiner Schulter fühlte sich merkwürdig an, kribbelnd, wie wenn kleine Käfer über die Haut krabbelten.

„Lassen Sie es ruhig angehen", meinte die Stimme. Sie gehörte einem Mann, war sowohl dunkel und hell, warm und kalt und bedrohlich und vorsichtig zu gleich. Auf Anhieb faszinierte sie mich.

„Sie sind in der Spielzeugabteilung ohnmächtig geworden."

Während die Worte zu meinem Gewissen durchdrangen, musterte ich den Mann in Polizeiuniform. Sein Haar war dunkelblond und fiel ihm platt in die Stirn, sein Gesicht war schmal und kantig, der Blick äußerst ernst. Seine Augen funkelten in einem unnatürlichen Grau, fast schon bleistiftfarbenden. Sofort fand ich ihn noch ein kleines bisschen interessanter. Außerdem war er verdammt jung. Ich schätzte ihn so ungefähr auf mein Alter.

Automatisch begann es in mir vor Vorfreude zu kribbeln und zu glühen. Ein kleiner Hoffnungsfunke glimmte in meiner Brust auf. Vielleicht, ganz vielleicht, würde ich mit ihm arbeiten. In meinem Kopf formten sich Bilder, Wunschvorstellungen, er und ich zusammen auf der Wache, rumalbernd. Wie er wohl hieß?

Das Formular in seiner Hand fing an zu zittern, als er mir ins Gesicht sah. Mit einem Mal wirkte er panisch, überrascht. Verunsichert. Seine Augen sprachen Bände. Flehten mich an. 'Bitte, bitte, bitte, bitte. Das hast du nicht gesehen', flüsterten sie.

Mit einem heftigen Ruck wandte er sich ab und kramte etwas zu hektisch nach einem Stift. Irgendetwas an mir verunsicherte ihn. Wahrscheinlich hatte er Bilder von mir gesehen, wusste, wohin ich gehörte, was weiß ich. Noch viel Wahrscheinlicher war, dass er Sam kannte und er ihm von mir erzählt hatte. Wenn ich ehrlich war, verwunderte mich die ganze Show hier sowieso nicht. In diesem merkwürdigen Dorf passierten ständig solche Dinge, die eigentlich viel zu unnötig waren. Ständig wurde man dumm angeguckt und wenn man nicht aufpasste war man schon am nächsten Morgen das Gespött der ganzen Einwohner. Im Nachhinein betrachtet, hätte mir auffallen müssen, dass mit ihm etwas nicht stimmt. Aber war es nicht.

„Wie... wie heißen Sie?"

Der Polizist versuchte ruhig zu klingen.

Freundlich.

Professionell.

Stattdessen hörte ich deutlich seine Verunsicherung, seine Angst heraus. Ich vernichtete seine Selbstsicherheit.

Meine Stimme klang quietschig, wie die Scharniere einer Tür, die geölt werden mussten.

„Rosa", antwortete ich. „Rosa Bünting." Lange hallte sie in meinem Kopf nach, wie ein Echo.

Schattengier - Würdest du aus Liebe töten?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt