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Als wir auf dem Hof einbogen und ich mich gerade abschnallen wollte, griff Michelle noch einmal nach meiner Hand. „Rosa?", fragte sie nun völlig sanft. Ihre Berührung rüttelte mein Herz aus seiner Nebelstarre und ließ mich allmählich wieder auftauen. Wenn ich ehrlich war, dann gefiel mir dieser kurze Zustand von nichts wahrnehmen.

„Bitte mach keine Dummheiten, ja?"

Seufzend blickte ich sie an. „Ich versuch's", murmelte ich und stieg aus. Mir wurde das alles zu blöd.Die Sonne schien wieder und erhitzte die Septemberluft. Es war irgendwie total diesig; sanfter Dunst lag über den Feldern und ließ alles irgendwie feucht wirken. Als würde die Natur schwitzen. Sah so auch der Emotionsnebel aus, in dem ich meine Gefühle versteckte?In Gedanken versunken schnappte ich mir die Einkaufstüten, während Michelle in den Garten ging um Kräuter zu holen. In der Tür wartete Darvin mit einem ziemlich düsteren Gesichtsausdruck auf mich. Wütend riss mir mein ach so toller Schwager die Tüten aus der Hand. „Was soll das?", fragte ich empört. Seine finsteren Blicke schienen mich erdolchen zu wollen. Augenblicklich krabbelte die Wut in mir hoch. Was hatte ich denn jetzt schon wieder gemacht, von dem ich nichts wusste?„Du hast Besuch", knurrte er wütend, deutete in Richtung Wohnzimmer und trug die Tüten in die Küche. Ratlos blieb ich im Flur stehen. Wer sollte mich denn bitteschön besuchen? Mitten in meiner Bewegung stockte ich. Sofort beschlich mich ein ungutes Gefühl von Bedrängnis. In meinem Kopf machte es Klick und automatisch spannte ich mich an. Es gab nur eine einzige Person, bei der Darvin so reagierte. Bei der er so schrecklich an genervt war. Ich trat ins Wohnzimmer und wäre am liebsten rückwärts wieder rausgegangen.„Hallo Rosalie."

Verdammt Rosa, sag was.

„Hallo."

Krampfhaft versuchte ich, meine Stimme neutral klingen zu lassen. Auf keinen Fall sollte sie meine Wut spüren. Sie. Diese verdammt bescheuerte blöde Kuh.

Maggie.

Ich kann bis heute nicht fassen, dass Maggie Longfellow mal eine meiner besten Freunde gewesen war.

Maggie Longfellow, die Dorfdiva.

Maggie Longfellow, die mit Sam geschlafen hat.

Maggie Longfellow, die mir versuchte, alles weg zu nehmen.

Wut kroch in mir empor, doch ich ließ es mir nicht anmerken. Ich spannte mich an, setzte meine kühle Maske aus und starrte sie unbewegt an. Versuchte, die Gefühle allesamt wieder nicht mehr wahrzunehmen, abzuschalten, zurück in den Nebel zu schmeißen.

„Ich hörte, dass du wieder da bist."

Vor einem Sessel blieb ich stehen und krallte meine Finger in das Polster. Musterte sie. Ihre Finger strichen durch ihre langen schwarzen Haare, ihr rot geschminkter Mund war zu einem leichten Schmollen verzogen und ihre anmutig langen Beine hatte sie übereinander gelegt. Und ihr Kleid war mal wieder viel zu kurz und übersäht von Pailletten.

„Und?", fragte ich gereizt. „Was hat es dich zu interessieren, ob ich wieder da bin oder nicht?" Meine Stimme war getränkt von Unfreundlichkeit. Mein Herz schnürte sich zusammen. Unverzüglich spürte ich, wie der alte Schmerz in meiner Brust empor kroch, von mir Besitz ergriff. Niemals würde ich vergessen, wie sie beide, splitternackt, aus Sams Wohnwagen geschlichen kamen, die Wangen gerötet, die Münder zu einem Lächeln verzogen. „Och Rosalein", zwitscherte sie amüsiert und riss mich aus meinen Erinnerungen. „Bist du immer noch nachtragend?" Schweigend blickte ich weg. In meinen Gedanken spielte ich damit, in die Küche zu gehen, ein Messer zu holen und ihre Kehle durchzuschneiden. Ihren letzten, röchelnden Atemzug zu sehen und sie danach eiskalt liegen zu lassen, machte mich irgendwie glücklich und leicht. Bei dem Gedanken an das ganze Blut, das sich auf dem Teppich ausbreiten und sich in den Stoff fressen würde, wurde mir warm. Plötzlich erschrak ich über mich selbst. Dachte ich das gerade wirklich?

Schattengier - Würdest du aus Liebe töten?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt