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Wenn man dem Tod auf diese Weise begegnete, dachte man anders über das Leben nach. Im Tatort machten sie immer einen auf cool und unbekümmert, begegnetem dem Tod kühler, aber in Echt war das eben nicht so. Kein Tatort Kommissar hatte schon mal seine ehemals beste Freundin tot im Wald gefunden und sich eine Woche vorher noch ihren Tod ausgemalt. Wie sollte man da auch kühl und professionell reagieren? Ein Ding der Unmöglichkeit. Sam bestand darauf, mir beim Bäcker etwas zu Essen zu kaufen, weil er Angst hatte, dass ich umkippte. Allerdings stimmte ich nur ungerne zu, einfach, weil wir uns vorher gestritten hatten. Während er mich also durchs Dorf fuhr und mich mit einem ohrenbetäubenden Schweigen strafte, dachte ich darüber nach, was ich noch alles tun wollte. Ich fragte mich, wie ich sein wollte. Und wie mich die Anderen in Erinnerung behalten solle. Ich erinnerte mich daran, dass ich das früher immer mal wieder vergaß und mich einfach gehen ließ. Und wie ich dann wieder mit voll Karacho auf dem harten Boden der Realität landete. Sofort dachte ich, dass das meine Strafe war. Dafür, dass ich mir Maggies Tod gewünscht hatte. Dafür, dass ich den Schmerz im Leben vergaß. Augenblicklich wurde mir klar, dass heute Morgen mein einziges Problem aus Sam Perlman und unserer Vergangenheit bestand. Allerdings erschienen mir nun alle Probleme lächerlich, wenn ich sie mit Maggies Tod verglich. Allmählich hörte der Regen auf und die letzten Tropfen fielen krachend vom Himmel, hörten auf, ihr Tropfenlied zu singen, das mich so beruhigte. Erst als dröhnende Stille herrschte und meine Gedanken in meinem Kopf Amok zu laufen schienen, überrannte mich ein Hungergefühl. Wie konnte ich nur jetzt ans Essen denken? Innerlich tadelte ich mich selbst dafür und dachte automatisch an Maggie, Maya und mich, wie wir einmal in der Stadt waren und uns darüber zerstritten, wo wir zuerst hingehen wollten. Ich wusste selbst nicht, warum ich gerade jetzt daran dachte. Ich wusste nur, dass wir alle drei glücklich gewesen waren. Als Sam vor der Bäckerei hielt, fiel mir sieden heiß ein, dass sie dummerweise seiner Tante gehörte. Und noch dümmer war es, dass sie mich einfach nicht ausstehen konnte. „Da wären wir", murmelte er und lächelte schwach. Auch er sah ziemlich mitgenommen und kraftlos aus. Sofort legte sich eine leichte Angst um meine Schultern, dass er mein laut pochendes Herz hörte. „Ich warte hier auf dich", meinte er schließlich und nickte in Richtung des Ladens. Missmutig stieg ich aus. Der Wind peitschte mir ins Gesicht, erfüllte mich mit dem Duft des Regens und der Kälte. Auf wackeligen Knien stakste ich die kleine Treppe hoch und drückte die Tür auf. Augenblicklich wurde ich von dem Geruch der frisch gebackenen Brötchen überrollt, der so viel angenehmer war, als der Nässeduft draußen. Liz Perlman, Sams leicht hysterische Tante, lugte hinter dem Tresen hervor und als sie mich sah, wurden ihre kleinen Drachenaugen schmal. Ihr rundliches, verschwitztes Gesicht verzog sich zu einer grimmigen Grimmasse. „Rosalie Bünting." Ihre Stimme war nicht mehr als kalter Abscheu. Verkrampft wischte sie über die Theke. „Ich freue mich auch, dich wieder zu sehen, Liz", erwiderte ich müde. Sobald ich es sagte, fiel mir auf, dass ich das tatsächlich so meinte und mich wirklich freute, sie zu sehen. „Spars dir", zischte Liz nur und nickte dabei zu Tür. Ihre roten schulterlangen Locken wippten dabei auf und ab. Einmal mehr fiel mir ihre Ähnlichkeit zu einem Cockerspaniel auf. Hinter mir bimmelte das Glöckchen wieder und als ich mich umdrehte, stand Adam in der Tür und blickte uns mit erstaunt weit aufgerissenen Augen an. „Huch. Hallo", murmelte er und trat näher. Liz schenkte ihm einen abwertenden Blick. „Na sowas", stichelte sie, beachtete ihn aber nicht weiter. Ihre kleinen Augen betrachteten mich düster. Augenblicklich beschlich mich der Verdacht, dass sie mich am liebsten erdolchen würde. Mit einem Nicken deutete sich zur Tür. „Ich will dich nicht in meinem Laden haben", zischte sie zu mir. „Es wäre besser, wenn du jetzt gehst." Sprachlos blickte ich sie an. Verdammter Mist aber auch, wieso besaß ich dieses sagenumwobene Talent, es mir immer mit allen Leuten zu versauen? Sofort zog sich mein Herz schmerzhaft zusammen. Erst als ich diese brennenden Seile auf meiner Haut spürte merkte ich, wie erschöpft ich eigentlich war. „Aber... Aber ich wollte doch nur..." Doch Liz schüttelte ihre Cockerspaniel Locken und unterbrach mich mit einem herrischen Grunzen. „Nachdem, was du Sam und seiner Familie angetan hast, kannst du wirklich nicht erwarten, dass du hier noch willkommen bist!" Ihre Handflächen hauten wütend auf die Ablage. „Raus jetzt!", brüllte sie, ihre Stimme war gespannt vor Wut. Die jetzt auch in mir aufstieg. Sofort ballte ich meine Hände zu Fäusten und kniff die Augen zusammen, sagte aber nichts mehr dazu. Verbissen drehte ich mich um und stapfte wütend zur Tür. Dumme Liz! Selber schuld, wenn sie ihre Kunden vergraulte! Hastig rannte ich die Stufen herab und auf Sam zu, der mich fragend anblickte. „Alles okay?", fragte er, nach dem er die Scheibe runterließ. Zitternd schüttelte ich den Kopf. „Sie hat mich rausgeworfen!", wütete ich und verkrallte meine Finger in meinen Haaren. Sofort pumpte sich der altbekannte Jähzorn wieder hoch. „Natürlich wusste ich, dass sie mich nicht mag, ich mag sie ja auch nicht sonderlich. Aber nun hasst sie mich förmlich! Du hättest sie sehen sollen! Ich hab sie noch nie so... wütend gesehen!" Seufzend lief ich vor seinem Auto auf und ab. In meinem Bauch drehte und verkrampfte es sich, während in meinem Kopf Gedanken hin und her flogen. „Beruhig dich mal", murmelte Sam. Plötzlich sah er richtig schuldbewusst und ängstlich aus. „Ich... ich rede mal mit ihr, ja? Komm Rosa, steig ein, ich fahr dich nachhause." Seine Stimme klang so warm und voller liebe... Doch ich konnte mich jetzt unmöglich neben ihn setzen. Schließlich war es nicht nur Liz' Verhalten, das mich so auf die Palme trieb. Sondern auch das, was sie gesagt hatte. Sie beschuldigte mich, Sam und seine Familie verletzt zu haben. Offensichtlich war ihr absolut nicht bewusst, was für ein falsches Spiel ihr heißgeliebter Neffe mit mir gespielt hatte. Nein, wenn ich mich jetzt neben ihn setzte, würde ich ihm das alles an den Kopf schleudern. Und nun, wo wir uns einigermaßen wieder verstanden wollte ich das nicht noch mal ansprechen. Kraftlos schüttelte ich schließlich den Kopf und kam vor seinem offenen Fenster zum Stehen. „Ich... ich glaube ich brauche einfach Zeit für mich. Und gehe nachhause." Seine erbsengrünen Augen begannen zu schimmern, als er mich ansah, mich von oben bis unten musterte. Hoffentlich sah er ein, dass es sinnlos war, mit mir zu diskutieren. Seufzend griff er nach seinem Schlüssel. „Wenn du meinst", murmelte er und blickte mich traurig an. „Wenn irgendetwas ist, dann rufst du mich bitte an, ja? Und melde dich, wenn du zuhause bist. Sonst mache ich mir Sorgen, dass dir was passiert ist." Mit einem leichten Flattern im Bauch blinzelte ich ihn an, nickte aber. Wow. Ich hätte nicht gedacht, Sam so leicht überzeugen zu können. Doch ehe ich ehrleichtert aufatmen konnte, holte er noch einmal tief Luft. „Du hasst sie, nicht wahr? Ich weiß, Rosa, sie... sie ist ziemlich kompliziert aber... aber sie macht sich Sorgen. Vergiss das bitte nicht." Wenn er wüsste, dass es mir nicht um Liz ging. Sobald er mir noch ein letztes flüchtiges Lächeln schenkte, kurbelte er die Scheibe hoch und ließ den Motor an. Mit einem flauen Gefühl im Bauch betrachtete ich ihn, das Spiel seiner Muskeln unter seinem Hemd, den aufmerksamen Blick. Vielleicht stimmte es ja. Und ich war noch nicht ganz über ihn hinweg. Augenblicklich verbat ich mir diese Gedanken. Jetzt über Sam und meine Gefühle für ihn nach zu denken war sinnlos. Stattdessen versuchte ich irgendwie meiner Wut Platz zu machen und musste an Adam denken.Der arme tat mir richtig leid, dass er das gerade mitbekam. Hoffentlich durfte er sich jetzt nichts von Liz anhören. Ein paar vereinzelte Regentropfen knallten auf meinen Kopf, fast dachte ich, es sei Eis, weil es so wehtat. Heute war einfach nicht mein Tag. Ja, das musste es sein. Einfach nicht mein Tag... „Hey, was machst du denn noch hier?"Überrascht fuhr ich zu Adam herum, der mit einem breiten Grinsen auf mich zukam. Sofort warf ich das merkwürdige flaue Gefühl über Board, wo es im dunklen Wasser der Vergessenheit ertrank. „Hey", sagte ich leise und fuhr mir mit der Hand übers Gesicht. Maggies stumpfe grüne Augen erschienen plötzlich vor mir und sofort wurde mir schlecht. Wie hatte jemals ein Hungerfühl bei mir existieren können? „Du siehst aus, als hättest du gerade eine Leiche gesehen", sagte Adam und sah mich einen Moment lang besorgt an. Wenn er wüsste... Augenblicklich legten sich dicke Ketten um meine Brust. „Soll ich dich fahren? Du siehst aus, als ob du jeden Moment umfällst", meinte er und musterte mich besorgt. Hastig nickte ich. „Klingt gut." Lächelnd ging er mir voraus auf sein Auto zu, öffnete mir ganz altmodisch die Tür und bedeutete mir, mich zu setzen. Das Polster und mir knarzte und quietschte und der Duft nach Leder und Desinfektionsmittel überwältigte mich für einen Moment. Verdammt, Adams Auto war einfach nur penibel sauber und aufgeräumt. Irgendwie begann ich mich unwohl zu fühlen. Kam schwang er sich neben mich auf den Fahrersitz, blickte er mich ernst und besorgt an. „Darf ich fragen, was da eben los war? In der Bäckerei, meine ich." Sofort entwich meiner Lunge ein schwerer Seufzer. In mir wirbelte ein Sturm an Gefühlen hin und her, Angst und Trauer, Sprachlosigkeit, Fassungslosigkeit, Schock. Aber vor allem Wut. Zitternd holte ich Luft, während Adam den Wagen startete. „Liz konnte mich noch nie ausstehen", sagte ich leise und starrte auf meine Hände. „Sie meinte immer, ich bringe Sam nur Unglück. Und als dann diese Sache zwischen uns passiert ist... da hätte sie mich am liebsten sofort umgebracht." Sobald ich an jenen dunklen Abend zurück dachte, verknotete sich alles in mir drin. Erstaunt stellte ich fest, dass ich mich, obwohl ich schon so lange nicht mehr daran zurück gedacht hatte, immer noch gut an diesen Abend erinnerte. Obgleich ich ihn so krampfhaft zu verdrängen versuchte. Adam nickte nur. Trotzdem sah ich in seinem Blick, dass er mehr wissen wollte. Ich spürte, wie er mit sich rang, wie diese Intensität seines inneren Kampfes auf uns über schwappte und die Atmosphäre im Auto krampfhafter werden ließ. „Die Sache mit Sam..." Seine Stimme klang wissend und wütend, als wüsste er genau, wovon er sprach. Prüfend blickte ich ihn an, beobachtete, wie sich sein bleistiftgrauer Blick weitete und er seine Hände wütend zu Fäusten ballte. So sonderbar sein innerer Kampf auch zu sein schien: Er war trotzdem süß. Und so unglaublich faszinierend! Sofort begann es in meinem Herzen zu flattern. Momentan war er der Einzige, der sich für meinen Kram interessierte. „Ja...?" „Also die Sache mit Sam... darf... darf ich fragen, was da passiert ist?" Schluckend blickte ich ihn an, spürte, wie die Trauer in mir empor kletterte und meinen Hals zu schnürte. Erst als die Sicht vor meinen Augen verschwamm merkte ich, wie heiß sie wurden. Ich war noch nicht so weit. „Vielleicht erzähl ich es dir irgendwann mal", murmelte ich mit belegter Stimme. Krampfhaft versuchte ich, den Nebel wieder herbei zu rufen, meine Gefühle in dieser rettenden Dunstwolke zu verstecken. Erfolglos. Betrübt schloss ich die Augen. In meinem Kopf brummte und pochte es, der Wunsch, mich einfach ins Bett legen zu können, war so unglaublich groß; er überwältigte mich, sperrte mein hilfloses Selbst in eine dunkle Ecke und ergriff von mir Besitz. Automatisch versagten meine Muskeln ihren Dienst, sodass ich schlapp und kraftlos in Adams Sitz hing und leidend aus dem Fenster starrte. „Ist alles in Ordnung?", fragte er da plötzlich besorgt und legte mir eine Hand auf den Schenkel. Seine Stimme war wie ein Messerstich in mein Hirn. Gequält sah ich zu ihm rüber. „Heute war einfach nur... anstrengend", hauchte ich ins Wageninnere und betrachtete versonnen seine große Hand auf meinem Bein. Eine kleine Narbe zeichnete sich in der Mulde zwischen Daumen und Zeigefinger ab und die Adern stachen deutlich unter dem blassen Teint hervor. Gedankenverloren strich ich über sie. Als meine Fingerkuppen seine weiche Haut berührten, durchschoss mich ein wildes Flattern, krallte sich glühend heiß in mein Herz. Augenblicklich schoss mir Maggie wieder durch den Kopf, schnell und schmerzhaft wie ein Pfeil. „Maggie Longfellow ist tot." Meine Stimme überschlug sich fast vor Anspannung und Müdigkeit. Adams erschrockener Blick heftete sich auf meine Schultern, brannte sich in meine Haut. „Wie bitte?", fragte er erstaunt. „Wie ist das denn passiert?" Ehrliche Betroffenheit triefte in seiner Stimme. „Das wissen wir noch nicht", murmelte ich und fuhr mir mit der anderen Hand über die Stirn. „Sam hat die Kripo drauf angesetzt, aber mehr weiß ich noch nicht." Hilfesuchend blickte ich ihn an, spürte, wie mich dieser Druck einfach nur belastete. „Darf ich dir was anvertrauen?", flüsterte ich in die ohrenbetäubende Stille, die einzig und allein durch das Brummen des Motors unterbrochen wurde. „Natürlich", sagte er voller Aufrichtigkeit und Ernst. Hoffentlich hielt er mich jetzt nicht für verrückt oder so. Aber der Drang, jemandem davon zu erzählen, von diesen gewissen Gedanken war so stark, dass ich wusste, wenn ich es nicht tat, würde ich zerbrechen.„Adam ich... Also als sie plötzlich in meinem Wohnzimmer aufgetaucht ist wegen Sams Geburtstag da... also..." Die Wörter legten sich quer in meine Kehle, um zu verhindern, dass ich sie aussprach. Doch alleine konnte ich mit dem Kram doch nicht rum laufen, oder? Sofort beschlich mich das Gefühl, dass es vielleicht doch keine so gute Idee wäre, ihm von den Mordgedanken zu erzählen. Deshalb schaute ich plötzlich weg und schüttelte eilig den Kopf. „Also...?" „Also nichts", sagte ich schließlich um eine feste Stimme bemüht. „Es... es ist nicht so wichtig..." Adam schüttelte den Kopf. „Komm schon, Rosa", meinte er grinsend und zwinkerte mir zu. „Du kannst es mir ruhig erzählen." Sofort wandte ich mich ab, fühlte mich, als versuchte er, mit aller Macht in mich einzudringen. „Vielleicht kannst du zu Sam auf die Wache fahren", sagte ich stattdessen. „Ich glaube, er kann Hilfe ganz gut gebrauchen." Augenblicklich griff seine Hand nach meiner. „Wenn irgendwas ist, dann kannst du jeder Zeit anrufen, okay?" Kraftlos nickte ich. „Danke." „Gut. Dann ruh dich jetzt bitte aus, ja?" Sein Blick war so voller Sorge doch gleichzeitig funkelten seine Augen voller Aufrichtigkeit und... Liebe? Seine Finger strichen vorsichtig über meine, ließen ein leichtes Kribbeln in mir aufflammen. Mit quietschenden Reifen kam er auf der Einfahrt unseres Hofes zum Stehen, schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln. „Da wären wir", murmelte er und ließ seinen Blick über das alte Fachwerkhaus wandern. „Danke fürs Mitnehmen", lächelte ich schwach. Offenbar war ich so erschöpft, dass ich nicht mal mehr meine Gefühle wahrnahm. Ehrleichtert stellte ich fest, dass ich den Nebel erfolgreich hervorgerufen hatte. „Nicht dafür", erwiderte Adam mit einem Grinsen und löste seine Hand aus meiner.

Schattengier - Würdest du aus Liebe töten?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt