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Plötzlich erinnerte ich mich wieder an die Steinmauer, auf der Sam damals nach Liz' Tod saß und wie der einsamste Mensch auf Erden aussah.

Ich blickte zurück auf die längst verstrichene Zeit, in der ich dachte, dass alles noch halbwegs gut war, in der ich mich nicht entscheiden musste, wen ich lieber mochte.

Adam oder Sam.

Mit gemischten Gefühlen starrte ich wie gebannt auf mein Handy, als könnte es all meine Probleme lösen. Mit einem Mal spürte ich die Last der Päckchen auf meinen Schultern viel deutlicher als jemals zuvor.

So musste es sich also anfühlen, wenn man zerschlagen wird.

Wenn man den Boden unter den Füßen verliert und in einen ungeheuren Alptraum gezogen wurde.

Mein erster Impuls war, Sam anzurufen. Doch mit Sam würde es wieder so kompliziert sein. So gewöhnlich. Und ich brauchte Ablenkung. Mit zitternden Fingern hielt ich mir den Hörer ans Ohr.

Ich musste jetzt Adams Stimme hören, diese Abwechslung spüren, dieses Neue. Doch so oft ich auch anrief, es sprang immer nur die Mailbox an.

Scheiße, scheiße, scheiße.

Immer noch heulend und von der Panik beherrscht ließ ich mich an dem Auto herab gleiten und setzte mich auf den Boden, direkt in das Blut. An den Rändern der Lache, wo es aufhörte, sich in den Asphalt zu fressen, begann es bereits zu trocken und auszusehen wie Gummi.

Wo konnte Adam denn nur stecken?

Wie konnte er mich jetzt allein lassen, wo ich ihn doch so dringend brauchte?

Enttäuscht drückten meine schwitzigen Finger erneut auf dem Display herum.

Vielleicht wird ja doch nicht alles kompliziert.

„Rosa?", meldete sich Sam nach kurzer Zeit. „Rosa?"

Als ich seine Stimme hörte, seine göttliche Stimme, durchschüttelte es mich. Ein riesiger Brocken von Panik und Verzweiflung, von Angst und Hilflosigkeit fiel von meinem Herzen ab.

Ich war mir sicher, dass er es hörte.

Sofort lösten sich die kleinen Wiederhaken aus meiner Haut, ließen mich allein zurück mit meinen Gedanken. Vor Erleichterung drang ein kehliger Schluchzer aus meinem Mund. „Sam", wimmerte ich in den Hörer. „Sam bitte sag etwas zu mir."

Um meine Brust schnürten sich dicke Ketten. Ich schien innerlich zu explodieren. Dieser Druck zermürbte mich, stach mit seinen eisernen Messern in meine Adern, trieb mir die Luft aus den Lungen. Immer und immer wieder schlichen diese Schluchzer über meine Lippen. Hallten in meinem Kopf wieder, wie Echos.

„Rosa wo bist du? Was ist passiert?"

Endlich durchflutete seine besorgte Stimme wieder meine Ohren, erfüllte mich mit Vertrautheit und Wärme. Für einen kurzen Moment vertrieb sie meine gesamte Verzweiflung. Gab mir Kraft.

„Darvin", wisperte ich mit tränenerstickter Stimme. „Ich glaube er... er ist tot, Sam." Sobald er die Bedeutung von meinen Worten verstand, zog er scharf die Luft ein. „Wo bist du, Rosa?", murmelte er.

„Ich weiß es nicht."

Orientierungslos blickte ich mich um. Das einzig Vertraute, das ich sah, war mein Auto auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Dieses Dorf, diese Straße, kam mir plötzlich ungeheuer fremd vor. „Ich glaube, ein Stückchen weiter von hier und man kommt zu der Kreuzung in Richtung Stadt." Woher kam das denn bitteschön jetzt? Doch ich war viel zu müde, um weiterhin über meine Gedanken nachdenken zu können.

Schattengier - Würdest du aus Liebe töten?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt