36 - Wenn Liebe dich tötet

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144 Stunden und ich wusste nicht, ob ich noch lebte oder nicht. Ob ich schon tot war, genauso wie all die anderen, die aus dem Leben gerissen wurden, aus meinem Leben.

144 Stunden.

Sechs Tage.

In denen nichts passiert war.

Ich lag in meinem Bett und versank in Gedanken. Immer wieder blitze Darvins toter Körper vor mir, der Blutfleck, in Form eines Schmetterlings. Krampfhaft versuchte ich mich an seinen Blick zu erinnern, doch da waren immer nur diese stumpfen, leblosen gewöhnlich blauen Augen, die das Autodach anstarrten. Aber auch ohne ein genaues Bild von ihm zu haben wusste ich, dass er anders geguckt hat als Maggie und Liz. Während sie eher einen Hauch von Überraschung auf ihren Gesichtern hatte, wirkte Darvin nicht sonderlich schockiert.

Dann hatte er seinem Mörder von vorneherein zugetraut zu töten.

Vorsichtig schloss ich meine schmerzenden Lieder. Ich würde ihn finden. Wenn diese beschissenen Kripo-Leute nichts auf die Reihe bekamen, dann würde ich das eben selbst in die Hand nehmen. Für Michelle.

Doch erst als mich plötzlich ein heftiger Nieser überwältigte, merkte ich, dass ich schon wieder eingeschlafen war. Erschrocken blinzelte ich gegen das Sonnenlicht an, das mit einem Mal durch die Vorhänge brach und mein Zimmer erhellte.

„Was zum...?"

Meine Stimme klang wie ein öliges Krächzen. Ähnlich wie das eines Raben. Mit meiner zitternden Hand schirmte ich meine Augen ab. Sobald ich erkannte, wer da in meinem Zimmer stand, und zwar in voller Montur, griff ich hastig nach meiner Decke und versuchte, meinen Einhorn-Pyjama zu verstecken.

Das durfte doch echt nicht wahr sein!

„Was willst du hier?", knurrte ich leise und setzte mich richtig auf. Als mich sein bleistiftgraues Strahlen erfasste, wurde sein Blick sanfter und auf seine Lippen legte sich ein zartes Lächeln. Ich hatte nicht vergessen, dass Adam vor sechs Tagen nicht da gewesen war, obwohl ich ihn so dringend gebraucht hätte. Und ich werde ihn das auch nicht vergessen lassen. Ich finde, wenn man immer nur verzeiht, macht man es dem anderen zu leicht, und bringt sich selbst in Gefahr, ausgenutzt zu werden.

Ich würde diesen Stein für immer zwischen uns stehen lassen.

Adam stemmte gespielt beleidigt die Hände in die Hüften. „Ich bin hier, um dich endlich aus deiner Depression zu holen", antwortete er streng. Na so was. Mein Retter in der Not.

In mir wirbelte ein Klotz an Gefühlen umher, die todesmutig den rettenden Nebel verließen. In der einen Ecke stand Wut, die sich mit Enttäuschung um die Steuerung prügelte, während Trauer und Verzweiflung die Sicht versperrten, sodass das eckige Gebilde blind durch meinen Körper flog und mir irgendwelche Sachen aufriss.

Die alten Wunden fingen wieder an zu bluten.

Adam blickte mich immer noch fragend an, bis er sich schließlich auf die Bettkante setzte, ganz dich vor mich. Sein Atem streifte meine Wange, seine Finger fuhren langsam über meine. Eigentlich hätte mir bei seiner Berührung ein angenehmer Schauer über den Rücken laufen und sich Wärme in meinem Herzen ausbreiten sollen. Doch stattdessen schien es mich regelrecht anzuekeln. Wie konnte einem der Druck der Finger, von denen man vor noch nicht mal keine Ahnung wie vielen Tagen dachte, dass man sie liebt, so angewidert sein?

In diesem Moment fragte ich mich, wie ich jemals dazu in der Lage war, mich von diesen Fingern berühren zu lassen.

Langsam wandte ich mich von ihm ab, fixierte meinen Blick auf die Decke, die erfolglos meinen Pyjama versteckte.

Schattengier - Würdest du aus Liebe töten?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt