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"Was?"

Darvins Stimme riss mich aus der Erinnerung und holte mich zurück ins hier und jetzt. Seine Arme immer noch vor der Brust verschränkt, stand er an einen Stuhl gelehnt da und starrte mich feindselig an.

"Wird dir grade klar, wie scheiße du bist?" In seiner Stimme schwang ein amüsierter Unter-ton mit, der mit voller Wucht unter meine Haut kroch und mich einmal kräftig durchschüt-telte, ähnlich wie Todd Marshall damals auf dem Pausenhof.

"Macht es dir eigentlich Spaß, mir weh zu tun, Darvin?"

Finster kam er näher an mich ran geschlichen. Dabei erinnerte er mich irgendwie an Otto

Walkes, wenn er beim Laufen die Beine so komisch anwinkelte. Fast sah es sogar lustig aus. Doch in mir schien alles eingefroren und blutig zu sein. Sofort durchspülte mich der tiefe Wunsch einfach in mein Bett zu gehen und mich unter der Decke zu verkriechen.

"Komm ja nicht auf die Idee, dass ich das für mich tue!", schnauzte er. "Ich mache das alles für deine Schwester. Irgendwie muss man dir ja die Augen öffnen."

Genauso finster wie er versuchte ich zurück zu starren.

"Und da hast ausgerechnet du dich zu meinem Mentor erklärt, oder was?" Er war mir jetzt so nah, dass ich kleine Schweißperlen auf seiner Stirn glitzern sehen konnte. Seine gewöhnli-chen blauen Augen trieften vor Wut und Schmerz.

Sagte man nicht, dass die Augen das Fenster zur Seele waren? Dass sie die tiefsten Gefühle wieder spiegeln konnten, wenn man nur wusste, wie man sie las?

"Denk bloß nicht, dass ich das freiwillig mache!", keifte er sauer. "Ich musste deiner Mutter versprechen, auf dich auf zu passen!"

Augenblicklich machte sich in mir ein riesiger Schock breit.

Er also auch noch... Genauso wie Michelle.

"Aber doch nicht so!", sagte ich hastig. "So machst du alles kaputt!"

"Ist ja auch richtig so, dann lernst du endlich mal was Schmerz bedeutet." Ich schüttelte den Kopf. Meine Augen schwammen schon wieder in Tränen.

"Darvin das ist einfach nur armselig", schniefte ich. "Anderen Schmerz zu zufügen, damit sie etwas lernen, führt nur zu Angst. Und ich habe Angst, Darvin. Vielleicht denkst du ja, dass ich vor allem wegrenne. Dass ich mich irgendwo verstecke. Niemals etwas bereue. Aber das stimmt nicht. Und zu denken, dass du mir so hilfst, auf diese Weise, macht dich zu ei-nem schlechten Menschen, Darvin! Wem kann man denn so helfen?"

Sofort spürte ich einen brennenden Schmerz in der Wange.

Einige Sekunden später erst dieses eklige Geräusch, wenn eine Hand auf die Wange trifft. Erschrocken blickte ich ihn an, spürte, wie sich der Schock in meinen Adern breit machte und mich lähmte.

"Darvin!"

Wir beide zuckten zusammen und blickten entgeistert Michelle an, die plötzlich neben uns in der Küche stand. Ihre Augen schwammen in Tränen, glitzerten im Küchenlicht.

Und ihr Körper zitterte wie Wackelpudding, den man heftig hin und her schüttelte.

"Schatz...", hob Darvin mit ebenso zittriger Stimme an. „Schatz das..."

Doch sie schüttelte den Kopf. Sofort überrollte mich tiefer Schmerz, genauso wie sie. Ich wollte sie in den Arm nehmen, ihr sagen, dass alles wieder gut werden würde.

Eine leere Versprechung.

Wir alle hier wussten, dass eben nicht alles gut werden wird.

Denn gut war früher.

Schattengier - Würdest du aus Liebe töten?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt