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"Rosa? Rosa!"

Verdutzt öffnete ich die Augen, als hektisch an mir gerüttelt wurde. Finger gruben sich in meinen Arm und der Schmerz holte mich zurück ins Hier und Jetzt.

"Hey! Rosa... Wie... Wie lange sitzt du hier schon?"

Ich starrte erschrocken in Adams bleistiftgraue Augen, die mich geschockt anblitzten. Inzwischen war es dunkel geworden und einige Sterne leuchteten am Abendhimmel. Erst als sich mein Herzschlag wieder beruhigte, konnte ich Buchstaben zu Worten formen, vernünftige Silben zustande bringen. "Ich... Ich weiß nicht", stammelte ich und stand hastig von den kalten Steinen auf.

"Ich hab auf dich gewartet."

Er lächelte und strich sich das Haar aus der Stirn. Willkürlich wurde mir etwas wärmer, sobald sein Grinsen mein zerstückeltes Herz erreichte. Erst als ich die Arme von mir streckte merkte ich, wie kalt und steif ich eigentlich war. Rasch schüttelte ich sie etwas aus, damit mein Blut allmählich wieder durch meine Venen schoss.

"Sollen wir noch ein Stückchen gehen?", fragte Adam und klang beinahe schüchtern. Sein Vorschlag klang wie Musik in meinen Ohren. Vergessen waren Herzrkriege und Kältegedanken, mein Herz donnerte heftig gegen meine Rippen und ich war mir fast sicher, dass er es hören konnte.

Wärme durchströmte mich. Mein Kopf bewegte sich wie von selbst, während sich erst der eine Mundwinkel zögernd hob und schließlich den anderen hinterher zog.

"Dann komm."

Vorsichtig lächelte er mich an und ich folgte ihm die Stufen und dann seine Einfahrt herunter, wobei sich unsere Finger miteinander verschränkten, als hätten sie das schon tausende Male gemacht. Es fühlte sich unbeschreiblich gut an, wie sein Daumen über meine Haut strich, das Prickeln und Prasseln sich unter die Zellen schob und mich vergessen ließ, dass ich eigentlich viel zu kaputt war, um so etwas Wunderschönes zu fühlen.

"Willst du mir erzählen, was passiert ist? Also... Die ganze... Geschichte?", fragte er schüchtern, nach dem wir eine ganze Weile schweigend gegangen waren. Der Kies knirsche unter unseren Schritten.

Meine Hand in seiner.

Es fühlte sich unglaublich gut an. Doch ein kleiner Teil meiner Seele zweifelte immer noch an Adam. Ich wusste, dass es dafür einen Grund geben musste, den ich allerdings noch nicht sehen konnte. Das da noch irgendetwas war, eine stumme Vorahnung vielleicht, die sich durch mein Herz fraß und meine Adern mit Zweifeln füllte. Ich seufzte.

"Sie ist lang", murmelte ich und blieb wie erstarrt stehen, als ich sah, wo wir waren. Willkürlich pumpte sich Schrecken in mir empor und füllte mich mit seiner Kälte.

Wir standen mitten auf der mit Gras überwucherten Lichtung der Fabrik, die vorher der Marshall-Familie gehörte. Jene Fabrik, von der jeder im Dorf wusste, dass sie nur Schande über die Dorfgeschichte brachte.

"Ich habe Zeit", murmelte Adam irgendwann und riss mich aus meinen Gedanken. Doch dann bemerkte er meinen skeptischen Blick und drückte meine Hand.

"Schau mal nach oben", wisperte er und beugte sich unverzüglich noch ein kleines bisschen weiter zu mir runter. Seine Lippen streiften die kühle Haut meiner Wange und hinterließen einen wohligen Schauer aus Prickeln und Prasseln.

Ich legte den Kopf in den Nacken und bestaunte das mit Sternen überwucherte Himmelszelt. "Okay", sagte ich mit zittriger Stimme und ließ mich neben ihn ins feuchte Gras sinken.

In Erinnerungen zu versinken konnte doch nicht so schlimm sein, oder?

Tief in meinem Herzen spürte ich, dass ich einen Fehler begang.

Schattengier - Würdest du aus Liebe töten?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt