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Als endlich die ganzen Dörfler aus unserem Haus verschwunden waren, räumte ich gedankenverloren den Tisch ab.

In den verstrichenen Wochen war mein Herz sowohl ein Schlachtfeld für gute und schlechte Gefühle, als auch eine Müllhalde für den ganzen Rest geworden. Während sich Liebe und Hass einen erbitterten und qualvollen Kampf lieferten, lud Trauer auf der Müllhalde seinen gesamten Schrott ab. Schmerzenstränen kullerten meine Wangen hinab und klatschten auf die Tischplatte.

Tropf, Tropf, Tropf.

Platsch, platsch, platsch.

Als ginge die Welt unter. Meine ganz persönliche, eigene, klitzekleine Welt.

"Rosa? Was...?"

Als ich aufblickte, stand Darvin in der Tür und blickte mich fest an, die Kiefermuskeln angespannt. Mit tränenverschleiertem Blick räumte ich die Kaffeetassen weg und in die Spülmaschine ein, versuchte bloß, ihm auszuweichen, um nur nicht seinen gewöhnlichen blauen Augen zu begegnen. Ich spürte seinen Blick im Nacken. Spürte, wie er mich musterte, mich auf jedes Detail prüfte, als wäre ich Ware, die er auf Schäden kontrollierte.

Dabei gab es gar nichts zu kontrollieren.

Immerhin war alles an mir ein Schaden. Oder nicht?

Plötzlich stand er neben mir, sein blondes Haar war noch nass vom Duschen. "Hör mal, wegen vorhin", meinte er und ich konnte ehrliches Bedauern in seiner Stimme hören. "Michelle hat eurer Mutter versprochen, auf dich aufzupassen. Und ich finde es einfach nur scheiße, dass du das mit Händen und Füßen trittst."

Willkürlich setzte mein Herz einen Moment lang aus, nur um dann doppelt so schnell weiter zu schlagen. Ich ballte die Hände zu Fäusten und spürte, wie die Trauer in mir hochkrabbelte und sich die Wut allmählich in Zorn verwandelte und sich in meinen Adern verankerte.

"Ich trete gar nichts mit Händen und Füßen!", zischte ich und wandte mich ihm nun komplett zu, damit er mein tränennasses Gesicht betrachten konnte.

Damit er sah, was er in mir anrichtete.

"Du trittst mich mit Händen und Füßen, Darvin Lightgow! Ich versuch's ja. Ich versuch echt alles! Aber ständig würgst du mir was rein und..."

Der plötzliche Schlag ließ mich geschockt inne halten.

Meine Wange brannte.

Schmerz überrollte mich.

Doch es war mir egal.

Ich starrte Darvin an, der mit hocherhobener Hand vor mir stand, das Gesicht wütend verzerrt, Hass in seinen Augen.

Der langsam seine knorrigen Finger nach mir ausstreckte und mich in seinen Bann zog, seinen ekligen Schleier über mich legte und mich in einen eisigen Kokon hüllte.

Sobald ich einen Schatten im Augenwinkel wahrnahm, zuckte ich zusammen.

Michelle stand in der Tür und schlug sich geschockt die Hand vor den Mund. Erst als ich sie sah, überrollte mich der Lärm, der seine Ohrfeige in mir auslöste.

"Ich hasse dich!", zischte ich leise. "Warum saßt du nicht in dem Auto, statt Mama und Papa? Ich hasse, hasse, hasse dich!" Meine Stimme war ein wütendes Gekreische. Getränkt von... keine Ahnung was. Auf dem Schlachtfeld fing der Krieg wieder an, dieses Mal überrollte mich der Schmerz. Heftig atmend drückte ich mich an Michelle vorbei in den Flur und eilte zur Tür, versuchte, sie hektisch aufzureißen und aus meiner ganz persönlichen Hölle zu flüchten. Rasch ließ ich das Holz ins Schloss fallen.

Rang nach Luft und rannte.

Einfach weg.

*

Gefangen zu sein, in seinen eigenen Gedanken, fühlt sich scheiße an.

Es ist, als würde man nur im Kreis gehen, ganz egal, wie oft man versuchte, die Gedanken zu sortieren, zu kategorisieren und zu chronologisieren.

Man drehte sich einfach im Kreis. ‚

Auf dem Schlachtfeld, das sich mein Herz nannte, war der Krieg in vollem Gange. Wut überwältigte Vertrauen, Hass drängte Liebe in eine Ecke und Trauer nahm Glück in den Schwitzkasten.

Die Chancen für die guten Gefühle standen ziemlich schlecht.

In der Hoffnung, schon zu wissen, wo ich hin lief, stapfte ich einfach drauf los, während die Gedanken sich noch um sich selbst drehten und meinen Kopf mit ihrer Grausamkeit folterten. Abermals drängten sich mir die Fragen auf, warum ausgerechnet mein Leben so ein einziges Chaos war und wie ich nur mit diesem ganzen emotionalen Mist fertig wurde.

Und mein Männerproblem, wie Darvin es so lieb genannt hatte, war noch nicht mal mit einbezogen.

Ich rang nach Atem, um dieses eklige Enge-Gefühl aus meiner Brust zu vertreiben. Blinzelnd blickte ich mich in der einbrechenden Dämmerung um, nur um verdutzt fest zu stellen, dass ich vor dem Marshall-Haus gelandet war.

Doch Adam war nicht zu hause. Kein Licht brannte. Sein Auto stand nicht in der Einfahrt.

Automatisch fühlte ich mich wie der ausgebombteste und einsamste Mensch der Welt. Kraftlos ließ ich mich auf die unterste Treppenstufe sinken, allein mit meinen Gedanken, meinen Gefühlen. Eine riesige Kette hatte sich um meine Schultern gespannt und drückte das gesamte Gewicht meines Päckchens auf mich drauf. Langsam schlich sich die Kälte in meinen Körper und ich bereute, dass ich keine Jacke mitgenommen hatte.

Fröstelnd saß ich da und wartete auf Adam, der nicht kam, so verzweifelt ich ihn mir auch herbei wünschte.

Schattengier - Würdest du aus Liebe töten?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt