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Ich fuhr noch nicht einmal fünf Minuten, als sich eine merkwürdige Kälte um meine Schultern legte und die Übelkeit vertrieb. Plötzlich merkte ich, wie irgendetwas mich streifte, Finger, oder ... Haare? Augenblicklich nistete sich ein leichter Anflug von Angst in meinem Bewusstsein ein, krallte sich tief in die empfindliche Haut und ließ mich vor Schmerz leise aufwimmern.

Erst als ich neben mich blickte erkannte ich Maya, die betroffen auf meinem Beifahrersitz saß. Und zitterte. Wie Wackelpudding, den man heftig schüttelte.

„Oh Rosa", klagte sie und schlug sich beide Hände auf die Wangen. „Rosa, es tut mir so, so Leid!"

„Was tut dir Leid?", erwiderte ich und spürte, wie die Angst ihre Krallen wieder einzog. Der Schmerz nach ließ. Doch Maya verstummte und starrte bloß unbewegt aus dem Fenster. Wieso war sie denn nur so stur? Und warum sagten Geister einem nicht, was sie zu sagen hatten? Seufzend setzte ich meinen Blinker und fuhr rechts ran. Meine Finger zitterten vor Kälte, als ich den Schlüssel drehte, um den Motor ersterben zu lassen.

„Maya", sagte ich mit fester Stimme. „Ich weiß, dass ich den Mörder finden muss. Ich weiß das und ich versuche es. Okay?" Doch als sie mich anblickte, zeichnete sich auf ihrem Gesicht ein völlig anderes Bild ab, als ich erwartete. Sofort nahm tiefe Sorge den Platz von Angst ein. „Was ist los? Ist es schon zu spät? Hat er noch jemanden umgebracht?" Aufgebracht griff ich nach ihrem Arm. „Antworte mir endlich!"

Tränen klopften leise gegen meine Augen, ließen sie ganz heiß werden, stechend. Als prügelten sie mit Messern auf meine Pupillen ein. Meine Stimme klang grässlich. Sie zerriss vor Panik, Angst und Sorge, vor Schmerz und Reue. Warum hatte ich mich nicht schon eher darum gekümmert? Wieso hatte ich es darauf ankommen lassen?

Wieso war es mir anfangs egal gewesen?

„Rosa", murmelte Maya schließlich und beugte sich weiter zu mir. Aus ihrem Augenwinkel quälte sich eine einsame Träne aus Blut, die schwer über ihre Wange kullerte. „Ich habe einen Fehler gemacht, Rosalie", wisperte sie. „Ich habe jemand Falschen des Mordes beschuldigt." Ihre Worte trafen mich wie ein Schlag ins Gesicht. Wie eine dicke, schwere Decke legten sie sich über meine Brust und drückten all den Ballast herunter, der sich darauf im Laufe des letzten Monats angesammelt hatte.

Ich spürte meine Narben deutlicher, als jemals zuvor.

„Wie meinst du das?", brachte ich geschockt heraus und blickte sie mit großen Augen an. Weitere Blutstränen schälten sich aus Mayas Augen und liefen in stetigen Strömen über ihr Gesicht, nur um von ihrem Kinn auf den Bezug meines Sitzes zu tropfen. In jedem anderen Moment hätte ich mich fürchterlich darüber aufgeregt. Doch nun war es mir egal.

„Ich dachte die ganze Zeit, dass es jemand anderes sei", schluchzte sie. „Ich habe den fürchterlichsten Fehler meines Lebens gemacht, Rosa! Jemand unschuldiges des Mordes zu bezichtigen... das ist nicht richtig! Ich muss ihm sagen, dass es mir Leid tut!" Ein jämmerlicher Seufzer quoll aus ihrem Mund heraus und heftig zuckend ließ sie sich gegen die Rückenlehne tiefer in den Sitz sinken.

„Hey."

Obwohl in meiner Kehle ein großer Kloß heran wuchs, der mir die Luft zum Atmen raubte, versuchte ich trotzdem die passenden Worte zu finden. Mit zitternden Fingern fuhr ich über ihren Arm und versuchte, sie irgendwie zu beruhigen, damit sie endlich aufhörte, meinen Sitz voll zu bluten. Trotzdem breitete sich auch in mir ein merkwürdiges Gefühl aus, das sich über die schwere Decke legte und ich ein zusätzliches Gewicht auf meiner Brust spürte.

„Maya", wimmerte ich vorsichtig, um nicht ebenfalls in Tränen auszubrechen. Immer wenn sie weinte, musste ich mit ihr heulen. Vollkommen blutverschmiert blickte sie mich an, wischte sich mit eine ihrer blassen Finger übers Gesicht. „Du kannst ihn immer noch aufhalten", wisperte sie. Ihre Stimme klang heiser von den Tränen. Allmählich nistete sich dieser typische metallene Geruch des Blutes in meiner Nase fest und brachte ihn langsam zum Klirren und klingen. „Wenn du dich nicht beeilst, dann wird er bald all die umgebracht haben, die du liebst." Sprachlos blickte ich sie an.

Schattengier - Würdest du aus Liebe töten?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt