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Mit einem heftigen Ruck stieß ich meine alte Zimmertür auf. Sofort ließ ich meine Taschen fallen, trat einen Schritt in den Raum rein und drehte mich einmal um mich selbst.Ein riesiger Brocken fiel von mir ab.Fast hörte ich ihn.

Ich kam nach Hause.

Augenblicklich überrumpelte mich eine alte Erinnerung. Ich saß bei meiner ersten Nachtschicht als Polizistin auf der Wache, als mein Vater plötzlich anrief. Sturzbetrunken verkündete er mir am Anfang, dass er maßlos enttäuscht von mir sei und sich wünschte, mich nicht als Tochter zu haben. Wenn ich daran zurück dachte spürte ich noch immer diese grässlichen Schnüre um meinem Hals, an denen ich fast erstickte. Schließlich eröffnete er mir, dass Mama und er mich vermissten und es nicht übers Herz brachten, mein Zimmer auch nur zu betreten. Bei der Erinnerung an seine Stimme durchflutete mich ein kalter Schmerz. Die Trauer nagte an meinem Herzen, immer weiter und weiter, bis es irgendwann auseinander brach.

Doch tatsächlich behielt mein Vater Recht. Es sah alles noch genauso aus wie damals, das war immer noch mein Zimmer.Meine Festung!Wo alles normal war. Wo es sowas wie seltsame Dorfbewohner nicht gab. Wo ihre Worte mir nichts anhaben konnten. Wo ich sicher war.Wehmütig schloss ich die Tür hinter mir, stellte den Koffer in eine Ecke und ließ mich aufs Bett fallen.

Fiel nach hinten. Schwerelos, als würde ich fliegen.

So, wie Papa und ich das immer gemacht haben.Damals, als alles gut war.Damals, damals, damals...„Damals ist tot, Rosa!", flüsterte ich in mein Zimmer hinein. „Es gibt kein Damals mehr! Du bist jetzt jemand anderes. Find dich damit ab!"Unverzüglich wanderte mein Blick über die Holzdecke, so wie früher. Ich suchte was. Irgendwas. Irgendwas von dem ich wusste, dass es da war, doch ich es nie fand.

Nie.

Dieses Suchen beruhigte mich immer, wenn es mir schlecht ging.

Langsam liefen mir Tränen über die Wangen, schmerzhafte Tränen, vielleicht aus Angst, vielleicht aus Wut. Vielleicht auch aus Trauer.

Weil das Damals weg war.„Hier stimmt etwas nicht", flüsterte ich. „Irgendetwas stimmt ihr verdammt nochmal nicht!" Doch nur was? Verdammt noch mal...

Sofort klickten sich nach und nach die Gedanken in meinem Hirn an, wie Dominosteine, die langsam umkippten. Allerdings blieb der rettende Stein, die Erkenntnis, aus, sodass ich nur frustriet den Kopf schüttelte.

Wie sagte schon Scarlett O'Hara?

Verschieben wir's doch auf morgen.

*

„Rosa? Kannst du mit Mad Gurken holen gehen?"

Michelle sah mich mit einem betont freundlichen Blick an und bedachte mich mit einem betont zuckersüßen Lächeln. Egal was es an ihr war, aber ihre Freundlichkeit machte mich misstrauisch. Vielleicht lag es an ihrem betont freundlichen Verhalten beim Frühstück, aber ich glaubte immer noch, dass hier gehörig etwas nicht stimmt. Dass sie und mein ach so toller Schwager mir etwas verheimlichten.

Und das lag bestimmt nicht daran, dass sie alles so fürsorglich betonten. Seufzend griff ich nach der kleinen Hand meiner Nichte Madlene, die von allen nur Mad genannt werden wollte. „Komm Mad", sagte ich zu ihr herunter. „Lassen wir Mommy mal allein." Ich warf Michelle einen finsteren Blick zu. Kann sein, dass sich jedes Mädchen Kinder wünscht und gerne mit ihnen spielt und auf sie aufpasst und alles, aber ich konnte Kinder nicht ausstehen. Sie waren zu laut, zu nervig, zu ungeduldig.

Auch wenn ich es nicht gerne zu gab, aber irgendwie erinnerten sie mich an mich selbst, als ich klein war. Mad hüpfte aufgeregt auf und ab. „Magst du Gurken?", fragte sie mit ihrer zuckersüßen Kinderstimme und sah mich mit ihren blauen Kulleraugen an. Im Licht des Supermarktes glitzerten sie wie Wasser, auf das Sonnenlicht traf.„Oh ja", antwortete ich gut gelaunt. „Ich liebe Gurken. Und du?" Amüsiert blickte ich zu ihr herunter. Sofort schüttelte sie den Kopf und verzog angewidert das Gesicht. „Sie sind total eklig!"

Schattengier - Würdest du aus Liebe töten?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt