19

127 16 0
                                    

Erschrocken starrte ich ihn an, blickte ihm direkt in die tiefen, erbsengrünen Augen, und sah geschockt mit an, wie etwas in ihm zerbrach.

Sam war stark. Sehr stark.

Dass er mir hier so offen seine Gefühle zeigte, musste bedeuten, dass er es ernst meinte.

Verdammt ernst. Schließlich zerbrach so jemand wie Sam nicht so schnell.

Mein Herzschlag war so laut, dass er alles andere übertönte. Das rauschende Blut in meinen Adern, die immerzu lauten Gedanken, die von einer Seite meines Gehirns in die andere flogen und dabei ständig gegen meine Schädelwände krachten. Ich schluckte und stand schwer atmend auf, um auf ihn zu zugehen. Gott, das durfte doch alles nicht wahr sein. Warum war mein Leben nochmal so chaotisch?

Während Sams Augen hektisch hin und her blickten und er dabei das heiße Wasser in eine Tasse goss, fühlte sich jeder Schritt, den ich auf ihn zu trat, an wie ein verdammt großer Fehler. Als marschierte ich gradewegs ins Unglück.

Aber war das möglich?

Zweimal von der gleichen Person aufs Tiefste erschüttert und verletzt zu werden?

Konnte man zweimal um ein und denselben Menschen trauern?

"Sam...", murmelte ich, ließ den Satz aber in der Luft hängen. Gerade jetzt verweigerte mir mein Hirn jeden Dienst und ließ mich stumm in meiner Küche herum stehen.

Er starrte nach draußen, die Tasse in der Hand, an der er sich krampfhaft fest hielt. Mein Herz tat weh, je näher ich ihm kam und es zog sich immer schmerzender und brutaler zusammen. Als ich vor ihm stand und zu ihm raufblickte, sah ich eine einzelne Träne, die seine Wange hinunter kullerte und von seinem Kinn aus auf den Boden tropfte.

Beinahe spürte ich den Schmerz, der auf seinen Schultern hockte und sich von seiner Furcht ernährte. Innerlich zerriss er, spürte, wie sich seine Seele teilte und zusammen mit den Tränen auf den harten Grund der Realität tropfte.

Ich hatte ihn erst einmal weinen sehen.

Einmal.

Nicht als seine Mutter starb, nicht als sein Vater starb, nicht mal bei Liz hatte er geweint. Dabei war das doch seine Familie; das waren die Leute, die ihn liebten und auch für immer lieben würden.

Aber damals, an jenem Abend, an dem ich ihm sagte, dass es aus sei, weinte er.

Unter Tränen hatte er gefleht, dass ich bleiben sollte. Dass er mir den Himmel auf Erden schenkte, wenn ich ihn jetzt nicht verließ.

Doch ich hatte mich nur umgedreht und war gegangen, zu sehr gedemütigt und verletzt von dem, was er mir angetan hatte.

Meine Kehle schnürte sich zu, genauso wie die Ketten um meinem Herzen. Willkürlich raubten sie mir die Luft zum Atmen und ließen mich japsen wie ein Fisch auf dem Trockenen. "Sam ich... ich kann einfach nicht." Bedauern lag in meiner Stimme, genauso wie der Wirbelwind aus Schmerz, der immer noch in mir tobte.

"Wieso?", wisperte er und stellte die Tasse weg. Er sah so verletzt aus, dass ich ihn am Liebsten nur in den Arm nehmen und ihm tröstend über den Rücken streicheln wollte.

"Weil du dich in... in diesen Adam verknallt hast?"

Jetzt wurde seine Stimme laut. Laut und zornig.

Wütend schlug er mit der Hand auf die Arbeitsplatte; und zeigte mir nur noch mehr, wie verzweifelt er war.

Ich wusste darauf nichts zu sagen. Wörter flogen in meinem Kopf umher, doch ich fand keins angemessen genug für diese Situation. Wie sollte ich ihm auch erklären, dass Adam mir wahrscheinlich mehr bedeutete, als er sollte? Und das ich noch immer etwas für ihn empfand? Eigentlich war dieses ganze Chaos, das sich momentan mein Leben nannte, unbeschreibbar. Vorsichtig strich Sam mir mit zitternden Fingern über die Wange, die gestern noch seinen Schlag abbekommen hatte. Komisch, dass mich das alles plötzlich nicht interessierte.

Schattengier - Würdest du aus Liebe töten?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt