Hogsmeade

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Hermine war sich unschlüssig, ob sie heute Abend tatsächlich mit Ginny und den anderen Mädchen mit nach Hogsmeade gehen sollte. Nicht, dass sie ein wenig Ablenkung nicht vertragen konnte während der Lernphase... Aber seit dem Krieg fiel es ihr manchmal schwer, unbefangen und mit wirklich leichtem Herzen an irgendetwas teilzunehmen. Manchmal fragte sie sich, ob die Spuren, die diese schlimme Zeit bei ihr hinterlassen hatten, sie irgendwann nicht mehr belasten würden. Sie wusste es nicht.
Schließlich sagte sie sich, dass es aber vermutlich ihre letzte Chance als Schülerin war, Hogsmeade noch einmal zu besuchen und dass sie deshalb tatsächlich gehen würde.
Mit diesem ermutigenden und irgendwie auch erleichterten Gedanken machte sie sich auf den Weg in die Bibliothek, um zu lernen, während ihre Jahrgangsmitschülerinnen sich bereits für den Abend zurecht machten. Hermine legte darauf keinen Wert, sie wusste, es gab weitaus Wichtigeres als Kleidung und Make-up. Sie hatte sich noch nie sehr viel daraus gemacht, aber der Krieg hatte sie auch dahingehend noch mehr abstumpfen lassen.
Er war da, als sie die Bibliothek betrat. Er war der einzige, der wie sie auch an den Freitagnachmittagen hierherkam, um zu lernen, während alle anderen ausgelassen in den Gemeinschaftsräumen beisammen saßen.
Sie setzte sich an ihren angestammten Platz, holte ihre Bücher und Pergamente hervor und begann, sich Notizen zu einem Prüfungsthema zu machen.
Sie warf einen flüchtigen Blick auf Malfoy. Er hatte beide Hände auf dem Tisch neben dem Buch liegen, in dem er gerade las, und beide hatten sich plötzlich zu Fäusten geballt. Sie wunderte sich, senkte ihren Blick aber wieder auf ihre Notizen.
Ohne Vorwarnung stand er ruckartig auf, holte etwas aus seiner Tasche und kam gezielt auf sie zu.
Sie sah ihm überrascht entgegen.
An ihrem Tisch kam er zum Stehen und legte ein Pergament vor ihre Nase.
„Das hast du gestern verloren.“
Sie starrte auf Rons Brief, der nun vor ihr lag, und ihr Herz hämmerte schnell in ihrer Brust. Ihr Kopf ruckte hoch und starrte ihn erschrocken an.
„Ich habe ihn nicht gelesen.“
Es war merkwürdig, dass er ihre ungestellte Frage wohl irgendwie sofort an ihrem Gesicht hatte ablesen können.
Irgendwie fand sie ihre Stimme wieder.
„Du weißt also, dass es ein Brief ist?“
Er sah sie an, als würde er sich wundern, dass sie etwas so Offensichtliches fragte.
„Jaaaaa...“, sagte er langsam und gedehnt. „Als ich ihn aufgehoben habe, habe ich einen Blick darauf werfen müssen, und dabei konnte ich sehen, dass es ein Brief ist. Aber ich habe ihn nicht gelesen.“
„Das macht man auch nicht!“, schnappte sie.
Meine Güte, was redete sie denn da?
„Granger, es interessiert mich auch gar nicht, was dadrin steht.“
Er wandte sich um.
„Danke.“
Er stockte, drehte sich noch einmal um und nickte kurz, ehe er erneut zu seinem Platz gehen wollte.
„Dann hast du mich gestern doch noch mal gerufen, als ich gegangen bin?“
Warum ließ sie ihn nicht einfach gehen?
Er drehte sich erneut zu ihr.
„Ja. Und jetzt entschuldige mich, ich muss lernen.“
Sie senkte verlegen den Blick und er setzte sich schweigend zurück zu seinen Büchern.

„.. und dann sagte er tatsächlich: Nein, auf die Idee bin ich bisher tatsächlich nicht gekommen.“
Hermine lachte mit den anderen über die lustige Anekdote, die gerade zum Besten gegeben wurde.
Irgendwie war sie nun doch froh, mit nach Hogsmeade in das Wirtshaus „Drei Besen“ gegangen zu sein, es war eine willkommene Abwechslung und sie merkte, dass sie wirklich etwas den Kopf frei bekam durch die banalen Gespräche.
Gerade, als sie dachte, dass sie doch endlich mal wieder so etwas wie Spaß empfinden konnte, kippte die Stimmung merkwürdig am Tisch, als die Tür aufging und eine hochgewachsene, blonde Gestalt das überfüllte Wirtshaus betrat.
„Was will der denn hier?“, fragte Ginny leise.
Alle Köpfe am Tisch wandten sich in seine Richtung.
Hermine war erstaunt, was für ein Gefühlschoas sie auf den meisten Gesichtern ihrer Mitschülerinnen sehen konnte, als sie Draco Malfoy betrachteten, der, mit gesenktem Blick und ohne jemanden anzusehen, direkt die Bar ansteuerte und sich an den Tresen setzte.
In den meisten Gesichtern der anderen Mädchen sah sie Angst, vielleicht sogar so etwas wie Hass, gepaart mit einem gewissen Maß an Neugier und Faszination. Ja, es hatte eine Zeit gegeben, in der viele Schülerinnen in Hogwarts für Malfoy schwärmten und ihm regelrecht zu Füßen lagen, und auch heutztage war er offensichtlich ein Typ, den viele optisch anziehend fanden – allerdings siegte trotz allem die Abneigung, wie sie nun eindeutig sehen konnte.
„Ginny, er hat genauso ein Recht hier zu sein wie wir“, entgegnete Hermine.
Ihre Freundin schien das anders zu sehen, aber sie schwieg.
Langsam wurden die Gespräche an ihrem Tisch wieder aufgenommen.
Hermine beobachtete die Gesamtsituation weiterhin aufmerksam. Durch die vergangenen Ereignisse im Krieg hatte sie es sich angewöhnt, stets alles im Blick zu haben und zu analysieren und sie schätzte, dass es Jahre dauern würde, bis sie dieses Verhalten ablegte, wenn es überhaupt jemals dazu kommen würde.
Als erstes fiel ihr auf, dass eine Gruppe junger Zauberer, die an einem Tisch in der Ecke saßen und ziemlich eindeutig heute Abend hier waren, um Hexen aus dem Abschlussjahrgang aufzureißen, miteinander tuschelten und finstere Blicke Richtung Theke warfen, seit dem Malfoy hier aufgekreuzt war. Außerdem bemerkte sie, dass Malfoy nichts vom Angestellten der Drei Besen, der gerade ausschenkte, da Madame Rosmerta in der Küche war, bekam, obwohl er offensichtlich etwas bestellt hatte.
Offenkundig frustriert, aber auch irgendwie resigniert, erhob Malfoy sich, ging mit raschen Schritten zur Tür hinaus und zog die Tür hinter sich mit einem heftigen Ruck zu.
Hermine wollte sich gerade wieder an den Gesprächen an ihrem Tisch beteiligen, als die jungen Zauberer aus der Ecke wie ein Mann aufstanden und das Wirtshaus verließen.
Sie spürte die Signale ihres Körpers – die Anspannung, die sie fühlte, machte ihr klar, dass sie in Alarmbereitschaft war und deutlich merkte, dass etwas nicht in Ordnung war.
„Entschuldigt mich, ich gehe zurück zum Schloss“, sagte sie in die Runde, was ihr verwunderte Blicke einbrachte.
„Süße, soll ich mitkommen?“, fragte Ginny, sichtlich alarmiert.
„Nein, Ginny, danke. Versprich mir, dass du noch ganz viel Spaß haben wirst, ja?“, fragte Hermine und lächelte ihre Freundin an, denn sie meinte ihre Worte ernst. Sie wollte gerne, dass Ginny einen schönen Abend hatte.
Ginny nickte bedächtig und erwiderte schließlich Hermines Lächeln.
Und Hermine beeilte sich, das Wirtshaus zu verlassen.

Es war kaum eine Menschenseele auf der Straße zu sehen, aber sie meinte, die Gruppe junger Männer zu hören, die kurz hinter Malfoy das Wirtshaus verlassen hatten.
Vor der nächsten Ecke verlangsamte sie ihre Schritte, und als sie vorsichtig um die Ecke lugte, konnte sie die Zauberer tatsächlich sehen.
Sie hatten einen Halbkreis um Malfoy gebildet, und der blonde junge Mann hatte die Häuserwand im Rücken und somit keine Möglichkeit, in irgendeiner Form auszuweichen.
„Dass sowas noch frei rumlaufen darf!“, hörte Hermine jetzt einen der Männer sagen.
Sie konnte sehen, wie Malfoy das Kinn reckte, und kurz meinte sie, dass er es aus Stolz tat, aber dann begriff sie, dass er sich lediglich für das wappnete, was gleich kommen würde.
„Scheiß Todesser!“, sagte nun ein anderer und trat vor.
Hermine war sich sicher, dass Malfoy jetzt seinen Zauberstab ziehen würde, sich verteidigen würde, aber er stand nur weiterhin stocksteif da – bis ihn der Faustschlag im Gesicht traf.
Erst, als ihn ein zweiter Faustschlag von einem anderen Zauberer in die Magengegend traf und er sich mit einem schmerzhaftem Laut krümmte, erwachte Hermine aus ihrer Erstarrung.
„Hey!“, war das einzige, was sie in diesem Moment zustande brachte, als sie auf die Gruppe zurannte.
Die jungen Männer sahen nicht einmal genau hin, wer da mit gezücktem Zauberstab auf sie zugerannt kam, sie drehten sich sofort um und verschwanden blitzschnell, vermutlich aus Angst, sich Ärger einzuhandeln.
„Feiglinge!“, rief Hermine ihnen noch wutentbrannt hinterher.
Sie wandte sich an Malfoy, der gerade dabei war, sich, mit einer Hand an der Wand abstützend, wieder auf die Beine zu ziehen.
„Bei Merlin!“, entfuhr es ihr, als sie das Blut in seinem Gesicht sah. „Wieso hast du dich nicht gewehrt?“
Malfoy fuhr sich mit dem Handrücken über das Gesicht und verschmierte so das Blut noch mehr.
„Verpiss dich, Granger.“ Er sagte es überraschend ruhig, fast emotionslos.
Trotzdem hätte die Aussage sie früher zur Weißglut gebracht – heutztage allerdings nicht mehr. Sie war wirklich abgestumpft, bemerkte sie.
„Du blutest“, stellte sie unnötigerweise fest. „Lass mich schauen-“
„Nicht nötig.“ Er sah sie immer noch nicht an und war im Begriff, sich umzudrehen und sie einfach stehen zu lassen.
„Moment!“, sagte Hermine, fast drohend, und hielt ihn am Arm fest.
Langsam senkte sich sein Blick auf ihre Hand.
„Finger weg.“ Immer noch war seine Stimme viel zu ruhig, Hermine war sich sicher, er wäre ausgerastet, hätte sie früher versucht, ihn anzufassen.
Trotzdem ließ sie seinen Arm los.
„Lass mich dein Gesicht heilen, Malfoy.“
„Verpiss-“
„Verflucht, danach lasse ich dich in Ruhe, aber jetzt lass mich dir doch kurz helfen!“
Er presste den Kiefer fest zusammen, aber da er nicht mehr protestierte, trat sie etwas näher und hob ihren Zauberstab, um den Heilzauber zu sprechen.
Sie sah, dass sein Körper sich etwas entspannte, als der Schmerz nachließ.
„Warum hast du dich nicht gewehrt?“, wiederholte sie ihre Frage.
Sie hatte nicht damit gerechnet, aber er antwortete.
„Großartige Idee, Granger“, sagte er. „Was meinst du, würde wohl passieren, wenn herauskäme, dass ich jemanden angegriffen habe?“
„Du hättest niemanden angegriffen, sondern dich verteidigt!“
„Natürlich, und das würde mir auch jeder abkaufen.“ Kurz klang er bitter, fand Hermine.
„Lässt du es deshalb auch zu, dass andere Schüler dich schikanieren?“ Es war ein Schuss ins Blaue, und obwohl er nicht reagierte, wusste sie, dass es ein Treffer war.
„Du musst mit Professor McGonagall darüber sprechen.“
Er schnaubte.
„Lass mich einfach in Frieden“, sagte er unfreundlich, wandte sich ab und ließ sie stehen.

Happiness does not wait (Dramione Story) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt