Auf in den Tropfenden Kessel

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Es war merkwürdig, in seinem Bett aufzuwachen.
Hermine wusste, sie war alleine, noch ehe sie die Augen öffnete.
Vorsichtig richtete sie sich auf. Die Decke rutschte hinunter und entblößte ihren immer noch nackten Körper.
Die Vorhänge waren immer noch zugezogen, aber es fiel helles Tageslicht durch die Lücken.
Sie lauschte, aber er schien nicht im angrenzenden Bad zu sein.
Sie ließ ihren Blick schweifen und stellte fest, dass sowohl ihre als auch seine Wäsche komplett verschwunden war, dafür entdeckte sie aber einen dunklen Bademantel auf dem Stuhl in der Nähe des Bettes, und sie war sich sicher, dass dieser für sie dort platziert worden war.
Sie fragte sich, ob wohl er sich um diese Dinge gekümmert hatte oder – und bei dem Gedanken fühlte sie leichte Röte in ihren Wangen – die Hauselfen.
Sie musste an den gestrigen Abend denken und ihr Herz begann zu flattern.
Sie hatten eine Weile still beisammen gelegen, bis er sich plötzlich aufgerichtet und sich über sie gebeugt hatte. Ihr Herz schien regelrecht zu stolpern, als er ihr auf eine intensive Weise in die Augen sah, wie er es noch nie getan hatte.
Dann hatte er über sie hinweg nach der Nachttischlampe getastet, ohne sie aus den Augen zu lassen, und im nächsten Moment war es dunkel gewesen. Sie konnte allerdings deutlich spüren, dass er sie auch in der Dunkelheit weiterhin ansah, auch wenn er, genau wie sie von ihm, nur eine Silhouette wahrnehmen musste.
Schließlich hatte er sich von ihr abgewandt, und sie hatte es in der Dunkelheit rascheln gehört, ehe sie spürte, wie eine Decke über sie ausgebreitet wurde. Sie merkte, wie er zu ihr unter die Decke schlüpfte, sich aber mit etwas Abstand zu ihr hinlegte.
Eine Weile war es still gewesen, man hörte lediglich das Geräusch ihrer beiden Atemzüge.
Für Hermine fühlte es sich merkwürdig an, dass sie sich eben so nah gewesen waren, so intim miteinander gewesen waren, und jetzt fast so etwas wie Distanz zwischen ihnen herrschte.
Gerade, als die Unsicherheit sie fast vollständig übermannt hatte und sie kurz davor war, das merkwürdige Gefühl in Worte zu fassen, bemerkte sie, dass er sich vorsichtig bewegte.
Und plötzlich war da seine Hand an ihrer gewesen, zögerlich, fast schüchtern.
Sie hatte lächeln müssen in der Dunkelheit und erwiderte seinen Händedruck sofort.
Lange hatte sie so dagelegen, seine Hand in ihrer. Sie lauschte seinem Atem, der gleichmäßig ging und immer ruhiger wurde, bis sein Händedruck schließlich nachließ und seine Hand ruhig in ihrer lag. Sie strich mit dem Daumen über seinen Handrücken, auch wenn sie sicher war, dass er fest schlief und es nicht bemerkte.
Es hatte noch lange gedauert, bis sie selbst auch einschlafen konnte, aber als sie es tat, war es mit einem Lächeln auf den Lippen.
Auch jetzt musste sie kurz lächeln, ehe sie aufstand, den Bademantel griff und ihn überzog.
Es musste einer seiner Bademäntel sein, denn er war ihr viel zu groß. Er roch frisch gewaschen und fühlte sich weich auf der Haut an.
Sie ging hinüber zu den bodenlangen Vorhängen und zog diese auf.
Zu ihrer Überraschung befand sich dahinter eine Terrassentür, die auf eine Dachterrasse führte.
Sie riss eine Seite der zweiflügeligen Tür auf und atmete die kühle, frische Luft ein.
Ein Blick in den Garten zeigte ihr, dass der Schnee tatsächlich bereits weggetaut war.
Sie ließ die Tür offen stehen und ging über den Flur in ihr Zimmer, um ausgiebig zu duschen und sich danach gemütliche Kleidung anzuziehen. Dann ging sie noch einmal zurück in sein Zimmer, um die Terrassentür wieder zu schließen, ehe sie sich auf den Weg ins Erdgeschoss machte.
Sam war nicht zu sehen, und als sie den Salon betrat, sah sie Draco dort bereits am Frühstücktisch sitzen. Es war ein merkwürdig vertrauter Anblick, wie er da in Jogginghose, Langarmshirt und mit feuchtem Haar saß.
Er sah ihr mit undeutbarem Blick entgegen und sie versuchte, sich so normal wie möglich zu benehmen, obwohl die ganze Situation sich merkwürdig anfühlte.
Sie setzte sich an ihren Platz und sie begrüßten sich mit einem kurzen „Guten Morgen“, und ein wenig kam es ihr skurril vor, dass irgendwie alles war wie immer.
Auch der Vormittag und das Mittagessen verliefen wie gewöhnlich, und eine leise Angst beschlich Hermine, dass seine Intuition hinter dem vergangenen Abend eine ganz andere gewesen war ihre.
Daher fragte sie ihn eher zögernd, ob er am Nachmittag zusammen mit ihr Sam ausführen wollte, aber er willigte sofort ein.
Schließlich schlenderten sie nebeneinander durch den Wald, während Sam freudig schnüffelnd neben ihnen herlief.
Sie redeten nicht viel, und irgendwann gab Hermine sich einen Ruck, zog ihre Hand aus ihrer Jackentasche und berührte vorsichtig seine Finger.
Fast sofort kam seine Hand ihrer entgegen, und sie musste lächeln, als seine Finger sich augenblicklich mit ihren verschränkten.
Als sie ihm einen beinahe erleichterten Seitenblick zuwarf, sah sie, dass seine Mundwinkel sich ebenfalls kurz anhoben.
Tatsächlich fiel es Hermine danach leichter, mit ihm umzugehen, und beim Abendessen redeten sie sehr angeregt miteinander und mussten auch immer wieder über diverse Dinge lachen.
Da die Stimmung so gut war, nahm Hermine ihren Mut zusammen und wagte schließlich in einer Redepause eins der Dinge anzusprechen, die ihr auf dem Herzen lagen.
Sie sah kurz auf die viel zu kleine Portion auf seinem Teller, um ihn nicht ansehen zu müssen, holte tief Luft und sagte: „Draco... Ich wollte dich noch etwas fragen.“
„Hm?“
„Ich... vielleicht erinnerst du dich, dass ich dich gefragt habe... ob es für dich in Ordnung wäre, dich mit Harry und Ron zu treffen.“
Sie sah nun doch zu ihm auf, doch er starrte auf seinen Teller. Sein Gesichtsausdruck wirkte ernst und vollkommen neutral, aber sie spürte, dass er angespannt war.
„Du musst es nicht sofort entscheiden. Und es muss auch nicht so bald sein. Ich wollte nur sagen, dass es mir viel bedeuten würde.“
Sie atmete geräuschvoll aus. Jetzt war es raus.
Kurz herrschte Schweigen.
„Vielleicht am Samstag nach deiner Arbeit?“
Sie starrte ihn an.
Er blickte immer noch konzentriert auf seinen Teller.
„Was?“
Er sah auf.
„Am Samstag. Ich meine, wenn du bald unter der Woche arbeitest, wird alles sich sowieso ändern. Es wird sicher etwas stressiger sein. Vielleicht ist es nicht schlecht, wenn wir das Treffen vorher statt finden lassen, solange du noch nicht so viel um die Ohren hast.“
Kurz sahen sie sich einfach an.
„Wenn die beiden dann Zeit haben, heißt das“, ergänzte er dann noch.
„Draco, ich...“ Einen Moment lang war sie sprachlos. „Ich schicke ihnen morgen eine Eule.“
Wieder schwiegen sie kurz.
„Im Tropfenden Kessel?“, fragte sie dann.
„Okay.“
„Vielleicht... ich meine, vielleicht möchte Zabi-“ Sie setzte neu an. „Vielleicht möchte Blaise auch mitkommen?“
Sein Blick heftete sich überrascht an ihr Gesicht.
„Ich frage ihn“, sagte er nach einer kurzen Pause.
Und aus irgendeinem Grund hatte sie das Gefühl, dass ihm die Vorstellung, Blaise dabei zu haben, Sicherheit gab.




Die Tage bis zum Wochenende vergingen wie im Fluge.
Sie verbrachten jeden Tag viel Zeit miteinander, und fast dachte sie mit etwas Bedauern daran, dass sie bald täglich arbeiten würde.
Auch Draco schien das Thema zu beschäftigen, wenn auch aus einem anderen Grund.
Eines abends sprach er sie darauf an, wie lange sie eigentlich vorhabe, im Buchladen zu arbeiten und ob sie nicht der Meinung war, dass etwas anderes nicht eher für sie in Frage käme.
Sie verstand nicht ganz, was er meinte, und er erklärte ihr in seiner nüchternen Art, dass jemand mit Voraussetzungen wie den ihren weder dauerhaft dazu gemacht sei, Praktika im St Mungos zu machen noch in einem Buchladen zu jobben.
Prinzipiell sagte er ihr damit das, was ihr Freundeskreis ihr schon seit dem Schulabschluss erzählte, aber es auf diese neutrale Art aus seinem Mund zu hören machte sie schon ein wenig nachdenklich.
Ja, sie musste langsam wissen, welche Ziele sie im Leben eigentlich hatte.
Momentan war sie aber ein wenig überfordert mit dem, was in ihrem Leben gerade vor sich ging.
Der Umgang mit Draco war einerseits merkwürdig vertraut, andererseits spürte sie nach wie vor eine gewisse Distanz und Unsicherheit.
Sie hatten sich angewöhnt, abends auf dem Sofa gemeinsam zu lesen. Dabei lehnten sie sich häufig Rücken an Rücken, oder er rückte seitlich nah an sie heran und legte einen Arm um sie, während sie beide in das jeweilige Buch vertieft waren, das sie gerade lasen.
Den ersten Abend nach ihrer gemeinsamen Nacht war sie zögernd in ihr eigenes Zimmer gegangen, um sich umzuziehen, nicht sicher, wo sie ihre Nacht verbringen sollte. Doch sie hatte gerade ihr Schlafshirt angezogen, als es leise an ihrer Tür klopfte. Sie öffnete, und er nahm vorsichtig ihre Hand, um sie über den Flur in sein Zimmer zu ziehen.
Von diesem Moment an lag sie jeden Abend in seinem Bett.
Was sie verwirrte, war, dass er keine weiteren Annäherungsversuche machte.
Wenn sie in seinem Bett lag, schaltete er immer erst das Licht aus, ehe er sich auszog und zu ihr unter die Decke schlüpfte. Meist nahm er dann ihre Hand, oder er legte seine Hand vorsichtig auf ihren Bauch, fast so, als helfe ihm diese leichte Berührung beim Einschlafen.
Hermine selbst war so aufgeregt bezüglich des Treffens am Samstag, dass ihr die Energie fehlte, um sein Verhalten vollständig zu analysieren. Allerdings war ihr bewusst, dass scheinbar noch einige Dinge zwischen ihnen unausgesprochen waren und spätestens nach dem Termin im Tropfenden Kessel geklärt werden mussten.
Aber erst dann.
Vorher wollte sie das warme Gefühl genießen, an seiner Seite einzuschlafen, seine Hand bei den Hundespaziergängen zu halten und seiner Stimme zu lauschen, wenn er ihr etwas erzählte oder ihr aus einem Buch vorlas.


Als nun der Moment kam, in dem sie sích Seite an Seite mit Draco Malfoy zum Tropfenden Kessel aufmachte, fühlte Hermine ihr Herz doch merkwürdig flattern.
Bisher hatte sie niemandem davon erzählt, dass sich ihre Beziehung zu Draco... verändert hatte. Denn auch, wenn er seit diesem einen Abend keinen Annäherungsversuch mehr gestartet hatte, war ihr klar, dass sie auf eine irgendwie merkwürdige Weise ein Paar waren. Sie merkte es an der Art, wie er sie ansah und sie berührte, auch wenn es nahezu keusche Berührungen waren.
Allerdings hielt sie es für das Beste, heute Abend mit einem neutralen Kennenlernen zu beginnen und nicht mit der Tür ins Haus zu fallen.
„Es wird alles glatt gehen“, murmelte sie.
„Sprichst du mit mir oder mit dir selbst?“, fragte Draco. Er klang gelassen, aber sie merkte ihm trotzdem an, dass er angespannt und nervös war.
„Mit uns beiden.“
Blaise wartete an der Tür auf sie und anders als Draco, der sehr still war, wirkte er fast noch ein wenig überdrehter als sonst, und Hermine fragte sich, ob das wohl seine Art war, mit Nervosität umzugehen.
Dann betraten sie gemeinsam den Tropfenden Kessel.

Happiness does not wait (Dramione Story) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt