Wortwechsel

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Merlin, was war bloß mit ihr los?
Als sie am nächsten Tag in ihrer Pause in der Cafeteria saß, ertappte sie sich dabei, mehrfach an die Stelle zu starren, an der sie am Vortag Malfoy gesehen hatte, fast, als erwarte sie, er würde dort wie ein Geist aus dem Boden aufsteigen.
Vermutlich, sagte sie sich selbst, beunruhigte sie einfach der Gedanke, ihn wiedersehen zu müssen. Nach wie vor erinnerte er sie zu sehr an Vergangenes, an unschöne Dinge.
Ja, so musste es sein. Das war auch der Grund, warum sie so viel über ihn nachdachte.
Sie machte sich wieder auf den Weg in den vierten Stock.
Dort angekommen, überprüfte sie als Erstes die Wagen für die Essenausgabe an die Patienten, die magisch gedeckt wurden. Da hier, auf dieser Station, mit Fluchgeschädigten gearbeitet wurde, wollte man sicher gehen, dass keine Fehler unterliefen, egal in welchem Bereich.
Auch heute war alles wieder tadelos und Hermine konnte ruhigen Gewissens mit einem Schlenker ihres Zauberstabes die kleinen Wagen in Bewegung setzen, die dann automatisch in die richtigen Zimmer fuhren.
Sie drehte sich mit einem Ruck um, um sich auf den Weg zur Paketannahme zu machen. Heute waren die Eulen mit neuen Heilkräutern eingetroffen, die sie einsortieren musste.
Und dann erstarrte sie mitten in der Bewegung.
Am Ende des Ganges stand Malfoy und starrte sie an.
Wenn er genauso überrascht war wie sie, dann zeigte er es nicht.
Genau genommen war seine Miene komplett ausdruckslos und unergründlich.
Wie lange stand er schon dort und beobachtete sie?
Sofort vertrieb Hermine diesen merkwürdigen Gedanken. Sicherlich war er gerade erst um die Ecke gebogen, warum sollte er sie beobachten?
Ähnlich wie am Vortag in der Cafeteria ging plötzlich wieder ein Ruck durch ihn und er setzte sich in Bewegung, kam auf sie zu.
Urplötzlich schlug Hermines Herz schneller, und sie wurde sich schmerzhaft der Tatsache bewusst, dass sie alleine mit ihm auf dem Gang war. Im nächsten Moment schimpfte sie sich in Gedanken selbst dafür aus – was erwartete sie denn, was er tun würde?
Ehe sie noch weiter nachdenken konnte, hatte er sie erreicht.
„Granger.“
Es ging so schnell, dass sie überhaupt nicht reagieren konnte. Er sprach ihren Namen wie einen Gruß, nickte – und ging, ohne, dass seine Schritte auch nur einmal stockten, an ihr vorbei.
Hermine stand da wie zur Salzsäule erstarrt. Sie hörte hinter sich seine sich entfernenden Schritte.
Und plötzlich fragte sie sich, ob sie von allen guten Geistern verlassen war. Sie hatte nicht einmal sein Nicken erwidert!
Ehe sie zu viel nachdenken konnte, drehte sie sich rasch um.
„Malfoy?“
Er stoppte augenblicklich, drehte sich aber nicht zu ihr um.
Fast wie von alleine setzten sich ihre Füße in Bewegung, holten zu ihm auf.
„Hey“, sagte sie, möglichst unbefangen, möglichst freundlich, in Ermangelung einer Idee, was sie sonst sagen konnte.
Tatsächlich drehte er sich wieder zu ihr um und sah sie an.
Zum ersten Mal nahm sie ihn bewusst, wirklich bewusst wahr.
Er hatte das gleiche, blasse Gesicht wie zu Schulzeiten, und erschreckenderweise wirkte er immer noch viel zu dünn. Sein Gesicht war ernst, fast ausdruckslos, und seine Augen verrieten keine Emotion.
Im ersten Moment dachte sie, er habe sich gar nicht verändert, aber dann merkte sie, dass das nicht stimmte.
Es war erst ein Jahr her, dass sie sich das letzte Mal gesehen hatten, aber er wirkte tatsächlich... erwachsener. Irgendwie war seine Körperhaltung anders und seine Gesichtskonturen waren markanter. Sein Haar war länger, bemerkte sie, sie fielen ihm locker in die Stirn.
Er war komplett schwarz gekleidet, aber das kannte sie von ihm. Allerdings war die Kleidung überraschend schlicht – bequeme Schuhe, Stoffhose, dünner Rollkragenpullover.
„Ich... tut mir leid, dass ich eben nicht gegrüßt habe“, sagte sie, einfach, damit die Stille nicht unangenehm wurde.
Er sah sie an, schwieg.
Hermine räusperte sich nevös.
Verflucht, warum redete er nicht?
„Ich war einfach überrascht, dich zu sehen“, fuhr sie fort, in der Hoffnung, irgendeine Reaktion bei ihm auszulösen. Aber immer noch schwieg er und sah sie an. Mittlerweile begann sie, sich unwohl zu fühlen. „Was hast du bisher so gemacht? Seit der Schule?“
Merlin, warum fragte sie das? Genau genommen wusste sie, warum. Sein Verhalten verunsicherte sie und im Grunde bereute sie, ihn überhaupt angesprochen zu haben.
„Granger“, sagte er wieder, und seine Stimme klang so vertraut und gleichzeitig doch so anders, als sie sie in Erinnerung hatte. „Was bringt dich zu der Annahme, dass ich der Typ für Smalltalk bin?“
Sie starrte ihn an. Da war kein Hohn, kein Spott in seinen Augen, keine Wut oder Abneigung in seiner Stimme. Trotzdem verunsicherte sie seine Aussage fast mehr, als alle Beleidigungen, die er ihr zu Schulzeiten an den Kopf geworfen hatte.
„Ich frage aus ehrlichem Interesse“, sagte sie und merkte im selben Moment, dass es nicht stimmte. Sie hatte gefragt, um einfach irgendetwas zu sagen.
„Natürlich“, sagte er schlicht, und sie begriff, er hatte sie sofort durchschaut.
Früher hätte sie aus Unsicherheit darüber, dass sie ertappt wurde, zickig reagiert, aber, bei Merlin, sie war kein pubertierendes Schulmädchen mehr.
„Tut mir leid“, sagte sie daher. „Ich wollte nur höflich sein. Es war nicht meine Absicht, dir zu nahe zu treten oder dich zu belästigen.“
Immer noch blieb sein Geschtsausdruck vollkommen unlesbar.
„Ok“, sagte er dann zu ihrer Überraschung.
Bedeutete das, er nahm ihre Entschuldigung an?
In diesem Moment wurde, nicht unweit von ihnen, Heiler O'Neills Zimmertür geöffnet.
„Mr Malfoy?“
Zu Hermines Überraschung war es nicht Heiler O'Neill, der die Tür öffnete, sondern eine Hexe. Hermine konnte durch die geöffnete Tür den Heiler an seinem Schreibtisch sitzen und in einer Akte blättern sehen.
Einen Moment lang überlegte Hermine, woher sie die Hexe, die die Tür geöffnet hatte, kannte, denn sie gehörte definitiv nicht ins St Mungo. Und in der nächsten Sekunde fiel ihr ein, woher ihr das Gesicht bekannt vorkam. Es war die Frau, die Malfoy am Tag zuvor in der Cafeteria begleitet hatte.
Malfoy hatte seinen Blick kurz von ihr abgewandt, um zu der Hexe, die ihn angesprochen hatte, zu sehen. Nun fixierte sein Blick wieder Hermine.
Merkwürdig, ihr war noch nie so bewusst aufgefallen, was für eine ungewöhnliche Augenfarbe er hatte.
Er nickte, drehte sich um und ging an der Hexe vorbei durch die geöffnete Tür in Heiler O'Neills Büro.
Die Frau sah nun Hermine kurz nachdenklich an, dann lächelte sie freundlich.
Automatisch erwiderte Hermine das Lächeln.
Als die Hexe die Tür zuschob, traf Hermines Blick zufällig noch einmal auf Malfoy und ihr Lächeln wurde etwas unsicher, denn er sah sie an, bis die Tür komplett geschlossen war.
Ihre Gedanken fuhren Karussel.
Warum benahm er sich so merkwürdig? Wer war diese Hexe und warum wartete sie im Büro des Heilers auf Malfoy? Und was, bei Merlin, hatte Draco Malfoy auf der Station für Fluchgeschädigte zu suchen?

Happiness does not wait (Dramione Story) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt