Der Abschluss

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Die Aufregung war fast greifbar.
In wenigen Stunden sollte der Abschlussball für ihren Jahrgang stattfinden.
Hermine konnte es nicht glauben. Die Prüfungen waren geschafft, ihre Zeit in Hogwarts so gut wie vorüber.
Sie hatte einige Ausbildungszweige ins Auge gefasst, sich aber immer noch nicht entschieden, was genau sie tatsächlich anfangen sollte – allerdings konnte sie dies nicht mehr lange aufschieben, wenn sie die Anmeldefristen für gewisse Studiengänge oder Ausbildungen nicht verpassen wollte.
Aber darüber wollte sie sich jetzt keine Gedanken machen – nicht heute Abend.
Obwohl es noch nicht der allerletzte Tag in Hogwarts war, kam es ihr so vor, als wäre er es. Und sie wollte diesen besonderen Moment auskosten.
Ihre Mitschülerinnen machten sich bereits für den Ball fertig, aber Hermine lag etwas anderes auf dem Herzen. Sie würde nicht so lange brauchen, um sich zurecht zu machen, daher griff sie mit einer langsamen, fast ehrfürchtigen Bewegung nach den Büchern, die auf ihrem Nachttisch lagen.
Sie würde in die Bibliothek gehen, die Bücher zurückgeben und eine Weile zwischen den Buchreihen schwelgen, bis die Hektik im Bad und Gemeinschaftsraum abgeflaut war und sie mehr Ruhe für sich hatte, während sie sich fertig machte.

Das Umherschreiten in der Bibliothek hatte für sie fast etwas... Nostalgisches. Sie war in den Jahren so häufig hier gewesen, hatte hier so viele Antworten gefunden, so viele geflüsterte Gespräche geführt.
Ehrfürchtig ging sie durch die Gänge, ihre Hand hob sich instinktiv, und im Vorbeilaufen ließ sie ihre Finger über die Buchrücken gleiten.
Sie musste lächeln beim Gedanken an die anderen aus dem Abschlussjahrgang, die gerade dabei waren, sich gegenseitig verrückt zu machen aufgrund des Balls heute Abend. Wieviel angenehmer war es, statt dessen hier in der Ruhe den Geruch von Pergament einzuatmen! Augenblicklich merkte sie, wie sie sich entspannte.
Während sie lächelnd weiterging und immer noch ihre Fingerspitzen über die Buchrücken gleiten ließ, konnte sie plötzlich fast Wort für Wort einige Gespräche, die sie hier geführt hatte, gedanklich rezitieren. Merlin, was würde ihr die Bibliothek fehlen! Was würde ihr Hogwarts fehlen! Was würde ihr die Sicherheit fehlen...
In diesem Moment sah sie ihn, er verschwand hinter den Regalen, als sie ihren Blick auf ihn richtete.
Hermine blieb perplex stehen.
Es war Malfoy gewesen, sie war sich sicher. Und sie hätte schwören können, dass er sie beobachtet hatte.
Merkwürdig beunruhigt ging sie in die Richtung, in die er verschwunden war, und als sie um die Ecke bog, sah sie ihn tatsächlich.
Hoch aufgerichtet stand er an einem der großen Fenster und starrte hinaus.
Er war komplett schwarz gekleidet, wie immer schick, sehr auf sein Äußeres bedacht, aber definitiv nicht so schick, als habe er vor, in absehbarer Zeit den Abschlussball zu besuchen.
War er aus dem gleichen Grund hier wie sie? Wollte er noch etwas Ruhe haben vor der großen Veranstaltung?
Sie wusste nicht, wieso sie in diesem Moment eine merkwürdige Verbundenheit zu ihm spürte. Aber eins der Dinge, die sie während des Krieges gelernt hatte, war, sich auf ihr Gefühl zu verlassen.
Also ließ sie zu, dass ihr Füßen taten, was sie wollten, obwohl ihr Kopf dagegen protestierte.
„Granger.“ Es klang beinahe wie ein resigniertes Seufzen.
Sie blieb mit ein paar Metern Abstand zu ihm stehen. Sie sah ihn nun im Profil, sein Blick war unverwandt auf die Ländereien unter dem Fenster gerichtet.
Jetzt, da sie hier stand, bereute sie ihre Entscheidung nun doch. Aber um sich nicht vollkommen zu blamieren, musste sie wohl irgendetwas sagen. Aber was? Seine Haltung war so... kühl, so ablehnend, dass ihr Herz automatisch schneller schlug.
„Wolltest du auch noch ein paar ruhige Minuten, bevor es los geht?“
Er schwieg, und sie glaubte schon, er würde gar nicht mehr antworten, als sie doch seine leise Stimme vernahm.
„Bevor was losgeht?“
Wollte er sie auf den Arm nehmen?
„Der Ball, Malfoy.“
Wieder schwieg er, und mittlerweile war sie sich sicher, dass es eine wirklich dumme Idee gewesen war, zu ihm zu gehen.
„Ich werde nicht auf den Ball gehen, Granger“, sagte er dann doch.
Sie starrte ihn überrascht an.
„Aber-“, begann sie nach einer längeren Pause, brach aber abrupt ab, als er sich urplötzlich zu ihr drehte und mit wenigen, großen Schritten den Abstand zu ihr überbrückte.
Nur einen halben Schritt von ihr entfernt blieb er stehen.
Ohne es zu wollen, hielt sie die Luft an. Er fixierte sie so gezielt, so intensiv, wie er es noch nie getan hatte, und sie war unfähig, den Blick abzuwenden.
In den wenigen Sekunden, die er den Blickkontakt aufrecht hielt, versuchte sie automatisch, etwas in seinem Blick zu lesen – aber sie konnte nichts darin erkennen. Wenn sein Blick früher auf ihr geruht hatte, war er stets abfällig gewesen, und sie wusste nicht, ob sein Blick ihr nun so undeutbar vorkam, weil sie die Ausdrucksweise seiner anderen Emotionen nicht kannte, oder weil er bewusst nicht zeigen wollte, was er in diesem Moment dachte.
Dann huschte sein Blick kurz, kaum bemerkbar, über ihr Gesicht.
„Erscheint dir das so merkwürdig, Granger?“
Sie brauchte einen Moment, um zu verstehen, dass er die Tatsache meinte, dass er nicht zum Ball kommen würde.
Sie wusste nicht, was sie erwidern sollte, und einen Moment lang starrte er ihr nur weiter in die Augen, dann drehte er sich mit einem Ruck um und ging mit raschen Schritten Richtung Ausgang.
„Malfoy!“
Sie wusste nicht, warum sie gerufen hatte, und noch mehr überraschte sie, dass er tatsächlich stehen blieb.
„Ich... finde, du solltest kommen.“
Einen Wimperschlag blieb er noch stehen, immer noch mit dem Rücken zu ihr gewandt, dann ging ein Ruck durch seinen Körper und er verließ sie Bibliothek.

Der Abend war zauberhaft. Sie hatte Spaß – wirklich Spaß. Sie wusste gar nicht, wann sie sich das letzte Mal so unbeschwert gefühlt hatte.
Die große Halle war wunderschön geschmückt, in der Luft schwebten Lampions, die in sanftem Gelbton leuchteten, und die Atmosphäre war so schön, so entspannt, dass Hermine zwischenzeitlich Freudentränen in den Augen hatte, die sie immer wieder schnell wegblinzelte, damit niemand dachte, sie sei wegen irgendetwas bedrückt.
Sie wusste, dies war einer der Abende, die sie nie vergessen würde.
Bald konnte ihr neues Leben beginnen, und zum ersten Mal hatte sie bedeutend weniger Angst vor der Zukunft. Es würde alles so kommen, wie es kommen sollte, sagte sie sich.
Erst im Laufe des Abends fiel ihr allerdings auf, dass Draco Malfoy tatsächlich nicht gekommen war. Aber sie schob den Gedanken an ihn weit von sich.
Es ging sie nichts an.
Und in sehr naher Zukunft würde sie schließlich auch nie wieder einen Gedanken an ihn verschwenden müssen.

Happiness does not wait (Dramione Story) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt