St Mungos

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„Miss Granger? Sie haben seit zwanzig Minuten Pause.“
Hermine sah von den Tränken, die sie gerade magisch in die Regale einsortierte, auf.
Heiler Broderick stand in der Tür und sah sie mit einer Mischung aus Tadel und Wohlwollen an.
„Ich weiß“, lächelte Hermine. „Aber ich dachte-“
„Natürlich“, unterbrach der Heiler sie sanft. „Aber Sie arbeiten hier schon fast mehr als unsere bezahlten Mitarbeiter, und ich bestehe darauf, dass Sie Ihre Pausen bekommen. Gehen Sie ein wenig in die Cafeteria und atmen Sie durch.“
Hermine wusste ja, er hatte Recht. Aber sie nahm ihr Ehrenamt ernst, sehr ernst sogar, und ging der Tätigkeit mit ganzem Herzblut nach.
Allerdings wusste sie, dass es keinen Sinn machte, mit Heiler Broderick zu diskutieren, er würde sowieso nicht nachgeben.
Und daher machte sie sich auf den Weg vom vierten in den fünften Stock des St Mungo Hospitals, um sich eine kleine Pause zu gönnen.
Seit einem Jahr half sie hier im St Mungo aus, jeden Tag, außer am Wochenende. Samstags arbeitete sie in einem kleinen Buchladen – das tatsächlich gegen Bezahlung. Sie wusste, dass sie sich zeitnah über eine andere Zukunft Gedanken machen musste. Noch reichte das Gold, das sie als Abfindung nach dem Krieg bekommen hatte zusammen mit ihrem Verdienst aus dem Buchladen, um ihren Teil der Miete zu bezahlen, aber das war keine dauerhafte Lösung. Doch immer noch war sie unentschlossen, wie ihre Zukunft aussehen sollte, immer noch hing sie sprichwörtlich in der Luft.
Gedacht hatte das nach dem Krieg niemand über sie. Sie hatte so gezielt ihren Abschluss nachgeholt, war natürlich als Jahrgangsbeste aus der Schule gegangen, und jeder war sich sicher: Hermine Granger, Kriegsheldin, würde Karriere machen.
Und das hätte sie gekonnt.
Aber ihr Kopf war wie leergefegt nach Hogwarts. Alle Optionen, die ihr praktisch zu Füßen lagen, erschienen ihr falsch.
Den Job im Buchladen hatte sie mehr oder weniger durch Zufall bekommen, und es war eigentlich mehr ein Taschengeld, was sie dort verdiente mit ihrem Arbeitseinsatz einmal in der Woche.
Sie wusste selbst nicht, warum sie nicht eine einzige der vielen Optionen gewählt hatte, die sich für sie aufgetan hatten. Vielleicht, weil sie das Gefühl hatte, dass sie einem Standard entsprechen sollte, dem sie gar nicht entsprechen wollte.
Alle schienen der Meinung, dass ihr Weg ihr sozusagen vorbestimmt war, er wirkte wie in Stein gemeiselt – beruflich wie privat.
Und Hermine war in jedweder Hinsicht von diesem Weg abgewichen.
Kaum jemand verstand, warum sie seit einem Jahr ehrenamtlich im St Mungo arbeitete und keinen richtigen Job hatte. Wenn sie gerne Menschen heilen wollte – bitte! Aber warum dann ehrenamtlich? Warum machte sie keine Ausbildung zur Heilerin?
Aber Hermine erwartete kein Verständnis. Momentan tat sie intuitiv, was ihr das Richtige erschien, und sie fühlte sich wohl damit.
Allein die Tatsache, dass sie wusste, dass es so bald nicht mehr weiter gehen konnte, dass eine Lösung hermusste, bereitete ihr Bauchschmerzen.
Trotzdem war sie sich sicher, dass es momentan richtig war, wie es war.
Genauso richtig hatte es sich angefühlt, ihrem scheinbar vorbestimmten, privaten Weg eine andere Richtung zu geben.
Ron und sie hatten sich nur wenige Monate nach Hermines Schulabschluss getrennt – tränenreich, aber im gegenseitigen Einverständnis. Es hatte ihnen beiden sehr wehgetan, einzusehen, dass sie sich liebten, aber irgendwie einfach nicht zusammengehörten. Hermine war klar, dass Ron durchaus eine Option gewesen wäre – und an manchen Tagen stellte sie sich vor, wie es wäre, wenn sie ihn geheiratet und eine Familie mit ihm gegründet hätte. Manchmal kam ihr der Gedanke merkwürdig vertraut vor, aber trotz allem irgendwie falsch.
Sie hatte nach der Trennung furchtbare Angst gehabt – Angst, Ron für immer verloren zu haben. Aber das Gegenteil war der Fall. Sie fühlte sich merkwürdig verbunden zu Ron, und schon kurze Zeit nach der Trennung war beiden klar: Sie waren noch mehr zusammengeschweißt als vorher. Die Freundschaft, die sie und Ron pflegten, war durch ihre kurzzeitige Beziehung noch intensiver geworden. Sie verband eine so tiefe Zuneigung und Verbundenheit und Hermine wusste, auf Ron war immer zu hundert Prozent Verlass.
Niemals hätte sie gedacht, dass die Intimität, sie sie miteinander geteilt hatten, ihre Freundschaft nicht belasten, sondern stärken würde.
Hermine betrat die Cafeteria, versorgte sich mit einem Tee und etwas Gebäck und wollte gerade einen freien Tisch ansteuern, als er ihr entgegen kam.
Im ersten Moment dachte sie, sie hätte Halluzinationen.
Aber er war es tatsächlich.
Sie stockte und blieb stehen, und im selben Moment sah er sie auch.
Draco Malfoy war gerade im Begriff, die Cafeteria zu verlassen. Er war in Begleitung einer Frau, das war das einzige, was sie in ihrem Schock wahrnahm, als seine Schritte stockten, während er an ihr vorbeigehen wollte.
Die Frau neben ihm verlangsamte ihre Schritte ebenfalls überrascht, sah aufmerksam und nachdenklich zwischen ihm und Hermine hin und her, während ihre Blicke sich miteinander verhakten.
Sie hätte niemals gedacht, dass sein Anblick sie aus der Bahn werfen würde. Aber sie musste so intensiv an Vergangenes denken, an den Krieg, an Dinge, in die er verwickelt war, dass sie kurz das Gefühl hatte, ihr Tablett fallen lassen zu müssen, da ihre Finger merkwürdig taub wurden.
Dann ging ein Ruck durch ihn, er sah sie weiterhin mit unergründlicher Miene an, ehe er nickte.
Und es war merkwürdig – aus irgendeinem Grund erinnerte sie dieses Nicken an ihr Ritual aus damaligen Zeiten, in der Bibliothek, und automatisch nickte auch sie.
Er ging mit raschen Schritte an ihr vorbei, so schnell, dass ein Luftzug sie striff, und seine Begleitung folgte ihm, nachdem sie Hermine noch einmal nachdenklich und intensiv gemustert hatte.
Zurück blieb eine vollkommen verwirrte Hermine.

Happiness does not wait (Dramione Story) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt