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(Fünf Monate später)

„Kim? Warte auf mich!!!"
Gwen lief weiter und achtete nicht auf die Rufe hinter sich. Erst als eine Hand sie an der Schulter ergriff, schreckte die junge Frau auf.
„Kim? Hast du mich nicht gehört?" Ihre Freundin, eine schlaksige Delta namens Gabrielle schob sich die Brille auf die Nase und versuchte keuchend wieder zu Atem zu kommen. „Oh, Gabi... Es tut mir so leid... ich war völlig in Gedanken!" Gutmütig winkte ihre röchelnde Freundin ab und harkte sich bei Gwen unter. Langsam schlenderten die beiden auf das Schulgebäude zu. Seit drei Monaten war Gwendolyn nun an dieser Schule unter ihrem neuen Namen Kim eingeschrieben. Dr. Madison hatte ihr ein kleines Studioappartment über einen Freund besorgt, dazu falsche Papiere, um die neue Identität zu vervollständigen. Es war auch dieser Freund, der einen monatlichen Betrag zum Leben auf ein neu eingerichtetes Konto überwies, so dass die Epsilon sich in der neuen Umgebung keine Sorgen machen musste. Manchmal vermisste Gwen ihr altes Zuhause, gut... eigentlich nur Tante Clarissa und in diesen Momenten weinte die junge Frau vor Einsamkeit. Doch den Rest der Familie? Nein, die konnten ihr getrost gestohlen bleiben! Auch wenn Gwen eigentlich wusste, dass die drei für ihre schlimmen Verletzungen nicht zur Verantwortung gezogen werden konnten - ein Alphabefehl war nun mal unumgänglich - gelang es ihr einfach nicht, die furchtbare Zeit der Heilung und den Verlust ihres Zuhauses von den Taten der drei zu trennen.
Und so lieb Gabi auch war, konnte sie Josh doch nicht ersetzten. Ach, Josh... wie gerne würde Gwen ihn bei sich haben, sein Lachen hören, sogar seine saudummen Witze vermisste sie!
„...?"
„Hm? Tut mir leid, hast du was gesagt?"
Gabrielle schüttelte mit einem Lachen den Kopf und fragte: „Also echt, Kim... was geht heute nur in deinem Köpfchen vor? So unkonzentriert hab ich dich noch nie erlebt...!"
Gwen strich sich eine rote Locke hinters Ohr. Ihre Haare waren wieder nachgewachsen und berührten fast schon ihre Schultern. Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen konnte sie sich einfach nicht dazu durchringen, die Farbe zu verändern. Ihre letzte Erinnerung an ihr altes Leben...
Gabi hüpfte fröhlich neben ihr her und quasselte ohne Punkt und Komma. Sie war eine wandelnde Quelle des Tratsches und grundsätzlich über alles im Bilde, was so in der winzigen Stadt ablief. Eines der wirklich guten Dinge daran, dass Gwen hierher gezogen war, war die Landschaft. Das Städtchen schmiegte sich an die Flanke einer kleinen Bergkette und war umgeben von Wäldern, einem Netzwerk von kleinen Bächen und weiten Wildblumenwiesen. Jeden Morgen stand die Epsilon früh auf und lief gute zwei Stunden. Das hatte gleich mehrere Vorteile. Zum einen kannte sie die Umgebung nun wie ihre eigene Hosentasche, ihre Fitness war wieder voll da und Gwen war danach ausgeglichener, so dass sie ihre teils vorlaute Klappe in der Gegenwart von anderen im Zaum halten konnte.
„Also echt, Kim! Ich weiß ja nicht, ob ich beleidigt sein soll, so wie du mich im Moment konsequent ignorierst!" Vorwurfsvoll sah Gabi sie von der Seite an. Zerknirscht umarmte Gwendolyn sie und sagte leise: „Ich bin einfach nur noch müde. Hab so einen miesen Alptraum gehabt, dass ich danach nicht mehr schlafen konnte und somit die ganze Nacht wach war... es hat also nichts mit dir zu tun..."
Sofort wurde das Gesicht ihrer Deltafreundin mitfühlend und Gabi drückte behutsam die Hand der Epsilon. „Oh, je... na, zum Glück fällt heute der halbe Unterricht aus! Dann kannst du etwas Schlaf nachholen!"
„Hmmmm.... Das wär gut!! Aber jetzt mal zu dir. Hattest du nicht gestern dein Date mit James?"
Bei der Erwähnung dieses Namens leuchteten Sterne in Gabis Bernsteinfarbenen Augen auf und sie verlor sich direkt in einer ausschweifenden Erzählung der ‚absolut romantischsten Verabredung seit Menschengedenken'! Und Gwen konnte wieder abschalten. Das mit dem Alptraum war nicht mal gelogen gewesen, ok... nun gut, es war nicht vollständig gelogen gewesen. Es hatte als eine regelrechte Alptraum Collage mit den Erinnerungen an die Prügel angefangen, doch dann durchzog das tiefe warme Schnurren eines (oder mehrerer) Alphas den Traum und sie war feucht, bedürftig und hochgradig erregt aufgewacht. In zwei Wochen würde sie sich mit Dr. Madison treffen, um den Hitzehemmer aufzufrischen... Verzweifelt schob sie also ihre pochende Klitoris auf den sich nähernden Hitzezyklus und verdrängte das seltsame Verlangen... gefüllt.... zu werden. Das war neu und Gwen vermutete, dass es an Kais Berührung lag. Er war der erste Alpha, der sie im Arm gehalten, der für sie geschnurrt hatte und das hatte ihre innere Epsilon anscheinend aus ihrem Dornröschenschlaf geweckt.
Und zu allem Überfluss hatte sich ihr Körper dazu entschieden, sich auf die Paarung mit einem Alpha vorzubereiten und produzierte nun fröhlich in erregter Erwartung den als ‚Slick' bekannten Gleitfilm, so dass Gwen nicht nur dauergeil war, sondern auch noch regelrecht auslief!

So ein Gott verfluchter Doppelmist aber auch!
Aaargh!!!
Wenn dieser blöde Alpha Kai hier auftauchen würde, dann könnte er etwas erleben! Wie konnte er es wagen, aus ihr ein hechelndes Etwas zu machen, dass einfach nur die Beine breitmachen und bumsen wollte?!
Seufzend riss Gwen sich zusammen und versuchte ihre ab und ab hüpfende Libido wieder unter Kontrolle zu bekommen. Zum Glück war der einzige Alpha an dieser Provinzkaff Schule der Direktor und dieser befand es unter seiner Würde, sich im selben Gebäude aufzuhalten, wie die unterprivilegierte Schüler-, und Studentenschaft. Was mit einer der Gründe war, weshalb Dr. Madison diesen Ort ausgewählt hatte!
Das bedeutete nämlich, dass Gwendolyn sich lediglich mit Betas und Deltas herumschlagen musste. Und diese erkannten den Pheromonduft eines Omegas oder in ihrem Fall einer Epsilon nicht.
„Hey, Babe..." Ein dunkelhäutiger hochgewachsener Beta und unglaublich schönen Karamelfarbenen Augen trat auf die beiden jungen Frauen zu und küsste Gabi sanft auf den Mund.
„Jaaaaames!!" quietschte die Delta, ließ Gwendolyns Arm los, um den Neuankömmling gebührend zu begrüßen. Während Gabi und James sich also gegenseitig auffraßen, ging die Epsilon schmunzelnd weiter.
Sie gönnte ihrer Freundin das Glück. Schließlich war diese bereits seit Jahren in den Beta verliebt gewesen und im letzten Sommer hatte es dann endlich auch bei James geklickt.
‚Besser spät, als nie,' dachte Gwen und setzte sich ans Fenster in dem Unterrichtssaal für Geschichte.
Obwohl sie dieses spezielle Fach sehr mochte, konnte die junge Frau sich heute einfach nicht konzentrieren. Missmutig starrte sie aus dem Fenster auf den Schulhof hinaus und dann weiter auf die malerische Berglandschaft. Wie gerne würde sie sich doch jetzt hinausschleichen, um inmitten der Wildblumen und den tanzenden Schmetterlingen zur Ruhe zu kommen...
In Gedanken versunken sah sie nur halb, wie eine hochgewachsene Gestalt den Hof überquerte und versank wieder in der Betrachtung der Berge.
Die Professorin gab nach dem dritten Mal auf, Gwen in den Unterricht einbeziehen zu wollen und sagte: „Du bist augenscheinlich heute nicht ganz bei uns, Kim. Warum gehst du nicht für ein paar Minuten an die frische Luft, sammelst dich und dann versuchen wir es nochmal, hm?"
Dankbar nickte Gwen und verließ den Saal. Sie schlenderte hinter das Schulgebäude und lehnte sich dort an die warme Backsteinwand. Die Sonnenstrahlen kitzelten sie im Gedicht und die junge Frau rutschte mit genüsslich geschlossenen Augen hinab auf den Boden.
So könnte sie doch glatt einschlafen... Gwendolyn spürte, wie ihr Körper schwerer wurde, als die Müdigkeit zu schlug. Sie seufzte leise und zwang sich die Augen zu öffnen. So gern Professorin Jana sie auch hatte, Gwen wollte es sich nicht mit ihr verscherzen, in dem sie die Großzügigkeit der Frau auf diese Weise bestrafte. Also erhob die Epsilon sich wieder und räkelte sich genüsslich. Als sie sich anschickte zurückzugehen, fiel ihr Blick auf die hochgewachsene Gestalt des Mannes, der etwa fünfzig Meter entfernt mitten in der Wiese umgeben von einer Wolke bunter Schmetterlinge stand. Versonnen betrachtete Gwen dieses seltsam friedliche Bild mit einem kleinen Lächeln. Sie wünschte, sie hätte Talent zu malen, denn das war mal ein Motiv, welches sie....
.... Die Schmetterlinge kamen zur Ruhe und ein eisiger Schreck durchzuckte Gwen...
Nein! Das konnte nicht sein!
WIE konnte das sein?

Und dann setzte sich Kai mit ruhigen Schritten in Bewegung....

In einem Feld voller Schmetterlinge Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt