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(Triggerwarnung)

„Nachsitzen? Echt jetzt? Der Kerl hat uns Nachsitzen aufgebrummt?!" Fassungslos starrte Josh auf den Brief für seine Großmutter. „Nachsitzen? Dafür dass dieser dämliche Scheißalphadich mit Absicht verletzt hat?"
Müde lehnte Gwen sich gegen die warme Backsteinwand.
„Lass gut sein, Josh. Das Nachsitzen ist nicht dafür, dass Tim mich verletzt hat. Es ist dafür, dass wir beide auf einen Alpha losgegangen sind. So einfach ist das... Wir sind ein „Beta" und eine „Delta" und als solche haben wir kein Recht, ein Alpha anzugreifen. Das sind nun mal unsere Gesetze und das weißt du, das weiß ich. Und deswegen sitzen wir jetzt in diesem Mist! Also lass gut sein... Mir tut alles zu sehr weh, um mich aufzuregen."
Besorgt legte Josh ein Arm um seine Freundin und fragte: „Brauchst du irgendetwas gegen die Schmerzen?"
Gwendolyn schüttelte den Kopf und schloss die Augen. Ihre Tante würde echt sauer sein. Nicht auf sie, aber auf Beta Paul und auf den verlogenen Scheißkerl Tim. Der als Alpha natürlich nur mit einem symbolischen Klaps auf die Finger davon gekommen war. Aber ihr Onkel Hendrik würde ausrasten. Wenn er sie nur als Nichtsnutz und Platzverschwendung bezeichnen würde, wäre das schon ein Wunder. Und Gwen war sich ziemlich sicher, dass sie sich auch einiges von ihrer liebenswerten Cousine Bianca anhören würde müssen, da sie und Tim sich hin und wieder zu vögeln trafen.
„Awww... schaut einmal alle hin... Die beiden kleinen künftigen Knastinsassen sitzen hier und lecken ihre Wunden..."
Gwen spürte, wie ein Ruck durch Josh's Körper ging und sie packte ihn mahnend an der Hand.
„Ist es nicht wert," zischte sie ihm leise zu und hob ihren Blick um die Alphariege des Abschlussjahres anzufunkeln.
„Was willst du, Tim?"
„Das heißt ALPHA Tim," donnerte ein tiefe Stimme und der blonde Riese aus dem Königsclan schob sich in ihr Blickfeld. Auch wenn eine Woge von Furcht durch ihren Körper schwappte, wurde die junge Frau zeitgleich stinksauer. Gwen konnte diese Ungerechtigkeit einfach nicht mehr ertragen! Sie kam auf die Füße, stemmte die Fäuste in die Hüften und knurrte Alpha Tjorben an.
„Ich entschuldige mich, ALPHA. Dass ich über seinen mit voller Absicht ausgestreckten Fuß gestolpert bin. Es tut mir so wahnsinnig leid, DASS ER SEINEN MIKROPENIS MIT EXTREMER GRAUSAMKEIT KOMPENSIEREN MUSS UND ES TUT MIR LEID, DASS SEIN SELBSTBEWUSSTSEIN SO MICKRIG IST, DASS ER..."
Die Ohrfeige war so hart, dass sie mehrere Meter zurücktaumelte, gegen Josh prallte und ihn mit zu Boden riss. Für einen Moment schwanden Gwen die Sinne und Dunkelheit breitete sich aus. Josh kniete neben ihr und strich ihr verzweifelt übers Gesicht.
„Gwen? Gwenny? Mach die Augen auf, Schatz! Komm schon..."
Mit einem Wutschrei wirbelte der kleine Omega herum und baute sich nun ebenfalls vor dem Königsclan Alpha auf.
„WIESO? Warum hast du das gemacht? Sie wurde heute bereits mutwillig von einem Alpha verletzt, einfach weil er es witzig fand! Meinst du etwa, sie hätte noch nicht genug Schmerzen? Ihr Scheißalphas... wir haben keinen Wert für euch, oder? DIE WELT WÄRE OHNE EUCH BESSER DRAN!"
Gwendolyn wimmerte leise und versuchte die Schwärze in ihrem Blick mit einem Kopfschütteln loszuwerden, als ein alles zerreißender Schmerz in ihren Schädel explodierte. Nur am Rande bekam sie mit, wie Josh von dem blonden Alpha an der Kehle emporgehoben und dann gegen die Wand geschmettert wurde.

„Einsperren!" sagte Tjorben kalt und zwei Betas (Mitglieder des Lehrkörpers) hoben den Bewusstlosen hoch und brachten ihn fort.
Der Königsclan Alpha schlenderte zu Gwen hinüber, ging neben ihr in die Hocke und zerrte sie an den Haaren hoch. „Lass dir das eine Lehre sein, du wertlose kleine Delta! Rede noch einmal respektlos mit einem Alpha oder wage es gar einen anzugreifen, dann werde ich dich töten." Dann stieß er Gwen auf den Boden zurück und erhob sich. Tjorben zog ein Leinentaschentuch hervor und wischte sich das Blut der Epsilon von den Händen. Dann ließ er es auf die am Boden liegende Frau fallen und ging mit gemächlichen Schritten davon.
Das Lachen der umstehenden Alphas bildete eine abstruse Hintergrundmelodie, während die Betas und Deltas vollkommen still und geschockt waren. So viel gnadenlose Grausamkeit hatte niemand hier je persönlich erlebt, zumal Gwen und Josh dank ihres liebenswerten Wesens prinzipiell sehr beliebt bei den meisten der Mitschüler waren, klar... Alphas sahen auf den Rest der Bevölkerung herab und Fairness wurde bei ihnen nicht gerade großgeschrieben, das war nun wirklich keine Neuigkeit... aber es live zu sehen war eine ganz andere Nummer.
Erst als sich auch die letzten Alphas zerstreut hatten, eilte die Krankenschwester Mathilde zu Gwen und half ihr vorsichtig auf die Füße. Doch die junge Frau wehrte die Arme der fürsorglichen Delta ab und taumelte zu einem der Mülleimer um sich zu übergeben.
Als Mathilde wieder versuchte, Gwen in Richtung der Krankenstation zu geleiten, flüsterte diese nur: „Nein.. ich komm schon klar. Bitte sehen Sie nach Josh!!"
Dann wankte die Epsilon an der Fassade des Gebäudes entlang und verließ langsam das Schulgelände.

Wie Gwendolyn an diesem Tag nach Hause gekommen war, wusste sie später nicht. Genauer gesagt waren die nächsten Tage vollkommen verschwommen... sie war so krank, dass die Hitze dagegen wie ein Witz aussah. Clarissa war völlig verzweifelt und weigerte sich zur Arbeit zu gehen, um ihre Nichte pflegen zu können.
Was natürlich zu einem gewaltigen Familienkrach führte, bei dem Hendrik mit einer Scheidung drohte und die Zwillinge ihr vorwarfen, dass sie Gwen mehr liebte als ihre eigenen Kinder. Und nachdem der Onkel seiner Frau ein Ultimatum gesetzt hatte, entweder sie würde wieder zur Arbeit gehen oder er würde sie rauswerfen, damit sie mit ihrem Liebling in der Gosse enden konnte, musste Gwen sich selbst durch die schwere Gehirnerschütterung und das Fieber, hervorgerufen durch Entzündungen der Schürfwunden hindurch kämpfen.

Am vierten Tag erwachte die junge Frau endlich wieder aus dem Dämmerzustand und stand mühsam auf. Sie torkelte ins Badezimmer und starrte dort fassungslos in den Spiegel. Eine Hälfte des Gesichts war immer noch fast schwarz, das Auge war zugeschwollen und sie war weißer als die Wand hinter sich. Tränen liefen ihr aus dem gesunden Auge, als sie ihre kurzen Haare sah. Um an die Kopfwunde zu kommen, hatte man ihr augenscheinlich die Po-lange kupferrote Mähne abgeschnitten! Nachdem sie sich erleichtert und die Hände gewaschen hatte überwältigten sie die Ereignisse. Tiefer Kummer schnürte ihre Kehle zu, Gwen ließ sich in der Dusche zu Boden sinken und schluchzte verzweifelt.
Ein großer rot-goldener Schmetterling flatterte durch das offene Fenster und setzte auf ihrer Hand auf. „Mama..." wimmerte Gwen leise und das Insekt drehte den Kopf als wolle es zuhören. Dann flog es wieder hinaus und die junge Frau wünschte sich verzweifelt, mitfliegen zu können. Der Seele ihrer Mutter in die Freiheit folgen zu dürfen...
Stattdessen griff sie hoch und drehte das Wasser auf. Nachdem sie gut eine halbe Stunde später wieder sauber war, gab sie sich endlich einen Ruck und zog sich mühsam hoch, nahm ein Handtuch und trocknete sich langsam ab.
Sie formte unter dem Wasserstrahl des Waschbecken mit den Händen eine Trinkschale und löschte ihren quälenden Durst. Dann schwankte Gwen ins Schlafzimmer zurück und begann langsam das Bett abzuziehen. Vier Nächte schwitzen durch das Fieber, uääh... Nein, es musste dringend frisch bezogen werden! Sie brauchte erschreckend lange dafür... und als sie fertig war, wollte sie einfach nur wieder schlafen.
„Schätzchen? Oh, meine süße Kleine... du bist ja wieder auf den Beinen!!" Clarissa kam ins Zimmer und umfasste behutsam das Gesicht ihrer Nichte mit beiden Händen.
„Tante? Was ist passiert? Warum seh ich so aus? Und wo ist Josh? Wenn ich sonst krank war, hat er doch immer bei mir gesessen?" Zum Schluss brach Gwens Stimme und erneut liefen ihr die Tränen über das zerschundene Gesicht.
Sanft führte Clarissa sie ins Wohnzimmer und drückte die junge Frau auf das Sofa.
„Ach, mein Baby.. du wurdest von einem Alpha des Königsclans geschlagen, weil du ihn angeschrien hast. Der Schlag war so heftig, dass du eine schwere Gehirnerschütterung und eine sehr stark blutende Platzwunde am Hinterkopf davon getragen hast. Um die Wunde versorgen zu können, musste Mathilde dir die Haare abschneiden. Sie hat die Stelle um die Verletzung geschoren, dass sah so merkwürdig aus, also habe ich den Rest auf gleiche Länge geschnitten. Oh, Gwenny... es tut mir so leid, aber Haare wachsen wieder nach!!! Bitte sei nicht traurig darüber!"
Mühsam nickte Gwen und fuhr sich durch die noch feuchten kurzen Locken.
„Alles gut... alles gut, du hast recht... die wachsen wieder... aber was ist mit Josh?"
Clarissa presste ihre Lippen zusammen und ihre Augen glühten vor Wut auf.
„Er wollte dich verteidigen... der Scheißalpha hat ihn beinahe umgebracht dafür. Josh wurde eingesperrt und durch den Schock und die Schwäche setzte seine Hitze zu früh ein. Er wurde beansprucht und ist nun Teil eines Clans..."

In einem Feld voller Schmetterlinge Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt