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„Hey...Woran denkst du?"
Josh stupste seine Freundin mit einem Schulterschlenker an und schubste sie damit unbeabsichtigt von der hölzernen Bank.
„Jooohosh!!!" maulte Gwen genervt und stemmte sich wieder in die Senkrechte.
Der Omega drehte das Gesicht zur Sonne und schloss genüsslich die Schokoladen-braunen Augen. „Du kannst ruhig aufhören zu meckern! Schließlich hast du mich gerade ziemlich in die Bredouille hauen! Wie kommst du auf die beknackte Idee, meinen - so ganz nebenbei mit mir verpaarten - Alphas zu erzählen, dass wir intim gewesen sind. Du Hohlköpfchen?! Du hast doch Rafes Temperament kennen gelernt, weißt du noch? Vor ein paar Tagen auf der Schmetterlingswiese beim Grab deiner Mama... Mensch, Gwenny... du bist doch nicht etwa lebensmüde, oder?"
Mit einem schweren Seufzer plumpste die rothaarige Epsilon neben ihren Freund und lehnte den Kopf an seine Schulter.
„Ach, Josh... Ich weiß doch auch nicht... ich bin in letzter Zeit so verwirrt. Und einfach nur noch erschöpft... vom Angst haben, vom ständigen auf der Flucht sein, vom verstecken. Manchmal würd ich am liebsten mich hinlegen und bis in die Unendlichkeit schlafen."
Der junge Mann legte einen Arm um Gwendolyn und zog sie enger an sich.
„Was macht dir denn immer noch Angst?" fragte er leise und sah zu den entfernten Berghängen hin. Die Sonne senkte sich bereits und pinselte einen zarten Hauch von Rot und Gold an den strahlend blauen Himmel.
„Ich hab Angst vor dem was ich fühle, wenn die Alphas des königlichen Clans in der Nähe sind. Vor sieben Monaten noch hat zuerst Tjorben mich zusammengeschlagen und kurz danach hat der Prinz denselben Befehl gegeben. Ich hab mir selbst versprochen, dass ich das nie vergeben werde und jetzt? Jetzt hab ich den Schläger markiert und mir zweimal von dem Obermacker den Arsch versohlen lassen. Sie kommen mir immer näher und ich weiß nicht, wie lange ich noch die Kraft habe sie mir vom Leib... oder aus meinem Herzen fern zu halten..." Den letzten Teil flüsterte die junge Frau, zog ihre Beine an und schlang die Arme darum. Der Omega atmete tief ein und spiegelte dann ihre Haltung. „Die wirklich interessante Frage ist doch: willst du sie aus deinem Herzen fern halten? Auch wenn das jetzt platitüdenhaft klingt... du könntest es wesentlich schlechter treffen. Zum Beispiel mit den alten Alphas, die in den wichtigen Schlüsselpositionen sitzen. Oder mal so richtig beschissen: mit Prinz Henrys Vater! Der Typ hat anscheinend nicht einmal mehr den Hauch von Menschlichkeit und krallt sich an den Thron, als bestünde dieser aus purer Schokolade!"

Gwen kicherte. Wie alle Os und Ees liebten sie beide Süßigkeiten. Und für Josh rechtfertigte Schokolade fast jedes Vergehen.
Nicht, dass Gwen das anders sehen würde. Dumm nur, dass ausgerechnet diese Köstlichkeit unfassbar selten und kostspielig war. Zu ihrem achtzehnten Geburtstag hatten beide vom Bäcker ein Stück Schokoladentorte bekommen. Gwens liebenswerte Cousinen hatte ihres natürlich direkt vom Teller geklaut, so dass die Epsilon nur einen Bissen hatte kosten können. Das war für Gwendolyn sogar noch schlimmer gewesen als die ganzen anderen Schikanen, die die beiden Horrorschwestern ihr über die Jahre hatten angedeihen lassen...
Aber in einer Hinsicht hatte ihr Freund dann doch recht... Gwen musste dringend mal in sich gehen um sich über ihre Gefühle im Klaren zu werden.
„Kommst du mit auf einen kleinen Spaziergang?" fragte sie leise und Josh sprang sofort auf. „Klar doch, Schatz! Äh... ich schätze mal, du willst keine Alpha Begleitung haben?"
Gwendolyn schüttelte entschieden den Kopf. Nö... sie musste den Kopf klar bekommen... wie sollte das bitte funktionieren, wenn ein überfürsorglicher laufender zwei Meter Schrank um einen herumzirkulierte?!
Der Omega gluckste amüsiert bei ihrem Gesichtsausdruck und hüpfte zu Xander, der ein paar Schritte hinter ihnen an der Wand des Häuschens lehnte.
Der Alpha legte den Kopf schräg und zog eine Augenbraue lässig hoch, dann seufzte er leise und sagte: „Ok, ok... ich bleib hier. Aber weiter als bis zum Waldrand dort vorne geht ihr mir nicht... verstanden, kleiner Frechdachs?"
Josh strahlte und sprang dem blonden Riesen in den Arm. „Danke, Xander!! Danke, danke, danke..."
Jedes ‚Danke' wurde von einem zärtlichen Kuss begleitet und schließlich knurrte der Alpha erregt auf.
„Josh? Wenn du nicht willst, dass es hier gleich ziemlich nicht-jugendfrei wird, dann mach genauso weiter!"
Der Junge kicherte und wurde rot. „Ups..." murmelte er und kletterte wieder auf festen Grund zurück.
Dann lief er rasch zu Gwen zurück, schnappte sie an der Hand und zerrte die junge Frau hinter sich her, das tiefe Lachen des Mannes folgte ihnen auf dem Weg durchs Heidekraut.

Ein blau-weißer Schmetterling flatterte vor ihnen her und Gwen sah dem Insekt versonnen hinter her.
„Weißt du, ich vermisse echt die kleine Wiese hinter dem Haus meiner Tante... Dort konnte ich immer so gut nachdenken... und hatte das Gefühl, dass Mamas Seele bei mir ist um auf mich aufzupassen. Was Tante Clarissa jetzt gerade wohl macht...?"
„Vermutlich versucht sie ihrer missratenen Tochter bei ihrer neuen Zukunft zu helfen.."
Verwirrt bliebt Gwen stehen und sah zu ihrem Freund. „Hä? Was meinst du? Was ist passiert?"
Josh beugte sich runter und pflückte eine kleine, weiße Glockenblume. Lächelnd steckte er sie in die feuerroten Locken und nickte zufrieden, dann sagte er: „Was denkst du? Sabina hat ein Kapitalverbrechen begangen... sie hat einem Alpha geschadet. Das bedeutet die Todesstrafe... aber dein Vollstrecker hat beschlossen, sie am Leben zu lassen. Obwohl manche behaupten würden, dass seine Strafe schlimmer ist als das, was gesetzlich vorgeschrieben ist... Ich persönlich würde es eher Charakter formend bezeichnen." Leise kicherte der Junge und streckte die Hand aus. Der Schmetterling war zurückgekehrt und schien zu überlegen, ob er sich darauf niederlassen sollte oder lieber doch nicht.
„Josh? Was ist Sabinas Strafe?" fragte Gwen ungeduldig und stemmte die kleinen Fäuste in die Hüften.
„Hm? Oh, ja... richtig... Ähm, Sabina wurde dazu verurteilt sich niemals beruflich in der Gesellschaft zu erheben. Ihr wurde eine Heirat für die nächsten 25 Jahren verboten. Darüberhinaus darf sie sich nicht fortpflanzen. Also.. so gar nicht! Was jetzt nicht weiter schlimm ist, wenn die nächste Generation somit von ihren charmanten Charaktereigenschaften verschont bleibt. Sie wird demnach für den Rest ihres Lebens die Aufgaben erledigen, die sonst keiner durchführen möchte. Wie zum Beispiel öffentliche Toiletten säubern, in der Müllbeseitigung arbeiten oder Ähnliches."

Wow... ok, damit hatte Gwendolyn nun wirklich nicht gerechnet. Ein Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus... das war... perfekt! Die absolut perfekte Strafe!
Denn Gwen konnte sich eingestehen, dass sie es bedauert hätte, wäre die Todesstrafe über Sabina verhängt worden. Einzig und allein wegen Tante Clarissa...
Auch Josh kicherte leise vor sich hin. Die beiden waren mittlerweile am Waldrand angelangt, als Gwen plötzlich ihren Freund am Arm ergriff.
„Josh... sieh doch!" 
Mit großen Augen sahen die beiden Herzen wie eine Gruppe wilder Pferde durch das Unterholz strich.
„Oh... wie wunderschön... komm, lass uns doch etwas näher rangehen," bettelte die junge Frau und schlich lautlos vorwärts. Josh folgte ihr ohne Zögern, gebannt von der Pracht und wilden Freiheit der majestätischen Tiere.
Obwohl sie in den Menschen fernen Regionen des Planeten durchaus noch existierten, waren wild lebende Tiere eine absolute Seltenheit geworden. Raubtiere kamen zwar häufiger vor, doch auch die Großkatzen wie Jaguare, Panther oder Berglöwen standen mittlerweile auf der roten Liste und waren somit ziemlich rar geworden. Was die Magie dieses Augenblickes nur noch mehr verstärkte...
Plötzlich aber warfen die Pferde die Köpfe hoch, ganz so als hätten sie eine Gefahr gewittert und jagten im donnernden Galopp davon.
Ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden, wirbelten Josh und Gwen herum und rannten durch den Wald zurück.
Auch wenn sie nicht über die ausgeprägten Instinkte der Fluchttiere verfügten, so spürten die beiden sehr wohl, das ein Raubtier hinter ihnen her war!
„Schneller, Gwen!" keuchte Josh und legte noch einen Zahn zu. Die Epsilon versuchte mit ihrem Freund mitzuhalten und übersah jedoch prompt eine Wurzel. Im vollen Lauf machte Gwendolyn eine Bauchlandung und kämpfte sich ächzend wieder auf die Beine.

Ganz toll!
Ihr Knie hatte definitiv etwas abbekommen... scheiße, tat das weh!
„Na, was haben wir denn hier?" schnarrte eine raue Stimme und eine feste Hand packte die junge Frau mit einem eisernen Griff im Nacken. Josh bemerkte in genau diesem Moment, dass Gwen nicht mehr hinter ihm war und blieb stehen. Als er sich umwandte sah er seine Freundin in den Fängen eines schwarz gekleideten Trackers hängen. Und auf dessen Lederjacke war das goldene Unendlichkeitssymbol des Königshauses abgebildet...
Josh's Augen weiteten sich vor Entsetzen und absurderweise machte er unwillkürlich einen weiteren Schritt auf sie zu, doch Gwen kreischte: „NEIN!!! HAU AB, JOSH!! LAAAUUUF!!!!"
Und mit einem letzten verzweifelten Blick auf die Epsilon drehte der junge Mann sich wieder um und hetzte davon.
Er musste zu seinen Alphas kommen!
...Musste Gwen retten!!!
Der Omega hörte die schweren Schritte eines weiteren rennenden Trackers hinter sich und versuchte noch schneller zu laufen... und... da... endlich!!!
Der Wald lichtete sich zu der Hangwiese hin und Josh brach aus dem Unterholz hervor. In der Ferne sah er wie Xander sich bereits in seine Richtung bewegte und da schrie er so laut er konnte, mit dem letzten Rest seines Atems: „XAAAANDER!!!!! TRACKER!!!"
Und der blonde Riese nahm Tempo auf. Seine hasserfüllte Miene kündigten den Tod von Josh's Verfolger an, sein Wutgebrüll alarmierte den Rest der beiden Clans und nur Sekunden später stürmten elf zum Töten und Vernichten entschlossene Alphas über das violett blühende Heidekraut dem flüchtenden Omega zu Hilfe...

In einem Feld voller Schmetterlinge Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt