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(Ca 1,5 Stunden vorher)

„Ich fühle mich nicht wohl dabei, unseren kleinen Kobold allein dort in diesem Haus zu lassen!"
Jay sah zu seinem älteren Bruder und dieser nickte nur unbehaglich. Es wäre ihm ebenfalls sehr viel lieber gewesen, hätten sie Gwens Tante einfach zu sich in die Unterkunft karren können. Dort hätte ihre süße kleine Epsilon sicher und wohl behütet...
„Kommt schon! Dieses Zugeständnis waren wir ihr schuldig," unterbrach Jared Henrys Gedankengang. Max schob die Hände in seine Hose und nickte nachdrücklich. „Jared hat Recht. Was soll ihr bei ihrer Tante auch schon Schlimmes passieren? Der Ehemann ist aus dem Bild wie wir wissen und Clarissa liebt ihre Nichte abgöttisch. Sie wird nicht zulassen, dass unseren Schatz ein Leid geschieht."
Jay verdrehte die Augen und maulte leise: „Könntest du vielleicht auch einmal nicht die Stimme der Vernunft sein? Das nervt echt!" Maximilian grinste frech und steckte ihm höchst erwachsen die Zunge raus.
Tjorben beteiligte sich nicht an der kindischen Diskussion, die nun entbrannte, sondern fixierte - genau wie Kai - das Haus, in dem sich sein kleines Kätzchen gerade befand. Die Markierung auf seiner Schulter kribbelte leicht, ein Zeichen dafür, dass die Epsilon starke Emotionen durchlebte. Der Vollstrecker knurrte gereizt und spannte die Muskeln an um loszupreschen, als Henry sagte: „Tjorben... denk daran... wir benehmen uns anständig und höflich. Lassen uns nicht provozieren und werden niemandem - NIEMANDEM - die Luftröhre rausreißen!"
Der blonde Riese schnaubte abfällig und brummte: „Das ist einmal passiert! War keine große Sache!"
Jay lachte amüsiert auf: „Keine große Sache? Der Kerl ohne Luftröhre war unser Onkel!"
„Ja, mit Betonung auf ‚war'! Und er WAR zudem auch eines der miesesten Arschlöcher unter der Sonne. Ich hab der Welt einen Gefallen getan... Gern geschehen!"
Max raunte zu dem grinsenden Jared: „Auch eine Art es zu betrachten..."

Kai beendete die hitzige Debatte indem er fragte: „Was meint ihr, wie lange müssen wir unserer Kleinen noch geben, bevor es Gesellschaftskonform ist, da rein zu marschieren und Gwendolyn wieder in unsere Unterkunft zurückzubringen?"
Zeitgleich wandten alle sechs Alphas wieder den Kopf zu dem Haus hin, in ihren Gesichtern den gleichen Ausdruck von tiefer Sehnsucht...
Das leise Rauschen eines Solarseglers riss Henry aus seinen Fantasien, wie er Gwen bei ihrer nächsten Hitze markieren würde, er stöhnte leise und richtete sich seine Erektion in der Hose.
„Oh, Gott... Mädels schaut doch mal, wer uns wieder besuchen kommt!" Die penetrant kreischende Stimme von einem der beiden lästigen Zwillingscousinen ließ den Ständer schneller Geschichte werden, als eine Dusche mit Eiswasser.
Und schon klammerte sich eines der blonden Biester an Henry und zog ihn zu dem Haus hin, in welchem sich ihre Clans-Seele bereits befand. Daher wehrten sich die Männer auch nicht, als die kichernde Deltahorde sie nur wenig später ins Wohnzimmer bugsierte. Tjorben ließ sich abseits in einen der Sessel fallen und wippte unruhig mit dem Fuß.
Wo war sein Kätzchen denn nur?
Der blonde Alpha war nur Sekundenbruchteile davon entfernt, aufzuspringen, um den niedlichen kleinen Kobold selbst zu suchen, als sich Sabina provokant auf seinen Schoß setzte.
„Na, mein Großer? Hast du mich ein wenig vermisst? Erinnerst du dich noch an den Spaß, den wir zwei hatten?"
Die Frau leckte sich genüsslich über die Lippen und lehnte sich vor um seinen Duft einzuatmen. Tjorben sah mit zusammengekniffenen Augen zum Prinzen, doch Henry knurrte leise: „Benimm dich!" und der Vollstrecker ballte genervt die Fäuste.
Sabina bemerkte natürlich das fehlende Interesse und vertiefte ihre Anstrengungen. Verdammt... was war nur los? Beim letzten Mal hatte er sie direkt gepackt und es ihr so sensationell besorgt, dass absolut keiner der Betas, die sie inzwischen durchprobiert hatte, auch nur ansatzweise an Tjorben herankam. Und Sabina wollte nun diesen Mann haben! Sie war heiß und willig, also wieso sträubte sich ihr Auserwählter, anstatt sich munter in sie hineinzuhämmern!
Als die junge Frau sein Hemd etwas zur Seite zog, erkannte sie in dem prächtigen Muskel der Schulter eine kleine Bißnarbe... eine Markierung!
Das war es also!
Dieses Miststück von Cousine hatte sich nicht nur die Liebe ihrer Mutter abgegriffen und dafür gesorgt, dass ihre Eltern sich getrennt hatten, nein... Gwendolyn hatte den einen Alpha als Eigentum markiert, den Sabina unbedingt hatte haben wollen.

Na, warte... das sollte die Cousine büßen!
Auch wenn die beiden Zwillinge sich gerne als dumm hergaben, sie waren tatsächlich alles andere. Und seit sie vor fünf Monaten herausgefunden hatten, dass Gwendolyn eine Epsilon war, hatten Bianca und Sabina sich intensiv mit dem Paarungsband, verpartnerten Clans und natürlich auch mit Markierungen beschäftigt. Daher wusste Sabina, wenn sie die Markierung eines verpartnerten Alphas liebkoste, würde dies dem weiblichen Teil des Bundes fürchterliche Schmerzen zu fügen.
Und als Bianca mit Gwendolyn ins Wohnzimmer kam nutze die junge Frau die Gelegenheit. Sie warf ihrer Cousine einen gehässigen Blick zu, dann senkte Sabina den Kopf und presste ihre Lippen fest auf die Bißnarbe.

Tjorben stöhnte auf. Nicht vor Lust, sondern vor Qual. Es fühlte sich an, als würde ein weiß glühender Metallstab durch Gwens Markierung direkt in sein Herz geschoben. Seine Clansbrüder sprangen auf und waren mit einem Satz bei ihm, rissen Sabina von seinem Schoß und fingen den blonden Riesen auf, als er das Bewusstsein verlor.
Das war etwas, was in keinem Buch erwähnt wurde... Alphas reagierten viel stärker auf diese Art von missbräuchlicher Berührung durch ein fremdes Weibchen. Es wurde nie erwähnt, weil es der Beweis einer Schwäche war und Alphas niemals als schwach erscheinen durften. Clarissa stürzte ins Wohnzimmer, just als der ruhige Kai die völlig hysterische Sabina an der Kehle hochhob um ihren Kopf an der Backsteinwand zu zerschmettern.
„Was.. oh, Gott... bitte nicht! Bitte, Alpha... ich flehe dich an! Gnade für meine Tochter!!!" Gwens Tante fiel auf die Knie und streckte flehend die Hände in Richtung des Prinzen aus. Henrys Blick war so kalt wie Gletschereis und er sagte: „Kai... warte. Ihr anderen... RAUS! Und wenn ihr ein Wort darüber verliert, was heute hier geschehen ist, werdet ihr sterben! Ihr und alle, denen ihr erzählt, was ihr gesehen habt! Ist das klar?"
Die Freundinnen der Zwillinge nickten verängstigt und sahen zu, dass sie Land gewannen.
Clarissa hatte derweil Bianca an sich herangezogen und streckte immer noch flehend ihre Hand nach ihrer zweiten Tochter aus. „Bitte, Prinz! Bitte... wir akzeptieren jede Strafe, doch bitte töte Sabina nicht. Ich flehe dich an!!"
Henry betrachtete die beiden knienden Deltas mit einem zornigen Blick, dann ging er zu dem immer noch bewusstlosen Tjorben. Jay tätschelte die bärtigen Wangen des Vollstreckers und sah besorgt zu seinem Bruder. „Er ist immer noch weg! Wie konnte das passieren?"
Jared flüsterte: „Er hat sich es zu Herzen genommen, das mit dem sich benehmen. Sonst wäre das Miststück nie auch nur in die Nähe der Markierung gekommen..."
Henry stöhnte auf und fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht: „Mist... es ist meine Schuld. Ich hab ihm gesagt, er soll sich ruhig verhalten! Kai... lass die Delta runter! Und du, Clarissa... wir brauchen ein feuchtes, kaltes Handtuch. Jetzt! Ich gebe dir mein Wort, dass deine Tochter noch lebt, wenn du wieder herkommst!"
Voller Angst hastete Gwens Tante aus dem Zimmer um nur kurze Zeit später mit dem geforderten zurückzueilen. Maximilian nahm ihr das Tuch mit einem kurzen dankbaren Kopfnicken ab und rollte es zusammen um es in Tjorbens Nacken zu schieben.
Jax warf einen angewiderten Blick auf die heulende Sabina. „Was machen wir jetzt mit ihr?" fragte er und stieß mit dem schweren Stiefel gegen die zusammengekauerte Delta.
„Das wird Tjorben entscheiden, wenn er wieder aufwacht..."
„... was entscheiden?" stöhnte der Vollstrecker und richtete sich mühsam auf.
„Er ist wieder unter den Lebenden!" sagte Jay ungewohnt ernst und drückte ihm kurzerhand ein Glas Wasser in die Finger.
Tjorben exte das Getränk, dann stemmte er sich in die Senkrechte.
Sein Blick war voller Abneigung als er Sabina ansah, dann sagte er: „Das Gesetz ist hier eindeutig. Wer einem Alpha schadet, der ist des Todes. Allerdings will ich ihr Blut nicht an meinen Händen haben.. Entscheide du, Henry... ich werde unsere Kleine suchen und sie trösten. Den Schmerz hat sie garantiert auch gespürt... Wartet... wo ist das Kätzchen?"
Kai fuhr herum und blähte die Nasenflügel. Als Tracker waren seine Sinne noch schärfer als die der normalen Alphas und die feine Spur von Gwen Blütenduft führte von dem Haus fort.
Sein Knurren sagte den Clanbrüdern alles, was sie wissen mussten und fast zeitgleich setzten sich der königliche Zirkel in Bewegung.
Ihre Schritte wurden länger, das Tempo schneller ... und doch sollten sie zu spät kommen.
Als sie den Fluss erreichten endete Gwens Spur im nichts...

In einem Feld voller Schmetterlinge Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt