Erstaunlicherweise verlief das Abendessen verhältnismäßig ruhig.
Das leise Klappern des Bestecks auf den Tellern war für eine kurze Weile das einzige Hintergrundgeräusch, dann schnaufte Hendrik genervt und musterte seine Nichte. „Du musst dich nicht wirklich darüber wundern, dass du so ein schwächlicher Winzling bleibst, wenn du immer nur wie ein Spatz isst." Gwen verdrehte heimlich die Augen und antwortete in einem betont leisen Tonfall: „Ich hab heute einfach kein Hunger, Onkel... Mir geht es nicht so gut."
Ihre Cousine schnaubten verächtlich und Sabina stopfte sich ein weiteres Brot in die Futterluke. Mit vollen Backen schmatzte sie: „Vorsicht, hinterher wird sie wieder krank... Dir ist aber schon klar, dass Krankheit nicht bedeutet, dass du dich bei deinen Pflichten drücken kannst." Bianca nickte zustimmend, und Tante Clarissa schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.
„Jetzt reicht es," sagte sie streng und funkelte ihre beiden Töchter an.
„Gwen macht mehr als genug im Haushalt, es könnte nicht schaden, wenn ihr auch hin und wieder mal einen Finger krümmen würdet! Und sollte sie wirklich krank sein, dann wird sie sich ausruhen und nicht hinter euch her putzen, habt ihr das verstanden?"
Bianca warf ihrem Vater einen um Verständnis heischenden Blick zu und selbstverständlich sprang Hendrik direkt in die Bresche.
„Also wirklich, Clarissa... Das ist nun echt nichts, was wir jetzt hier am Tisch besprechen müssen. Außerdem ist es ja nicht so, als würden die Zwillinge nichts machen. Darüber hinaus vergiss bitte nicht, dass sie unsere eigenen Kinder sind und wir Gwendolyn nur aus der Güte unseres Herzens heraus aufgenommen haben. Also finde ich es nicht zu viel verlangt, wenn sie sich ein bisschen nützlich macht. Und jetzt reich mir bitte den Salat."
Gwens Cousinen stießen sich unterm Tisch heimlich an und kicherten hinter vorgehaltener Hand. Sie wussten nur zu gut, dass ihr Vater immer für sie Partei ergreifen würde. Tante Clarissa wollte wütend etwas entgegnen, doch Gwen schaute sie einfach nur an und schüttelte kaum wahrnehmbar den Kopf. Genervt sah Clarissa zu ihrem Mann, dann sagte sie: „Schön... du sagst, unsere beiden bringen sich ein. Dann können sie das direkt heute Abend unter Beweis stellen. Gwen und ich haben fürs Abendessen gesorgt, dann könnt ihr zwei jetzt auch aufräumen."
Zornig erhob sie sich und verließ den Raum. Clarissa hasste die Abneigung, die ihr Mann gegenüber Gwendolyn an den Tag legte.
Wirklich schlimm war es aber erst geworden, als Gwen in ihre erste Hitze gekommen war. Nicht dass Hendrik gemerkt hatte, dass seine Nichte eine Epsilon war. Sie war in seinen Augen einfach nur unpässlich, schwach und kränklich, da sie in der Woche, die der Hitze folgte immer noch schwer mit den Folgen zu kämpfen hatte. Aber Clarissa konnte bei besten Willen nichts dagegen ausrichten ohne Gwen zu verraten.Am Esstisch herrschte wütende Stille, dann zischte der Onkel: „Räum auf! Jetzt!"
Und dann verließen die Zwillinge und er selbst den Raum um ins Wohnzimmer zu gehen. Es war Sonntag und somit war der Bevölkerung ein Film zu Unterhaltung gewährt worden. Gwen seufzte leise und begann abzuräumen. Rasch spülte sie das Geschirr und stellte die Butter und den Käse - beides auf pflanzlicher Basis wieder zurück in den Kühlschrank. Nachdem sie auch noch die Arbeitsplatten abgewischt hatte, folgte sie der Familie ins Wohnzimmer. Normalerweise hätte sie lieber auf die ach so familiäre Gesellschaft verzichtet, aber sie liebte - so wie jeder andere auch- diese seltenen Unterhaltungsabende zu sehr, als dass sie sich davon freiwillig ausgeschlossen hätte. Bis die Zwillinge in die Pubertät gekommen waren, war Cinderella deren Lieblingsfilm gewesen, jetzt standen sie auf romantische Komödien oder auch auf etwas, was die Klassifizierung ‚Kdrama' hatte. Schlußendlich setzte Hendrik sich durch und es wurde der 5te Film, der heute Abend zur Auswahl stand. „Jetzt schau doch nicht so. Der Titel ist vielversprechend. ‚After the Sunset'... Ist für jeden von uns etwas dabei. Action für mich, ein bisschen Romantik für euch. Und jetzt Ruhe. Gwen, mach das Licht aus!"
Clarissa zog ihre Nichte zu sich und erntete dadurch einen finsteren Blick von den Zwillingen. Auch wenn die zwei sich möglichst erwachsen gaben, brannte eine rasende Eifersucht über diese bedingungslose Liebe ihrer Tante zu dem Eindringlingskind in ihren Adern. Es war leider nur sehr wahrscheinlich, dass Clarissa mit ihrem Verhalten Gwendolyn gegenüber einiges von der Abneigung, die der Rest der Familie hegte provoziert hatte. Aber sie konnte einfach nicht anders. Gwenny sah nur mal so aus wie ihre Schwester, als diese noch jung gewesen war. Und es brach Clarissa schier das Herz, dass Adriana ihre Tochter nicht selbst hatte großziehen können.
Gwen gähnte... trotz des Nickerchens im Garten war sie immer noch völlig erledigt. Und morgen ging es wieder in die Schule... und dass wo sie eigentlich noch ein paar Tage benötigte, um wieder voll funktionsfähig zu werden.
Und dann war da noch dieser neue Alpha Direx... Der alte Kerl machte ihr Angst. Er hatte sie so merkwürdig angeschaut und interessiert in ihre Richtung geschnuppert. Sie wusste zwar, dass das Supress die Paarungspheromone völlig unterdrückt hatte und natürlich sprühte sie sich zudem mit einem blumigen Parfum ein, dennoch... irgendwas war an den Kerl seltsam. Vielleicht lag es aber auch daran, dass sie noch nie einem so alten Alpha begegnet war. Sicher... sie wusste, dass Alphas bis zu vierhundert Jahre alt wurden. Und dieser hatte bestimmt schon die dreihundert überschritten. Mit dem verlangsamten Alterungsprozess behielten sich die Alphas natürlich auch ihr Aussehen und ihre Fitness bis weit ins hohe Alter hinein. Den meisten sah man nicht an, dass sie bereits über das natürliche, biologische Alter der Durchschnitts-Bevölkerung hinaus waren. So auch die Mitglieder des Königsclans. Der amtierende König war schon dreihundertzwanzig Jahre alt und sein Sohn Prinz Henry hatte die erste dreistellige Zahl letztes Jahr erreicht.
Dennoch hatten beide das Aussehen von Männern in den Fünfzigern beziehungsweise den frühen Dreißigern. ‚Unfair,' dachte Gwen müde und kuschelte sich enger an ihre Tante. Die ganze Welt war unfair geworden. Klar waren die technischen Neuerungen etwas, was die Menschheit vor dem Tag des Umbruchs sehr gut hatten gebrauchen können. Diese großen fliegenden Dinger, mit denen die Hauptdarsteller in dem Film durch das Land flogen gab es schon lange nicht mehr. Aufgrund der hohen Sonneneinstrahlung transportierten Solarsegler die Menschen nun um die Welt. Kleinere Versionen davon dienten zur Fortbewegung am Boden. Müll im eigentlichen Sinne gab es auch nicht mehr, alles was nicht biologisch abbaubar war, wurde von Ionenstrahlen in seine molekularen Einzelteile zerlegt, um dann wiederverwendet zu werden.Einmal noch riß Gwen ungläubig die Augen auf, als sie den riesigen Glitzerstein sah, den der Hauptdarsteller von einem sogenannten Schiff klauen wollte und ihre Cousinen in begeisterte ‚Uh' und ‚Ah' - Rufe ausbrechen ließ. Als Epsilon machte sich Gwen nichts aus Schmuck... sie liebte eher alles was weich, flauschig und kuschelig war. Am liebsten hätte sie das winzige Zimmerchen, dass sie im Anbau des Hauses bewohnte mit Decken und Kissen vollgestopft und einfach in einer Höhle mitten drin geschlafen... sicher und außer Sichtweite von Raubtieren... aber das war bedauerlicherweise viel zu offensichtlich und ein Verhalten, dass nur Os und Ees an den Tag legten.
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In einem Feld voller Schmetterlinge
Fantasy„Du bist eine Epsilon, deine Pflicht ist es deinem Alpha-Clan Kinder zu gebären.." Ja, ja, ja... das war ihre Gott verdammte Pflicht, weil sie in der genetischen Lotterie des Lebens die A-Karte gezogen hatte. Gwendolyn hatte jedoch nicht vor, sich...