Prolog

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Flackernd fraß das Kaminfeuer die Holzscheite.
Es verbrannte sie so rasch, fast schon gierig, als versuchte das Feuer, nicht nur gegen die Kälte anzukommen, die dauerhaft in dem alten Gemäuer steckte, sondern auch gegen eine andere Kälte, die sich hier eingenistet hatte - düster, subtil, fast ein wenig bedrohlich hing sie in der Luft, als sei etwas von dem Bösen, das hier gehaust hatte, für immer zurück geblieben. Oder als habe es das Dunkle, was hier schon immer geschlafen hatte, mit seiner Anwesenheit aufgeweckt.
Am Kamin stand ein hochgewachsener, blonder Mann, die Hand lässig auf den Kaminsims abgestützt, ein Glas Whisky in derselben, den Blick nachdenklich in die Flammen gerichtet. Seine Kleidung, zwar edel und unsagbar teuer, wirkte knittrig und befleckt, als habe sein Träger kürzlich etwas von dem Whisky darüber verschüttet.
„Ich verstehe seine Entscheidung nicht. Es ist dumm. Und sinnlos. Es sieht ihm nicht ähnlich, solch nutzlose Entscheidungen zu treffen."
Die Worte des Mannes waren schwerfällig, er hatte zu viel getrunken, und einem aufmerksamen Beobachter wäre mit einem einzigen Blick in sein Gesicht aufgefallen, dass dies nicht das erste Mal war.
Seine Worte waren an eine blasse, schöne Frau gerichtet, die in einem Sessel in der Nähe des Kamins saß.
Ihr Kleid war nicht minder hochwertig als die Kleidung ihres Mannes, doch ungleich gepflegter.
Ihr Haar war akkurat hochgesteckt und sie saß kerzengerade aufgerichtet im Sessel, ein aufgeschlagenes Buch in den schmalen Händen, den Blick allerdings auf ihren Gatten gerichtet.
„Es geht nur um einen Schulbesuch", stellte sie nüchtern fest.
Wütend schleuderte der Angesprochene sein Glas in den Kamin. Die daraufhin entstehende Stichflamme beeindruckte die Frau im Sessel nicht im Mindesten. Sie löste lediglich elegant eine Hand vom Buch und strich eine nicht vorhandene Falte in ihrem Kleid glatt.
„Es geht darum, dass er sich der Verantwortung entzieht", fauchte der Mann. „Er hat mit uns zusammen einen Namen rein zu waschen, keinen nichtigen Schulabschluss nachzuholen, den er nicht benötigt!"
„Früher war es dir stets wichtig, dass er gute Leistungen erbringt und einen hervorragenden Schulabschluss erzielt."
„Früher! Die Zeiten haben sich geändert und gerade hat unsere Familie andere Probleme und andere Prioritäten. Unser Ruf muss wieder hergestellt werden."
„Vielleicht möchte er einfach eine Spur Normalität zurück", gab die Frau leise zu bedenken.
„Normalität! Was soll daran Normalität sein, für jemanden wie ihn? Nach dem Abschluss wird er mit dem, was da zum größten Teil herumläuft, sowieso nie wieder Kontakt haben."
„Er wird schon wissen, was er tut."
Ein ungnädiges Schnauben war die Antwort.
„Der Junge weiß doch nicht mal, was er eigentlich will", entgegnete der Mann verärgert.
Der Junge, von dem sie sprachen, saß derweil in dem Stockwerk über ihnen, in vollkommener Dunkelheit in seinem Zimmer.
Trotz der ungewöhnlichen Frische in dieser Augustnacht hatte er sein Fenster komplett aufgerissen und saß, vollkommen untypisch mit lockerer Hose und einem einfachen T-Shirt bekleidet, in der Fensterbank, ein Bein aus dem Fenster baumelnd, den kalten Wind, der um seinen nackten Fuß strich, ignorierend.
Diesem Jungen, der eigentlich schon ein junger Mann war, sah man die Verwandtschaft zu dem Paar ein Stockwerk tiefer sofort an, war er optisch doch die fast vollkommen ausgeglichene Mischung aus beiden.
Sein Blick war wie hynotisiert auf den Mond gerichtet, das ungewöhnliche Grau seiner Augen war aufgrund der durch die Dunkelheit stark geweiteten Pupillen kaum zu sehen.
Wäre in diesem Augenblick jemand in der Nähe gewesen, um den jungen Mann zu betrachten, hätte sich der Verdacht aufgedrängt, er schaue mit ernster, gleichgültiger Miene in die Nacht. Es gab kaum jemanden, der ihm so nahe stand, dass ihm Kleinigkeiten aufgefallen wären: Das minimale Zusammenziehen der Augenbrauen, der leicht verhärtete Zug um den Mund, der angespannte Kiefer. Aber niemand war in der Nähe, erst recht niemand, der diese Dinge wahrgenommen hätte. Diese Dinge, die klar machten: Er war besorgt wegen etwas.
Plötzlich senkte sein Blick sich, richtete sich gen Boden, und fast wirkte es so, als schätzte er den Abstand von seinem Sitzplatz zur gepflegten Rasenfläche unter dem Fenster ab.
Doch schon im nächsten Moment wanderte sein Blick weiter, zu seinem Unterarm, dessen Innenfläche er nach oben drehte.
Die hellen Brauen zogen sich kaum bemerkbar etwas mehr zusammen, als er das düstere Mal auf seinem Arm betrachtete, über das sich merkwürdige Striemen zogen.
Ruckartig riss er seinen Blick wieder los, starrte erneut in den Himmel, und die Finger seiner rechten Hand legten sich auf den linken Unterarm.
Seine Fingernägel gruben sich tief in die Haut, kratzten kurz über das Mal, ehe er ruckartig aufsprang und auf nackten Sohlen zu seinem Bett ging.
Etwas, das ganz oben in dem geöffneten Koffer, der vom Mondlicht beschienen auf dem Bett lag, zu sehen war, zog die Aufmerksamkeit des jungen Mannes auf sich. Nachdenklich griff er danach und betrachtete das Kleidungsstück - eine grün und silber gestreifte Krawatte.
Er hielt sie in der Hand wie einen Fremdkörper, den er noch nie gesehen hatte, ehe er leise seufzte und die Krawatte an ihren Platz zurück legte.
Als nächstes griff der junge Mann nach einem Stab, der auf seinem Nachttisch lag, und stumm, mit einem beinahe beiläufigen Schlenker, schwang er ihn, woraufhin die Dinge im Koffer sich ordneten und das schwarze Lederungetüm sich mit einem hörbaren Zuschnappen schloss.
Der Stab wurde klappernd wieder auf dem Nachttisch abgelegt, ehe sein Besitzer sich aufs Bett legte, ohne sich zuzudecken, sich auf die Seite drehte und überraschend klein zusammenrollte, den Blick resigniert zum Fenster gerichtet, als sei ihm klar, dass er auch in dieser Nacht nicht viel Schlaf finden würde, genauso wie in etlichen Nächten seit vielen Monaten.

What if... (Dramione) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt