Erfreulicher Besuch

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„Ginny, ich weiß nicht, ich bin irgendwie aufgeregt...“
Ginnys hübsche Augen wurden groß, erstaunt sah sie sie an.
Sie saßen gerade zusammen auf Hermines Bett, inmitten von aufgerissenem Schokoladenpapier.
Ginny war der einzige Grund, warum Hermine manchmal traurig war, dass sie nicht bei den anderen Gryffindors wohnte. Sie fanden viel zu selten die Möglichkeit, Zeit miteinander zu verbringen.
„Aber warum?“
Hermine seufzte.
Die Zeit war unfassbar schnell vorbei gegangen, und bereits morgen würden Harry und Ron für zwei Tage in Hogwarts sein.
„Ich weiß nicht... Ich habe Ron schon so lange nicht mehr gesehen und... Ach ich weiß auch nicht. Ich bin in letzter Zeit irgendwie... durcheinander. Ich meine, er hat sich verändert, ich habe mich verändert... Und er hat sich von mir getrennt, Ginny. Ich habe furchtbare Angst, dass es immer noch schrecklich wehtun wird, ihn zu sehen.“
Ginny atmete geräuschvoll aus und schien einen Moment nachzudenken.
„Vielleicht ist das so“, sagte sie schließlich. „Vielleicht wird es weh tun. Aber vielleicht hat mein Bruder bemerkt, dass er dich auch vermisst. Und wenn nicht, dann weißt du wenigstens, woran du bist. Dann wird es vermutlich noch einmal sehr weh tun, aber dann kannst du besser damit abschließen.“
Hermine presste kurz die Lippen fest aufeinander.
„Und wenn ich nicht damit abschließen kann?“
„Ach Hermine...“, murmelte Ginny mitfühlend. „Ich verstehe dich. Ich würde auch vollkommen daran zerbrechen, wenn Harry sich jetzt plötzlich von mir trennen würde. Und ganz ehrlich? Ich habe mich so gefreut, dass du und Ron ein Paar ward. Es hat sich so perfekt angefühlt. Ich meine, Harry und du, ihr gehört zur Familie, und dadurch, dass ich mit Harry zusammen bin und als du mit Ron zusammen warst... Ich meine, da war es, als seien wir...“
Sie stockte.
„Als seien wir alle eine große Familie?“, beendete Hermine den Satz.
„Ja. Ja, in gewisser Weise. Zuerst hatte ich sogar Angst, unsere Freundschaft könnte darunter leiden, dass mein dämlicher Bruder sich von dir getrennt hat.“
„Ginny!“
„Ich weiß jetzt auch, dass das Quatsch ist. Aber nichts desto trotz ist es für mich immer noch komisch. Und richtig merkwürdig wird es, wenn Ron irgendwann mit einer anderen auftaucht. Oder du mit jemand Neues.“
Und ganz kurz erschien vor ihrem inneren Auge ein Bild von Draco.
Sie drückte den Gedanken an ihn blitzschnell weg.
Wieder spürte sie, wie sie traurig wurde.
Wie konnte sie nur zweimal hintereinander ihr Herz so unpassend verlieren?
Erst Ron, jetzt Draco...
Draco... Es kam ihr mittlerweile fast nicht mehr real vor, das, was zwischen ihr und ihm passiert war. Nachdem er eine ganze Weile einfach freundlich und zuvorkommend ihr gegenüber gewesen war, verhielt er sich in letzter Zeit plötzlich zurückhaltender. Er wirkte wieder verschlossener, obwohl er weiterhin nicht unfreundlich zu ihr war. Doch selbst bei ihren Treffen war er schweigsamer geworden, und sie bemerkte sehr wohl, dass er bei den Okklumentik-Übungen wieder zaghafter vorging, weniger Druck ausübte.
Das war etwas, was sie ihm nicht ganz verdenken konnte. Sicher war es ihm auch unangenehm, zweimal in ihren Geist gestolpert zu sein. Vermutlich versuchte er nun, dies einfach zu vermeiden.
Und fast war sie froh darüber, dass er sich distanzierte, dass er Blickkontakt vermied, dass er sie nicht mehr berührte. Es half ihr, zu vergessen, was zwischen ihnen gewesen war. Es half ihr, ihre Gefühle wieder zu ordnen.
Es half ihr auch, die Sehnsucht nach ihm zu ersticken. Sie hätte es niemals für möglich gehalten, aber sie sehnte sich nach seiner Nähe, seiner Berührung, nach dem, was er mit ihr getan hatte. Fast war sie sich sicher, dass sie ihm auch ein weiteres Mal nicht widerstehen können würde.
Und sie wusste, das würde alles noch schlimmer machen.
Aber Ron... Ron war noch nicht ganz unerreichbar.
Vielleicht hatte Ginny Recht. Vielleicht hatte er auch bemerkt, dass er sie vermisste.
Sie würde sich einfach überraschen lassen, was das Treffen mit sich brachte.





„Wow! Der Gemeinschaftsraum ist ja voll krass!“
Hermine musste lachen, als sie Rons Ausruf hörte.
Wie vertraut es doch klang!
Heute Morgen waren er und Harry angekommen, und sie hatten sich nur flüchtig gesehen. Den Tag über begleiteten die beiden die Lehrkräfte in den jüngeren Jahrgängen. Sowohl das Mittag- als auch das Abendessen verbrachten die Jungs mit ihr und Ginny in der Großen Halle. Es war viel kribbeliger als sonst, deutlich merkte Hermine, dass die ganze Schülerschaft aufgeregt war, weil die beiden Kriegshelden zu Besuch waren.
Ginny schien im siebten Himmel zu schweben und erzählte Harry voll stolz von ihren Fortschritten beim Quidditch. Sie rannte bei ihm natürlich offene Türen ein, war Harry nach wie vor immer noch verrückt nach dieser Sportart, und da Ron ebenfalls sehr viel zum Thema beizutragen hatte, saß Hermine lächelnd daneben und hörte die meiste Zeit zu.
Ja, sie war glücklich.
So sehr es sie im ersten Moment aus der Bahn geworfen hatte, zur Begrüßung von Ron in den Arm genommen zu werden, mittlerweile war sie einfach nur froh, die beiden wieder um sich zu haben. Und da sie die ganze Zeit zu viert waren, musste sie sich auch gar nicht so sehr auf ihre Gefühle für Ron konzentrieren.
Nach dem Abendessen waren sie noch am See spazieren gewesen.
Danach bestanden die Jungs darauf, den häuserübergreifenden Wohnbereich zu sehen, und natürlich begleitete Ginny sie.
Der Gemeinschaftsraum war ziemlich voll, alle Wiederholer waren anwesend, und als Hermine die Butterbierflaschen und die Knabbereien sah, die nach und nach ausgepackt wurden, war ihr schnell klar: Alle hatten gehofft, die Helden der Zaubererwelt würden noch vorbei kommen.
Es gab ein großes Hallo und viele Umarmungen.
Und natürlich entging Hermine nicht, dass Theodore, Blaise und Draco abseits saßen und nicht zur Begrüßung kamen.
Sie fragte sich, ob es ihre Aufgabe war, die drei anzusprechen und zu fragen, ob sie sich nicht zu ihnen setzen wollten, aber irgendwie brachte sie es nicht über sich.
Erst nach fast einer Stunde des Beisammenseins schien es wohl auch anderen aufzufallen, dass die drei sich still für sich unterhielten. Hermine sah, wie Michael Anthony anstupste, kurz zu den Slytherins hinüber deutete und leise etwas sagte. Anthony nickte, und Michael stand auf, schnappte drei Flaschen Butterbier vom Tisch und brachte sie zu den Slytherins hinüber.
Hermine beobachtete, wie die drei die Flaschen beinahe zögernd entgegen nahmen und Michael kurz mit ihnen redete, ehe er zu ihnen zurück kehrte.
Sie hatte nicht mal im Ansatz verstanden, was Michael zu den dreien gesagt hatte, mittlerweile war es so laut, weil alle durcheinander redeten und auch leise Musik lief, dass sie nur die Anwesenden in ihrer näheren Umgebung gut verstehen konnte.
Irgendwie war es merkwürdig, sie so abseits sitzen zu sehen. Erst jetzt fiel Hermine auf, wie gut sie sich in den letzten Wochen integriert hatten, wie normal es gewesen war, dass sie auch hier wohnten. Es hatte sich einfach so angefühlt, als gehörten sie dazu.
Ginny hatte sich mit Harry auf einen Sessel gequetscht, und Hermine saß auf dem Sofa zwischen Ron und Neville, der den Arm um Hannah gelegt hatte.
Irgendwann fragte jemand Ron und Harry nach ihrer Ausbildung, und es wurde etwas ruhiger, da die meisten ehrlich interessiert dem lauschen wollten, was die beiden zu erzählen hatten.
„Es klingt so spannend, was ihr erzählt“, kam es schließlich begeistert von Terry. „Ich meine, wenn man jemanden so vom Berufsleben erzählen hört wie euch, dann weiß man plötzlich viel mehr, für was man das alles hier überhaupt macht. Also, ich meine, Schule und Lernen und Hausaufgaben und so. Nicht, dass ich zwingend Auror werden will“, setzte der Ravenclaw hastig hinzu. „Einiges, was ich da von euch höre klingt echt ziemlich gefährlich.“
„Absolut“, bestätigte Ron, der Ton stolz, und Hermine entging nicht, dass er sich etwas aufrechter hinsetzte. Sie tauschte einen Blick mit Harry und sie mussten beide schmunzeln. Sie wandte sich wieder an Ron und sah dabei zufällig, wie Draco ganz offensichtlich die Augen verdrehte. „Gerade, wenn man von den Aktivitäten neuer Todessergruppierungen hört. Ich meine, der Fall, bei dem Harry und ich kürzlich-“
„Dann stimmt es?“, fragte Hannah leise. „Dass sich Gruppierungen bilden? Im Untergrund?“
„Solche Gruppierungen werden sich leider immer wieder bilden“, sagte Ron.
„Ron“, kam es, fast ein wenig warnend, von Harry, aber dieser fuhr unbeirrt fort: „Ich meine, es gibt auch etliche Familien, die unter strenger Beobachtung des Ministeriums stehen.“
Und mit diesen Worten warf er einen längeren Blick auf Draco, dem dies nicht entging.
Hermine schauderte, als sie den Blick sah, mit dem der Slytherin zurück starrte. Es erinnerte sie so sehr an den alten Draco Malfoy, dass es ihr fast unheimlich war. Sie las Verachtung, Wut und eine unfassbare Überheblichkeit in seinem Blick.
„Ron“, sagte sie rasch und hakte sich bei dem Angesprochenen unter, um so seine Aufmerksamkeit zu bekommen. Tatsächlich wandte Ron sich ihr fast sofort zu. „Mich würde gerade mehr interessieren, wie euer Einsatz im Unterricht heute war.“
Tatsächlich schaffte sie es, so das Gespräch auf ein anderes Thema zu lenken, aber ihr entging nicht, dass Draco einen Moment lang weiter zu ihnen hinüberstarrte und er seinen Blick aufmerksam über ihre und Rons Gestalt huschen ließ, ehe er ruckartig von seinem Butterbier trank und sich schließlich wieder Blaise und Theodore zuwandte.







„Hermine, ganz kurz noch.“
Ron berührte sie hauchzart am Arm und drehte sie vorsichtig zu sich.
Ginny war bereits vor einer ganzen Weile gegangen, sie musste vor Sperrstunde im Gryffindor-Gemeinschaftsraum sein.
Nun hatte sich auch langsam der Rest aufgelöst, es war schon verhältnismäßig spät und schließlich war morgen Schule.
Die letzten Mitschüler machten sich gerade auf den Weg nach oben – nur die Slytherins saßen unerschüttlich auf ihren Plätzen.
„Ron, kommst du?“
Harry stand schon am Porträt und hatte sich noch einmal ungewandt.
„Ja, kleinen Moment, Harry.“ Ron wandte sich wieder an sie. „Hermine, wir sind ja nur noch morgen hier. Und da morgen Freitag ist, wollte ich dich fragen...“
Aus dem Augenwinkel nahm Hermine wahr, wie Blaise Draco die Hand auf die Schulter legte und dieser sie überraschend verärgert mit seiner Hand beiseite schlug.
„... ob wir beide morgen Abend nicht in der Großen Halle essen wollen, sondern zusammen nach Hogsmeade gehen.“
„Wir beide?“, fragte Hermine und konnte nicht verhindern, dass sie vor Überraschung ein wenig atemlos klang.
„Ja, nur wir beide. Wenn es für dich ok ist. Wir haben so lange nicht mehr miteinander geredet und... Aber wirklich nur, wenn es für dich in Ordnung ist! Ich würde wirklich gerne noch mal mit dir alleine sprechen.“
Warum wollte er das? Es konnte alles Mögliche bedeuten, und genau dieser Punkt hätte Hermine in diesem Moment wahnsinnig machen können.
Und dann erinnerte sie sich an ihr Versprechen, das sie Ginny gegeben hatte.
Ob sie ihren Bruder um das gleiche gebeten hatte?
„Gerne, Ronald“, sagte sie rasch. „Ich halte das für eine sehr gute Idee.“
Ron lächelte.
„Prima, ich freue mich!“
Er klang ehrlich erfreut.
Erst, als Harry und Ron durch das Porträt verschwunden waren, wandte Hermine sich um und ging Richtung Treppe, nicht, ohne einen raschen Blick auf Draco zu werfen.
Dieser beachtete sie allerdings nicht, sondern starrte stur auf die Butterbierflasche in seiner Hand.

What if... (Dramione) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt