Expecto Patronum

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Sie war zerstreut in den nächsten Tagen.
So zerstreut, dass Neville und Ginny sie darauf ansprachen, ebenso Nott, als sie zusammen lernten.
Sie stand mehrere Abende nachdenklich vor dem Spiegel, starrte sich an und versuchte zu verstehen, was sie in ihr sahen.
Ja, sie hatte sich verändert über die Jahre, aber sie fand sich selbst allerhöchstens durchschnittlich. Nein, sie war nicht mehr komplett unzufrieden mit sich, aber sie war auch Meilen davon entfernt, mit sich zufrieden zu sein.
Sie hatte es schon früher nicht verstanden. Bei Viktor nicht, bei McLaggen nicht. Selbst bei Ron nicht, wenn sie ganz ehrlich mit sich war. Sie hatte nie verstanden, was sie an ihr fanden.
Sie war klug, sie war talentiert. Ja, das war ihr bewusst. Allerdings war es mehr als fraglich, dass es das war, was sie alle angesprochen hatte.
Aber wenn es nicht das war, was dann?
Sie gab die Grübelei irgendwann auf.
Und sie versuchte, so normal wie möglich mit den drei Slytherins umzugehen. Auf keinen Fall wollte sie, dass sie herausfanden, dass sie das Gespräch mit angehört hatte! Es war vermutlich schon auffällig genug, dass plötzlich die Bilder angebracht gewesen waren, als sie irgendwann auf ihr Zimmer gegangen sein mussten. Sie hoffte inständig, dass sie nicht eins und eins zusammenzählten.
Sie lernte weiter mit Nott, und ihr fiel glücklicherweise nichts auf. Er verhielt sich normal. Es schien ihr kleines Geheimnis zu bleiben, dass sie sie unfreiwillig belauscht hatte.
Als sie sich schließlich wieder einmal mit Malfoy auf den Weg zum Klassenraum für Verteidigung gegen die Dunklen Künste machte, wurde sie allerdings furchtbar unruhig.
Sie war sich plötzlich sicher, dass es ihr heute unfassbar schwer fallen würde, sich darauf zu konzentrieren, ihn aus ihren Gedanken fern zu halten. Zu sehr plagte sie das schlechte Gewissen, zu sehr machte es sie unruhig, das erste Mal, seit dem sie das Gespräch belauscht hatte, alleine und länger mit ihm zu reden.
Daher holte sie tief Luft, als sie den Raum betreten hatten und er wie gewohnt die Tür magisch verriegelte und den Stillezauber sprach.
„Malfoy?“
„Hm?“
Er drehte sich um und sah sie an.
Sie stockte, als ihr abrupt der Satz durch den Kopf schoss, den er über sie gesagt hatte.
Verdammt, sie wurde jetzt doch nicht etwa rot?
Hätte ihr jemand anders von dem Gespräch erzählt, hätte sie keine Silbe geglaubt. Er sah sie so ruhig an, sein Blick war so unergründlich, irgendwie fast gleichgültig, wenn er sie betrachtete... Hätte sie es nicht mit eigenen Ohren gehört... Nein, niemals hätte sie es geglaubt.
Sie räusperte sich.
„Wir hatten einen Deal, weißt du noch?“
Er blinzelte perplex.
„Wie bitte?“
„Wir hatten einen Deal“, wiederholte sie. „Und ich habe meinen Teil der Abmachung bisher nicht eingehalten. Wie wäre es, wenn wir heute den Patronus üben?“
Er starrte sie einen Moment lang an.
„Hm... Weiß nicht. Damit können wir theoretisch auch erst anfangen, wenn du mit Okklumentik etwas weiter bist. Es hat ja Zeit.“
Hermine runzelte leicht die Stirn.
Warum wich er ständig aus, wenn es darum ging? Er wollte es doch so unbedingt lernen...
„Ja, aber ich habe ja schon kleine Fortschritte gemacht. Jetzt bist du erstmal dran. Wenigstens ein oder zwei Stunden.“
„Aber du bist gerade auf einem so guten Weg“, entgegnete er. „Gerade jetzt solltest du weiter üben.“
„Ich bin heute irgendwie nicht in der Stimmung für Okklumentik“, sagte Hermine. „Vermutlich würde ich sowieso nicht großartig weiter kommen. Also?“
Er zögerte sichtlich.
„Ok“, gab er dann, ziemlich widerwillig, nach.
„Gut“, befand sie und hoffte, nicht allzu erleichtert zu klingen. „Dann fangen wir mal an. Viel erzählen muss ich dir über den Patronus-Zauber sicher nicht, du wirst vermutlich einiges darüber gelesen haben?“
Er nickte.
„Gut. Dann weißt du auch sicherlich, dass die Kraft für den Patronus aus einer glücklichen Erinnerung kommt.“ Wieder ein Nicken. Warum war er plötzlich so still? „Ich würde dir kurz Zeit geben, nachzudenken. Such dir die schönsten, glücklichsten Erinnerungen, die dir einfallen, ok? Am besten gleich mehrere. Falls es mit der ersten nicht klappt, hast du gleich noch weitere in petto. Und denk dran“, setzte sie hinzu. „Die Erinnerungen müssen dich richtig glücklich machen. Nicht nur ein bisschen. Sie müssen stark sein.“
„Ok“, sagte er überraschend leise. Er wirkte in sich gekehrt.
Er setzte sich auf eine Schülerbank und schien eine ganze Weile in Gedanken vertieft, während sie geduldig wartete.
„Ok, ich denke, ich habe ein paar Erinnerungen zusammen“, sagte er schließlich und stand wieder auf.
„Prima, ich zeige es dir mal.“
Hermine schwang gekonnt ihren Stab und sagte deutlich: „Expecto Patronum.“
Sie liebte es, wie die Spitze des Stabes zu leuchten begann, ehe der Strahl kraftvoll hervorbrach und sofort die Form ihres geliebten Otters annahm.
Er tummelte sich fröhlich in der Luft und flog dann überraschenderweise interessiert zu Malfoy, um ihn einmal zu umkreisen.
Malfoys Augen waren groß geworden, stellte sie überrascht fest. Sein Blick folgte beinahe fasziniert dem leuchtenden Patronus.
Mit einem Schlenker ihres Zauberstabs ließ Hermine den Otter wieder verschwinden.
„Das... das war ein gestaltlicher Patronus“, stellte Malfoy überrascht fest.
Er sah sie an, und einen Moment lang hatte sie das Gefühl, er würde regelrecht beeindruckt gucken. In der nächsten Sekunde sah sie aber eine unglaubliche Unsicherheit in seinem Blick, ehe er urplötzlich so verschlossen guckte wie gewöhnlich.
„Ja“, bestätigte sie. „Aber das muss nicht zwingend das Ziel sein. Auch ein Patronus ohne Gestalt kann sehr effektiv sein.“
Sein Blick flackerte, und kurz meinte sie wieder, Unsicherheit in seinen Augen wahrzunehmen.
„Ok, versuch es“, sagte Hermine aufmunternd.
Malfoy atmete tief ein, stellte sich gerade hin und hob seinen Stab.
Sie sah sein Zögern, sah, wie er kurz fest den Kiefer zusammenpresste, ehe er den Stab absolut perfekt schwang.
„Expecto Patronum.“
Nichts passierte.
„Noch mal“, sagte Hermine freundlich.
Wieder atmete er tief durch.
„Expecto Patronum.“
„Ich zeige es dir noch mal“, sagte Hermine in möglichst aufmunterndem Ton, als sich erneut nichts tat. „Expecto Patronum.“
Der Otter schoss bis zur Decke, ließ sich dann spielerisch fallen und umkreiste Hermine fröhlich. Hermine drehte sich mit ihm und strahlte ihn voller Zuneigung an.

What if... (Dramione) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt