Nähe

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Hermine verstand weder, welchen Plan er verfolgte, noch, warum er sie nach wie vor ein wenig auf Abstand hielt.
Eigentlich hatte sie das Gefühl, es sei alles geklärt zwischen ihnen, und obwohl sie sich nicht sicher war, ob seine Gefühle zu ihr wirklich so tief waren wie ihre mittlerweile zu ihm, war sie sich trotzdem sicher, dass da auf jeden Fall Gefühle von seiner Seite aus da waren.
Und sie merkte deutlich, dass auch er sie vermisste.
Sie sah es an der Art, wie er sie manchmal beobachtete. Sie bemerkte es an den flüchtigen, fast heimlichen Berührungen, wenn sie aneinander vorbei gingen oder kurz irgendwo unbeobachtet waren.
Was hielt ihn derzeit zurück?
Und während der April weiter voranschritt, ihre Ungeduld immer mehr wuchs, gab er ihr immer mehr Rätsel auf.
Sie war gerade auf dem Weg zur Eulerei, um Briefe an Harry und Ron zu schicken.
Er musste sie bereits von Weitem gesehen haben, denn als sie die vielen Stufen hinauf gestiegen war, die Eulerei betrat und das wechselhafte Aprilwetter verflucht hatte, da es heute extrem windig war, so dass ihr andauernd ihre Locken ins Gesicht geweht wurden und sie bereute, keinen Zopf gebunden zu haben, wurde sie am Handgelenk gegriffen und fühlte sich in der nächsten Sekunde an seine Brust gezogen.
„Na, das nenne ich ja mal einen angenehmen Zufall“, flüsterte er und lächelte sie an.
Sie waren allein in der Eulerei, doch Hermine wusste, dass sich das schnell ändern konnte, bei der Anzahl an Schülern in Hogwarts gab es ständig jemanden, der eine Schuleule benötigte, um etwas zu versenden.
Auch Draco schien sich bewusst zu sein, dass ihnen eventuell nicht viel Zeit alleine blieb, denn in der nächsten Sekunde waren da seine Lippen auf ihren.
Sie hörte ihn leise seufzen, als sie den Kuss sofort erwiderte und ihre Finger in den Umhang seiner Schuluniform krallte.
Seine Hände schoben sich drängend unter ihren Umhang, dann auch noch unter ihren Pullunder, berührten sie am Bauch und ihren Seiten, und sie konnte deutlich seine Körperwärme durch den dünnen Stoff ihrer Bluse spüren.
Sie merkte, wie schwer es ihm fiel, sie einigermaßen beherrscht und zurückhaltend zu küssen.
Ihr schwindelte, als ihr bewusst wurde, dass sie sich noch nie von jemandem so begehrt gefühlt hatte wie von ihm.
Es war erstaunlich, wie er von einem Extrem ins andere kippen konnte – von extrem distanziert und verschlossen zu jemandem, der so deutlich seine scheinbar grenzenlose Zuneigung zeigte.
Da er anscheinend nicht vorhatte, zeitnah damit aufzuhören, sie zu küssen, löste sie sich schließlich aus dem Kuss, wenn auch widerwillig.
Er hielt sie fest, zog sie noch näher an sich.
„Kann ich dich später sehen?“, flüsterte er, und sofort schlug ihr Herz schneller.
Sie hörte deutlich heraus, dass die körperliche Distanz zwischen ihnen ihn immer mehr an seine Geduldsgrenzen brachte. Und immer weniger verstand sie, warum er momentan so distanziert war.
„Es ist eher ein ungünstiger Zeitpunkt...“, begann sie, konnte sie sich doch denken, warum er sie sehen wollte.
Sie hörten beide die Stimmen und Hermine brach ab.
Es waren eindeutig irgendwelche Schüler auf dem Weg in die Eulerei.
Er löste sich sichtlich widerwillig von ihr.
„Was hast du hier eigentlich gemacht?“, fragte sie rasch.
„Einen Brief verschickt“, sagte er und wich ihrem Blick aus. „Wir sehen uns später.“
Und mit diesen Worten ließ er sie stehen.
Sie sah ihm stirnrunzelnd nach, ehe sie die Briefe aus ihrem Umhang zog und eine Eule aussuchte.






Hermine schrieb konzentriert an ihrem Aufsatz, und Theodore's gleichmäßige Atemzüge neben ihr hatten eine merkwürdig beruhigende Wirkung auf sie.
Es ging dem Slytherin von Tag zu Tag besser, und auch, wenn er ihr nur knappe Details erzählte, wusste Hermine, dass bisher alles für ihn gut lief – bisher hatte niemand sein Erbe anfechten können, noch hatte er andere Konsequenzen zu erwarten.
Als sie plötzlich hörte, wie er jemanden grüßte, sah sie automatisch auf.
Es waren Draco und Blaise, die an ihrem Tisch vorbei gegangen waren, und natürlich fiel Hermine sofort auf, dass Draco sie nicht ansah.
Es war irritierend, hatten sie sich doch vorhin in der Eulerei noch geküsst.
Kann ich dich später sehen, hatte er gefragt.
Wollte er sich tatsächlich mit ihr treffen?
Sie war sich sicher, er wollte sie sehen, weil er sich nach körperlicher Nähe sehnte, und sie hoffte, ihn nicht allzu sehr zu enttäuschen, war es doch zu diesem Zeitpunkt gerade nicht möglich.
„Ich verstehe ihn nicht“, murmelte Hermine.
Sie spürte, wie Theodore sie ansah, ließ ihren Blick aber auf das Pergament vor sich geheftet.
„Glaub mir, er findet die Situation gerade auch nicht toll.“
„Theodore, es wäre wirklich schön für mich, wenn er mir wenigstens sagen würde, was er vorhat“, zischte sie leise.
„Ich denke nicht, dass ich da ein Geheimnis draus machen muss“, sagte Theodore zu ihrer grenzenlosen Überraschung gelassen. „Er hat einen Rechtsstreit mit seinem Vater begonnen.“
Ihr Kopf ruckte hoch und sie starrte ihn an.
„Er hat was?“, flüsterte sie.
Theodore senkte seine Stimme.
„Frag ihn nach Details, Hermine. Er wird es dir beantworten. Ihr müsst nur gucken, wann und wo ihr euch trefft. Aber wenn du ihn fragst, wird er antworten. Ich bin mir sicher.“
„Was genau hat er vor?“
„Er hat seinen Vater auf Schmerzensgeld verklagt.“
„Wie bitte?“
Hermine konnte nicht fassen, was sie da hörte.
„Es war ein Ratschlag, den die Therapeuten des Ministeriums ihm bereits kurz nach dem Krieg gegeben haben, als sich abzeichnete, dass die Therapie... nun, als klar war, dass die Gespräche Wirkung zeigten und er eine andere Einstellung hat als sein Vater. Sie sagten, was mit ihm gemacht wurde, war nicht rechtens, er war minderjährig und hat nicht aus freien Stücken gehandelt. Sein Vater hat dafür gesorgt, dass er das Mal bekommt, er hat weg gesehen und nichts getan, wenn Draco von Voldemort gefoltert wurde-“
„Er wurde was?“, entfuhr es Hermine.
„ -und von den ganzen psychischen Blessuren, die das ganze bei ihm hinterlassen hat, mal ganz zu schweigen“, redete Theodore weiter, als habe sie nichts gesagt. „Er hat es damals vehement abgelehnt, wollte seinen Vater auf keinen Fall verklagen, aber mittlerweile haben die Dinge sich geändert.“
Das war eine Info, die Hermine erstmal verdauen musste.
Es war sicher kein einfaches Unterfangen, Lucius Malfoy zu verklagen.
„Aber warum meidet er den Kontakt zu mir?“, fragte sie.
Theodore zögerte.
„Er kann ihn nur verklagen, wenn er offiziell zur Familie Malfoy gehört“, sagte er ungenau.
Sie brauchte nur wenige Sekunden, um die Worte zu begreifen.
„Er will vermeiden, dass sein Name gestrichen wird“, flüsterte sie.
„Ja“, bestätigte Theodore. „Ich vermute, dass sein Vater bereits alles in die Wege leitet, um ihn zu enterben. Zusätzlich würde es die Möglichkeit geben, dass Dracos Name ganz offiziell aus dem Stammbaum der Malfoys gestrichen wird.“
„Wie, einfach so?“, fragte sie schockiert.
„Nein, nicht einfach so“, erklärte Theodore geduldig. „Es ist Gesetz unter Reinblütern, dass Namen bei sehr klaren Regelverstößen gestrichen werden können. Eine kurze Affäre mit einem Schlammblut gehört nicht dazu. Die Reinheit des Blutes ist ja nicht gefährdet, solange dabei kein Kind entsteht. Es gab schon häufiger solche... Vorkommnisse, wo derjenige wieder geläutert wurde, wie sie es nennen, und die Liaison zu dem Schlammblut beendet hat.“
Sie hörte deutlich heraus, was Theodore von diesen Regeln hielt.
Sie musste ihn ziemlich schockiert angesehen haben, denn er ergänzte hastig: „Ich sehe das nicht so, das weißt du hoffentlich.“
„Natürlich“, beeilte sie sich zu sagen. „Und Draco... Er tut nun geläutert, wie du es nennst, damit er im Stammbaum bleibt?“
„Ja“, bestätigte Theodore. „Wenn er nicht mehr zur Familie Malfoy gehört, ist es unter Umständen möglich, dass sein Vater nicht mehr zahlen müsste.“
Sie schwieg einen Moment, musste sich gedanklich mit dem Gehörten ersteinmal auseinander setzen.
„Aber wie will er sich auf einen Rechtsstreit mit seinem Vater einlassen, wenn er kein Geld hat?“, fragte sie dann. „Wenn er ihn schon enterbt, gehe ich mal ganz stark davon aus, dass er ihm auch jetzt schon den Geldhahn zugedreht hat?“
Theodore sah sie nur an.
„Du und Blaise, ihr unterstützt ihn“, begriff sie abrupt.
Er zuckte nur mit den Schultern, sah fast verlegen auf seine Pergamente.
„Das ist wirklich großartig von euch“, murmelte Hermine gerührt.
„Ach, naja...“, versuchte Theodore, es herunterzuspielen. „Er will es uns natürlich irgendwann zurückzahlen, hat er gesagt.“
Er verdrehte die Augen.
Sie lächelte und drückte unter dem Tisch kurz seine Hand.
„Danke, Theodore.“







What if... (Dramione) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt