Der Ball

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Du wirst zauberhaft aussehen, hatte Ginny zu ihr gesagt.
Natürlich sah Hermine das anders.
Skeptisch begutachtete sie sich im Spiegel.
Vermutlich würde sie nie verstehen, warum sich auf diesem Planeten überhaupt irgendein Mann für sie interessierte.
Sie fand sich nicht mehr vollkommen schrecklich, allerdings war sie immer noch weit davon entfernt, sich attraktiv zu finden. So selbstsicher ihr Charakter sie machte, so unsicher machte sie ihr Aussehen.
Es war der Abschlussball, und sie wusste, wie sehr sich alle in Schale werfen würden. Und sie wusste, sie würde sich einerseits wieder einmal im Vergleich zu den anderen wie ein graues Mäuschen fühlen, während sie andererseits den ganzen Abend darüber nachdenken würde, ob der Ausschnitt ihres Kleides nicht doch zu viel Dekolleté zeigte. Was er vermutlich absolut nicht tat, aber trotzdem fühlte sie sich aufgrund dessen etwas unwohl.
Die Wiederholer hatten sich geeinigt, als komplette Gruppe auf dem Ball zu erscheinen, was Hermine als eine wundervolle Geste mit großer Bedeutung empfand.
Es war ein merkwürdiges Gefühl, dass bald alles vorbei sein sollte und sie Hogwarts für immer verlassen würde.
Während die meisten anderen Wiederholer bereits wussten, was sie nach der Schule machen wollten, war Hermine sich noch unsicher. Sie hatte sich verschiedene Studiengänge angesehen und vermutete, dass sie sich für einen davon entscheiden würde. Aber sicher war sie noch nicht. Sie hatte kürzlich mit Neville geredet, der sich bereits für ein Studium im Bereich Kräuterkunde eingetragen hatte und ein wenig beneidete sie ihn darum, wie zielgenau er wusste, was er nach der Schule mit sich anfangen wollte und wie genau geplant seine nahe Zukunft war. Neville würde studieren und mit Hannah zusammen ziehen, die eine Ausbildung im Tropfenden Kessel beginnen würde. Selbst Luna, von der Hermine immer gedacht hatte, dass sie einfach in den Tag hinein lebte, hatte konkrete Pläne: Sie hatte wohl intensiven Briefkontakt zu Rolf Scamander gehabt und würde ihn eine Weile bei seinen Forschungsreisen begleiten.
Auch der Weg der Slytherin-Jungs war vollkommen klar: Theodore, der hinter Hermine als Zweitbester des Jahrgangs abgeschlossen hatte, war vollkommen unabhängig, hatte für den Rest seines Lebens ausgesorgt und würde, wie er selbst sagte, versuchen, die reinblütigen, veralteten Traditionen etwas zu modernifizieren. Hermine war sich sicher, dass es ihm gelingen würde. Auch Blaise brauchte sich keine Gedanken über die Zukunft machen, er verwaltete sowieso schon lange den größten Teil des Familienvermögens und war nur nach Hogwarts zurück gekehrt, um Draco zu unterstützen, der, wie Hermine kürzlich erfahren hatte, große Bedenken in Bezug auf die Reaktion seiner Mitschüler gehabt hatte.
Ja, und Draco selbst... Er hatte wie besprochen das Geld seiner Mutter erhalten. Sie wusste, er schrieb in unregelmäßigen Abständen mit ihr. Zu seinem Vater hatte er derzeit keinen Kontakt. Draco wollte auch keinen, das wusste sie, und Hermine hatte die Vermutung, dass seine Mutter dafür sorgte, dass sein Vater vorerst die Füße still hielt.
Hermine schätzte, dass es sicher noch zu Konfrontationen zwischen Vater und Sohn kommen würde, aber sie wusste nicht, inwiefern sie dabei eine Rolle spielen würde.
Genau genommen wusste sie nicht, was sie in Kürze überhaupt für eine Rolle spielen würde.
Die Zeit mit Draco, seit dem klar war, dass eine finanzielle Lösung gefunden worden war, seine Mutter stillschweigend akzeptierte, was er tat, und sein Vater sich in Schweigen hüllte, war wundervoll. Er war wie ausgewechselt. Sie war überrascht, wie gut gelaunt er die meiste Zeit war und wie aufgeschlossen seinen Mitschülern gegenüber. Sie sah ihn überraschend viel mit Blaise und Theodore lachen, selbst der Unterricht schien ihm Spaß zu machen und auch sein Zeugnis war herausragend gut.
Auch über sein Verhalten ihr gegenüber konnte sie sich nicht beschweren. Nach wie vor war er nicht der überanhängliche Typ, aber er machte keinen Hehl daraus, dass sie zusammen waren. Er verbrachte viel seiner Freizeit mit ihr, ohne dabei seine beiden Freunde zu vernachlässigen. Und auch während der Unterrichtszeit zeigte er mit kleinen Gesten, dass sie ein Paar waren. Manchmal zog er sie in eine kurze Umarmung, wenn sie vor einem Klassenraum warteten, er legte den Arm um sie, wenn sie irgendwo zusammen saßen, oder er strich ihr das Haar aus dem Gesicht, wenn sie mit jemandem zusammenstand und sich unterhielt. Selbst zu den Lehrkräften war mittlerweile durchgedrungem, dass sich ein wirklich ungewöhnliches Paar gebildet hatte.
Nach wie vor wohnten sie in getrennten Zimmern, aber gelegentlich blieb er die eine oder andere Nacht bei ihr, meist mehrmals in der Woche. Manchmal hielt er sie einfach im Arm, häufig nutzten sie die Zeit aber für andere Dinge.
Anfänglich hatte sie tatsächlich vermutet, dass sie schnell langweilig für ihn werden würde, und umso erstaunter war sie, dass er scheinbar kaum genug von ihr kriegen konnte.
Und häufig saßen sie alleine auf seinem oder ihrem Zimmer, oder etwas abseits im Gemeinschaftsraum, und redeten. Er öffnete sich immer mehr, erzählte aus seiner Kindheit, von seinem Leben allgemein, und manchmal sogar darüber, wie es ihm in Zeiten des Krieges ergangen war. Im Gegenzug lauschte er stets interessiert dem, was Hermine erzählte, stellte überraschend viele Nachfragen, insbesondere über Muggeldinge, die er nicht verstand.
Was er allerdings nicht tat, war mit ihr über die Zukunft reden.
Sie hatte bisher nicht versucht, das Thema anzuschneiden.
Sie wusste, dass es feige von ihr war. Grundsätzlich war es überhaupt nicht ihre Art, Dingen so aus dem Weg zu gehen, aber in diesem Fall konnte sie nicht anders. Es erschreckte sie manchmal selbst, wie sehr sie ihr Herz an ihn verloren hatte.
Und immer noch fürchtete sie sich vor einem bösen Erwachen.
Ihr war klar, sie würde ein klärendes Gespräch nicht mehr bis in alle Ewigkeit verschieben können, aber heute Abend wollte sie sich keine Gedanken darüber machen.
Nein, diesen besonderen Abend wollte sie vollkommen sorgenfrei in Erinnerung behalten.
Sie hasste es, dass ihre Wangen sich vor Aufregung rot gefärbt hatten, als sie die Stufen zum Gemeinschaftsraum herunterging.
Ihr Blick huschte kurz über die Menge, und sie stellte fest, dass sie fast die Letzte war, alle anderen Wiederholer warteten bereits und unterhielten sich angeregt, die Stimmung war ausgelassen. Nur Blaise konnte sie nicht entdecken.
Draco stand mit Theodore zusammen, und sie merkte, wie ihre Wangen noch wärmer wurden, als ihr klar wurde, dass er sie beobachtete, wie sie die Treppe hinunter kam.
Sie wollte direkt zu ihm gehen, aber Susan und Megan, die der Treppe am nähesten standen, fingen sie ab und ließen sie so schnell nicht gehen, mussten sie doch vorerst eingehend Hermines Kleid begutachten und bewundern.
„Können wir jetzt endlich los?“, fragte schließlich jemand in das Stimmengewirr hinein.
Es herrschte große Aufregung unter den Wiederholern und im Gemeinschaftsraum summte es vor Gesprächen wie in einem Bienenstock.
„Blaise ist immer noch nicht da.“
„Wo bleibt er denn?“
„Soll ihn jemand holen? Wir sind spät dran.“
„Was dauert das denn so lange?“
„Holt ihn bloß nicht, es könnte tödlich enden, Blaise dabei zu stören, sich zurecht zu machen.“
Der letzte Satz kam von Draco und allgemeines Gelächter war die Antwort.
Hermine lächelte glücklich, als ihr wieder einmal klar wurde, wie gut sie sich alle verstanden.
„Lacht nicht, das war mein Ernst“, sagte Draco, aber man hörte den amüsierten Tonfall heraus.
„Da kommt er endlich!“, machte Theodore sie aufmerksam, und alle Blicke wandten sich zur Treppe.
„Genau die Aufmerksamkeit, die ich mir wünsche, wenn ich den Raum betrete“, sagte Blaise zufrieden. Er sah wirklich aus wie aus dem Ei gepellt. „Warum hat das nicht das ganze Schuljahr über funktioniert?“
Wieder wurde gelacht, und alle setzten sich in Bewegung.
Hermine wurde mehr oder weniger mit der Menge mitgeschwemmt, und sie drehte kurz den Kopf zu Draco, der weiter hinten ging. Er redete allerdings gerade mit Blaise und sah nicht zu ihr herüber.
Lachend und schwatzend liefen sie als Gruppe zur Großen Halle.
Dank Blaise' Verspätung waren sie anscheinend die Letzten des Abschlussjahrgangs, die ankamen.
Minerva wartete bereits am Rednerpult und lächelte, als sie die Gruppe an den großen Flügeltüren stehen sah.
Hermine wollte sich gerade mit dem Rest der Menge in Bewegung setzen, als jemand neben sie trat.
„Miss Granger?“
Aus irgendeinem Grund jagte seine Stimme ihr einen Schauder über den Rücken.
Sie drehte sich zu ihm, blickte in die vertrauten grauen Augen, die sie freundlich anblickten.
Dann senkte sich ihr Blick auf den angebotenen Arm.
Sie ärgerte sich, dass ihr Hand leicht zitterte, als sie sich bei ihm einhakte.
„Danke, Mr Malfoy“, lächelte sie und sah verlegen weg, als er das Lächeln sofort erwiderte.
Neben ihm betrat sie die Große Halle und war sich nur allzu bewusst, wie selbstsicher er sich bewegte, wie gut er aussah, wie perfekt sein maßgeschneiderter Anzug saß, wie teuer er gewesen sein musste.
Sie fragte sich, ob sie unpassend neben ihm aussah.
Und mit etwas Sorge fragte sie sich, wie sie sich erst neben ihm fühlen würde, wenn sie Hogwarts verlassen hatten.
In welchen Kreisen bewegte er sich? Würde sie wie eine minderbemittelte Muggelgeborene neben einem reinblütigen Adligen aussehen?
Sie verscheuchte den Gedanken, hatte sie sich doch vorgenommen, diesen Abend sorgenfrei zu verbringen.
Nach Minervas Rede wurde das Buffet eröffnet und nach dem Essen wurde getanzt.
Hermine konnte im Nachhinein nicht mehr sagen, mit wem sie alles getanzt hatte, sicher wusste sie, dass Neville dabei war, der so herausragend gut tanzte, dass sie ihn fragte, ob sie selbst sich zu plump anstellte, woraufhin er aber nur lachend den Kopf schüttelte. Außerdem tanzte sie mit Blaise und Theodore, wobei erster ihr lustige Geschichten aus Dracos Kindheit erzählte, so dass sie ihm vor lachen sogar einmal beim Tanzen auf den Fuß trat, wofür sie sich im Nachhinein unzählige Male entschuldigte.

What if... (Dramione) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt