Nachhilfe und Zaubertränke

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Die ersten Tage des Schuljahres waren so normal, dass manchmal nur Harrys und Rons Abwesenheit Hermine daran erinnerte, dass es ihr Wiederholungsjahr war.
Der Unterricht war wie immer, die Abläufe waren wie immer. Lediglich die häuserübergreifende Unterbringung war befremdlich. Allerdings klappte es besser, als sie erwartet hatte.
Sie bemerkte keinen Konkurrenzgedanken oder gar Anfeindungen.
Ihre größte Sorge waren die Slytherins gewesen, aber die drei Jungs waren kaum zu sehen.
Sicher, sie nahmen ganz normal am Unterrichtsgeschehen teil, aber in ihrem gemeinsamen Wohn- und Schlafbereich fielen sie kaum auf. Die meiste Zeit hielten sie sich in ihrem Zimmer auf.
Schneller, als Hermine Bowtruckle sagen konnte, waren die ersten beiden Schulwochen ins Land gezogen.
Es machte sich stark bemerkbar, dass sie der Abschlussjahrgang waren, denn die Hausaufgaben, die sie aufgebrummt bekamen, waren dafür, dass die Schule eigentlich erst begonnen hatte, immens.
Hermine störte dies nicht besonders, sie merkte immer wieder, dass sie schneller als andere arbeitete und trotzdem gründlicher dabei war. Und da sie hauptsächlich mit Ginny und Neville Kontakt hatte, gab es auch niemanden, dem sie Einleitungen schreiben oder dem sie helfen musste.
Aber, wenn sie ganz ehrlich war, vermisste sie das auch ein wenig.
Daher war es eigentlich nicht verwunderlich, dass sie eines Tages in der Bibliothek nicht widerstehen konnte, als sie eine Gruppe Gryffindor-Erstklässler über besonders schwere Aufgabe stöhnen hörte, und sich zu ihnen setzte, um zu fragen, ob sie Hilfe benötigten.
Die Jungen und Mädchen strahlten, wohl einerseits darüber, Hilfe zu bekommen, als auch darüber, dass es Hermine war, die ihre Hilfe anbot. Sie hatte bereits bemerkt, dass sie in Gryffindor regelrecht gefeiert wurde und gerade die Erst- und Zweitklässler vollkommen beeindruckt zu ihr aufsahen.
Bereits zwanzig Minuten, nachdem Hermine den Erstklässlern den Zauber erklärt hatte, kam von den meisten ein verstehendes „Ah“ und sie nickten eifrig.
Sichtlich zufrieden wollte Hermine die Bibliothek verlassen.
„Hi Hermine!“
Sie blickte irritiert auf, erkannte den Jungen aber sofort.
„Äh... hallo“, erwiderte freundlich.
Es war einer der Slytherin-Zweitklässler, denen sie die Schokofrösche gegeben hatte, und zwar der Kleinste. Zwei seiner Freunde waren bei ihm, sie hatten die Bibliothek gerade betreten. Es war weder der dabei, der so unfreundlich gewesen war – Cassius, erinnerte Hermine sich – noch der Verträumte. Der eine machte erschrocken „Psssst“ zu dem Kleinen, während der andere ihn beinahe hastig weiterzog.
Mit gerunzelter Stirn blickte Hermine ihnen hinterher.



Als sie am nächsten Tag in der Bibliothek lernte, stand plötzlich eins der Gryffindor-Mädchen neben ihr und fragte schüchtern, ob sie wieder an ihren Tisch kommen und ihnen helfen konnte, was Hermine natürlich tat.
Geduldig erklärten sie ihnen die Hausaufgaben und sie verstanden sogar noch schneller als tags zuvor, was sie machen sollten.
Sie gab den Kindern gerade Tipps, welche Bücher sie für einen Zaubertrank-Aufsatz zu Rate ziehen sollten, als die ihr nun bekannte kleine Gruppe Slytherin-Zweitklässler an ihrem Tisch vorbei ging, dieses Mal zu fünft.
Der dunkelhaarige Cassius ging mit dem verträumten Wuschelkopf vorweg, hinter ihnen liefen die drei anderen.
Der Kleine entdeckte Hermine, hob unauffällig die Hand und winkte ihr zu. Dabei grinste er sie mit einem so schiefen Grinsen an, dass Hermine automatisch ebenfalls grinsen musste und zurückwinkte.
Dann war die Gruppe hinter Bücherregalen verschwunden.
Tags darauf fragte Hermine von sich aus die Erstklässler, ob sie Hilfe benötigten, was zwei verneinten. Sie kämen großartig mit ihrem Aufsatz voran, erklärten sie strahlend und eindeutig dankbar. Die anderen drei hatten noch Fragen, und während Hermine erklärte, gesellten sich zögernd drei Hufflepuff-Erstklässler dazu und fragten, ob sie mithören dürften, sie hätten das gleiche Thema nicht verstanden.
„Hermine, willst du nicht irgendwann auch Professorin hier in Hogwarts werden?“, scherzte Ernie MacMillan, als er mit Justin Finch-Fletchley an ihrem Tisch vorbei kam.
Hermine lachte und wollte gerade erwidern, dass sie sich das absolut nicht vorstellen konnte, als die Kinder ihre Begeisterung über die Idee zum Ausdruck brachten, was ihnen ein verärgertes „Psssst“ von Madam Pince einbrachte.
Hermine schmunzelte.
Nein, sie wollte garantiert nicht Professorin werden, aber Spaß machte ihr die Nachhilfe auf jeden Fall.
Als sie die Bibliothek verließ, kamen ihr Zabini, Nott und Malfoy entgegen.
Zu ihrer Überraschung nickte Nott ihr kurz zu, während Zabini gar nicht richtig Notiz von ihr zu nehmen schien.
Dafür starrte Malfoy sie einen Augenblick an, und fast, fand Hermine, war sein Blick finster, aber ehe sie genau herauslesen konnte, ob das stimmte, wich er ihrem Blick aus, sah auf den Boden vor seinen Füßen und beschleunigte seine Schritte sogar noch etwas.
Als die drei an ihr vorbei gegangen waren, fühlte Hermine eine merkwürdige Erleichterung, und erst einen Moment später begriff sie, dass sie sich sicher gewesen war, gleich herablassende und feindselige Sprüche von den Slytherins zu hören zu bekommen.
Und auch, wenn sie wusste, dass es sie sicherlich nicht mehr so treffen würde wie vor dem Krieg, sollte Malfoy sie Schlammblut nennen oder sich über ihre Haare lustig machen, waren das Situationen, die sie nicht zwingend wiedererleben musste.
Und der Hauptgrund, warum es ihr unangenehm war, in der Nähe der drei zu sein, war:
Sie alle, insbesondere Malfoy, erinnerten sie an die furchtbaren Dinge, die geschehen waren. Und das war kein gutes Gefühl.





Nach diesem Aufeinandertreffen in der Bibliothek fiel es Hermine plötzlich sehr deutlich auf: Malfoy, Zabini und Nott hatten sich allgemein sehr zurück gezogen, und tatsächlich meinte sie zuerst, es sich einzubilden, aber irgendwann war sie sich sicher:
Sie gingen besonders ihr aus dem Weg.
Genauer gesagt, Malfoy ging ihr aus dem Weg.
Und nicht nur das, er wich auch ihrem Blick aus und schien sich nicht einmal mit ihr in einem Raum aufhalten zu wollen, wenn es sich vermeiden ließ. Im gemeinsamen Unterricht war das natürlich nicht möglich, aber einmal saßen die drei tatsächlich im Gemeinschaftsraum, als Hermine hereinkam, und Malfoy stand fast augenblicklich auf, um ohne ein Wort die Treppe nach oben zu verschwinden. Nott und Zabini tauschten einen Blick, wie Hermine auffiel, und folgten ihm dann.
Vermutlich findet er es zum Kotzen, sich in der Freizeit Räume mit einem Schlammblut zu teilen, dachte Hermine wütend.
Was sie hauptsächlich daran aufregte, war die Tatsache, dass er scheinbar immer noch an einem solch rassistischen und menschenverachtenden Weltbild festhielt. Und das, nachdem so schlimme Dinge passiert waren!
Hatte der Krieg denn gar nichts mit ihm gemacht? War es ein Fehler gewesen, dass Harry für ihn ausgesagt und ihn somit vor Askaban bewahrt hatte? Er hatte sie nicht verraten, damals, in Malfoy Manor. Hermine war sich so sicher gewesen, dass er verstanden hatte, dass er und seine Eltern falschen Idealen folgten. Sie hatte geglaubt, dass er sie nicht verraten hatte, weil er mit eigenen Augen gesehen hatte, was Voldemort und die Todesser mit ihren Feinden und „minderwertigen“ Menschen taten. Natürlich erwartete sie nicht, dass er sie plötzlich gut leiden konnte, und sicher hatte er nicht aus Sympathie zu ihr, Ron und Harry geschwiegen, aber sie war sich so sicher gewesen, dass er nicht wollte, dass sie getötet wurden. Dass er verstanden hatte, dass es eine Sache war, großkotzig mit Worten wie „Ihr seid die nächsten, Schlammblüter“ um sich zu werfen, aber eine ganz andere, tatsächlich mitzuerleben, wie eben solche Menschen gefoltert und ermordet wurden. War es möglich, dass das tatsächlich nichts mit ihm gemacht hatte? Hielt er Muggelgeborene immer noch für Dreck? War das möglich?
Es war insofern möglich, dass es so war, weil er schließlich sein Leben lang nach diesen Idealen erzogen wurde, und der Krieg im Vergleich dazu eine viel kürzere Phase gewesen war. Aber, bei Merlin, es war eine verdammt prägsame Phase gewesen! Konnte das so spurlos an seiner Einstellung vorbei gegangen sein?
Hermine beobachtete ihn von da an genau.
Ja, er wich ihr aus.
Er nahm es sogar in Kauf, kleine Umwege zu machen, wenn er sah, dass sie ihm entgegen kam. Nott und Zabini rannten ihm dann genauso dämlich hinterher, wie es früher seine beiden Gorillas getan hatten.
Vermutlich wollte er unauffällig bleiben und nicht in Versuchung kommen, sie zu beleidigen.
Aber die Krönung war die Zaubertrankstunde.
Die drei betraten als letztes den Klassenraum, und die letzten freien Plätze waren in der Bank in der ersten Reihe, direkt neben ihr und Neville.
Was Hermine außerdem bei ihren Beobachtungen aufgefallen war, war die Tatsache, dass die drei ständig Plätze in der hintersten Reihe suchten, und manchmal vergaß sie sogar ihre Anwesenheit. Nur Nott beteiligte sich immer wieder am Unterricht, die beiden anderen schienen komplett gleichgültig und Hermine fragte sich, warum sie das Schuljahr überhaupt wiederholten, wenn sie scheinbar sowieso kein Interesse an Noten und einem guten Abschluss hatten.
„Bitte, nehmen Sie Platz, wir wollen anfangen“, sagte Professor Slughorn freundlich, aber auch leicht ungeduldig, und Hermine sah, dass Malfoy am Rand der Bank erstarrt war und sie fixierte.
„Mr Malfoy?“, forderte Slughorn noch einmal auf.
Malfoys Blick richtete sich gen Boden, er rührte sich nicht.
Zabini, der hinter ihm stand, stupste ihn leicht in den Rücken, als wolle er ihn auffordern, sich endlich zu setzen, aber das einzige, was er damit erreichte, war, dass Malfoy herumfuhr und aus dem Klassenraum stürmte.
„Was ist denn los?“, fragte der Professor verwirrt.
„Draco geht es nicht gut“, kam es von Zabini, und Hermine war sich sicher, dass er es sich genau in diesem Moment ausgedacht hatte. „Dürfen wir nach ihm sehen?“
„Oh, achso... Nun, ich denke, dass es reicht, wenn einer von Ihnen geht. Falls Sie Hilfe benötigen, sagen Sie bescheid, oder Sie bringen Mr Malfoy in den Krankenflügel.“
Zabini und Nott tauschten einen kurzen Blick, und Hermine konnte genau sehen, wie die beiden stumm miteinander kommunizierten, ehe Zabini den Raum verließ und Nott neben ihr auf die Bank rutschte.
Mittlerweile hatte die ganze Klasse das Spektakel verfolgt.
Professor Slughorn begann mit dem Unterricht, und es dauerte tatsächlich sicher gut zehn Minuten, bis Malfoy und Zabini zurück kamen.
Zabini rutschte neben Nott auf die Bank, dann setzte Malfoy sich.
„Wieder alles in Ordnung, Mr Malfoy?“, erkundigte Slughorn sich fürsorglich.
Es war Zabini, der antwortete.
„Ja, alles gut, Professor.“
Hermine schüttelte leicht den Kopf.
Malfoy hatte wohl tatsächlich nicht neben ihr sitzen wollen.
Nein, er hatte sich anscheinend absolut nicht geändert.

What if... (Dramione) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt