Abschied und Neubeginn

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Der Ansturm kam genau so, wie sie es erwartet hatte.
„Mr Potter! Mr Potter! Nur eine kurze Frage...“
„Mr Potter! Könnten Sie sich zu den jüngsten Gerichtsverhandlungen-“
„Welche Erwartungen haben Sie an den heutigen Abend? Und was hat Sie dazu bewogen-“
„Hören Sie, Mr Potter! Ist es richtig, dass Sie nicht beabsichtigen, zurück nach Hogwarts-“
Harry lächelte freundlich, nickte zum Gruß, ging aber an allen Reportern vorbei, ohne eine einzige Frage zu beantworten. Er wirkte dabei so souverän, dass sie fast ein wenig neidisch wurde.
„Miss Granger, stimmen die Gerüchte, dass Sie ihr siebtes Schuljahr in Hogwarts wiederholen werden? Was hat sie dazu bewogen-“
Da Harry die Presse gekonnt ignorierte, schien diese sich nun daran zu erinnern, wer da an seiner Seite war.
„Äh...“, entfuhr es ihr, aber ehe sie konkret darüber nachdenken konnte, etwas zu antworten, hatte Harry sie sanft am Ellenbogen gegriffen und mit sich in den Eingangsbereich gezogen.
Die Türen, die sich magisch geöffnet hatten, nachdem sie ihre Eintrittskarten davor gehalten hatten, schlossen sich lautlos wieder.
Ein freundlicher Portier begrüßte sie und wies ihnen mit einer dezenten Handbewegung den Weg.
„Hier drin ist Merlin sei Dank nur ein Reporter und ein Fotograf des Tagespropheten erlaubt“, raunte ihr Harry leise zu, als sie die Halle betraten.
Er klang erleichtert, und Hermine konnte es ihm nicht verdenken.
Seitdem der Krieg beendet war, wurden sie bei jeder öffentlichen Veranstaltung von der Presse nur so belagert. Anfänglich hatten sie alle drei noch geglaubt, dass sie sich so belästigt fühlten, weil der Schrecken des Krieges sie sehr fest im Griff hatte, aber auch heute noch, drei Monate später, waren die Reporter lästig und gaben keine Ruhe. Hermine hatte erwartet, dass das Interesse der Presse zurück gehen würde, aber momentan hatte sich noch nichts geändert.
Die Halle war bereits gut gefüllt, von irgendwoher kam dezente Musik, durch den Raum flogen mit Magie in der Luft gehaltene Tabletts, auf denen Gläser mit Sekt und Orangensaft standen. Eins davon stoppte kurz bei ihnen, und während Harry nach einem Sekt griff, angelte Hermine sich einen Saft.
„Oh Harry“, hauchte sie leise. „Wie schick alle sind! Noch schicker als bei den anderen Veranstaltungen! Hätte ich doch ein anderes Kleid-“
„Ach, hör auf, Hermine, du siehst toll aus“, unterbrach Harry sie und es klang so ehrlich, dass sie lächeln musste. „Sieh mal, da kommen Ron und Ginny.“
Sie merkte sofort, wie ihr Lächeln erstarb.
Die beiden Rotschöpfe kamen lächelnd auf sie zu, um sie zu begrüßen.
„Hermine, du siehst umwerfend aus!“, kam es von Ginny.
„Danke, Ginny, du aber auch.“
„Hey, und was ist mit mir?“, scherzte Harry.
„Ganz passabel, Potter“, gab Ginny nonchalant zurück und musste dann aber grinsen, ehe sie sich nah an Harry stellte und dieser einen Arm um ihre Hüfte legte.
„Kommt, wir gehen zu Kingsley“, schlug Harry vor und setzte sich sofort mit Ginny im Arm in Bewegung.
Hermine beeilte sich, den beiden zu folgen und wich wie immer Rons Blick aus.
Nein, es war nicht einfach zwischen ihnen. Genau genommen war es sogar ziemlich kompliziert.
Nach dem Krieg hatten Harry, Ron und sie ihre Zeit damit verbracht, das Haus im Grimmauld Place herzurichten, und sie musste gestehen, dass sie großartige Ergebnisse erzielt hatten. Das Haus war längst nicht mehr so düster und wirkte fast schon heimelig.
Ginny war sehr viel bei ihnen gewesen, und ihre Beziehung zu Harry hatte sich immer mehr vertieft. Hermine für ihren Teil war glücklich mit Ron gewesen, und sie hatte das Gefühl gehabt, dass auch ihre Beziehung sich nun völlig entfalten konnte.
Sie hatte sich getäuscht.
So viele Jahre hatte sie Gefühle für Ron gehabt, und sie wusste, dass es bei ihm nicht unbedingt anders gewesen war. Dass sie nun doch noch zueinander gefunden hatten, war ihr fast wie ein Wunder vorgekommen.
Die ersten Wochen waren großartig gewesen, und sie war sich damals sicher, die Schrecken des Krieges nun vollständig hinter sich lassen zu können – an der Seite von Ron.
Aber irgendwann war ihr Ron verändert vorgekommen, und als sie ihn darauf ansprach, kam es zum Gespräch – ein Gespräch, das alles verändern sollte.

Sie dachte nicht gerne an diesen Abend zurück.
Ron war sehr ehrlich, was Hermine ihm grundsätzlich hoch anrechnete.
Zu viel würde derzeit zwischen ihnen stehen, sagte er damals. Ihre langjährige Freundschaft. Die Nachwirkungen des Krieges. Er meinte, wenn Hermine in sich hinein hören würde, würde sie merken, dass es die Wahrheit war.
Sie hatte genickt und zugestimmt und versucht, sich ohne ein Drama von Ron zu trennen. Er war ihr als Mensch so wichtig, dass sie auf keinen Fall riskieren wollte, ihn komplett zu verlieren.
Tatsache war, sie hatte in diesem Moment das Gefühl, ihr Herz würde in tausend Stücke zerspringen.
Ron war danach aus dem Grimmauld Place zurück in den Fuchsbau gezogen, und Hermine war mit Harry zurück geblieben. Obwohl Ron und Ginny regelmäßig vorbeischauten, war sie viel mit Harry allein, und auch wenn Hermine es für unmöglich gehalten hatte, war dadurch die Freundschaft zu Harry eine noch engere geworden.
Sie wusste, sie musste Harry gegenüber nicht erwähnen, dass sie Ron nach wie vor liebte – er wusste es auch so. Und oft genug war er einfach für sie da gewesen, wenn er bemerkt hatte, dass sie mal wieder unter dem Trennungsschmerz litt.
Es fiel ihr schwer, Ron gegenüber zu treten. Und war sie vorher noch unsicher gewesen, ob sie ihr siebtes Schuljahr in Hogwarts wiederholen oder zusammen mit Harry und Ron in die Aurorenausbildung gehen würde, stand ihr Entschluss kurz nach der Trennung fest. Sie würde nach Hogwarts zurück kehren. Und merkwürdigerweise fühlte sie über diesen Entschluss grenzenlose Erleichterung. Sie hatte sich ungern räumlich von Harry und Ron trennen wollen, aber eigentlich war es ihr großer Herzenswunsch gewesen, ihren Abschluss nachzuholen.
In wenigen Tagen würde sie wieder im Hogwarts Express sitzen. Sie hatte bereits alle nötigen Schulsachen zusammen und war einfach nur froh, dass endlich wieder so etwas wie Normalität einkehren würde.
Zwischenzeitlich hatte Hermine sich gewünscht, sie würde nicht zu so vielen Veranstaltungen eingeladen werden, bevor das Schuljahr losging. Genau genommen hatte sie sogar darüber nachgedacht, heute Abend nicht zu kommen, insbesondere auch deshalb, weil sie wusste, dass Ron ebenfalls anwesend sein würde. Aber Harry war den ganzen Tag über so fest davon überzeugt gewesen, dass sie mitkommen würde, dass sie es nicht übers Herz gebracht hatte, abzusagen.
Ein letztes Mal, sagte sie sich.
In wenigen Tagen wäre sie wieder in Hogwarts, und dann gehörten solche Veranstaltungen wie diese der Vergangenheit an.
Und sie würde Harry und Ron sehr lange nicht mehr sehen.
Der Gedanke schmerzte.
Natürlich würde sie Harry ungemein vermissen, aber sie musste zudem gestehen, dass sie nach wie vor gern in Rons Nähe war, auch, wenn es zeitgleich irgendwie schmerzte.
Sie hatten Kingsley erreicht und der Zaubereiminister begrüßte sie herzlich.
Der Rest des Abends verlief so, wie Hermine die bisherigen Nachkriegsveranstaltungen erlebt hatte.
Die riesige Halle war erfüllt von Hexen und Zauberern, und nach den üblichen Reden – Hermine war froh, dass es dieses Mal genügte, dass Harry nach Kingsley das Wort ergriff und sie und Ron nur kurze Präsenz auf der Bühne zeigen mussten – schüttelten sie etliche Hände, wurden in Gespräche verwickelt, mussten ein Interview mit dem Tagespropheten führen. Harry und Ron bestätigten das Gerücht, dass sie direkt mit einer Aurorenausbildung beginnen würden, während Hermine erzählte, dass sie ihr letztes Schuljahr wiederholen würde.
Im Anschluss an das Interview schaffte sie es tatsächlich, noch eine Weile fast vollkommen ungezwungen mit Ron zu reden. Sie konnte und wollte ihm nicht zu offensichtlich zeigen, wie sehr sie ihn vermisste. Sie wollte nicht so wirken, als würde sie sich an ihn klammern, denn ihr war bewusst, dass das dazu führen würde, dass er sich distanzierte, und das war das Letzte, was sie wollte.
Denn wenn sie ganz ehrlich mit sich war, hatte sie die Hoffnung, wieder mit Ron zusammen zu finden, noch nicht ganz aufgegeben.
Aber vorerst wollte sie sich auf ihr Herzensziel konzentrieren: Ihren Schulabschluss in der magischen Welt. Und sie konnte ihn dort machen, wo ihr zweites Zuhause war: In Hogwarts.
Was konnte es Besseres geben?

What if... (Dramione) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt