Erkenntnisse und Albträume

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Zum Wochenbeginn nach Hermines Geburtstag war sie gerade damit fertig, den Gryffindor- und Hufflepuff-Erstklässlern zu helfen, als auf einmal Milo neben ihr auftauchte.
„Hi Hermine“, sagte er überraschend fröhlich. „Kommst du?“
„Hast du mit deinen Freunden gesprochen?“, fragte Hermine.
„Hm... Komm mal mit“, entgegnete er ausweichend und führte sie zu dem Tisch, an dem seine vier Freunde saßen, ziemlich direkt neben einer Gruppe Gryffindor-Mädchen.
„Hey Leute“, begann er, und Hermine hörte plötzlich leichte Unsicherheit aus seiner Stimme heraus. „Hier ist die versprochene Hilfe.“
Der, der Hermine nach der Packung wegen der Schokofroschkarte gefragt hatte, guckte interessiert. Der Gesichtsausdruck des Jungen neben ihm war nicht zu deuten, und der verträumte Wuschelkopf – Nathanael, erinnerte sich Hermine – blickte milde überrascht.
„Was soll der Eulendreck, Milo?“, entfuhr es Cassius, dem Dunkelhaarigen mit den aufmerksamen, blauen Augen.
„Ich habe doch gesagt, dass ich uns Hilfe für-“
„Ja, aber doch nicht sie“, unterbrach Cassius und starrte Milo wütend an.
„Milo“, sagte Hermine, mit leichtem Vorwurf in der Stimme. „Ich habe doch gesagt, du sollst vorher fragen, ob es ok ist.“
„Hab ich ja!“, verteidigte der junge Slytherin sich. „Ich habe gefragt, ob es für alle in Ordnung ist, wenn ich mich um eine Nachhilfe kümmere!“
„Und dabei hast du wohl nicht erwähnt, dass du mich fragst?“
Milo schwieg ertappt.
Gerissen, dachte Hermine. Er hatte sein Wort ihr gegenüber nicht gebrochen, hatte es aber gleichzeitig vermieden, ein Nein von seinen Freunden zu kassieren, indem er das – nicht gerade unbedeutende – Detail verschwiegen hatte, wer die Nachhilfe geben würde.
„Naja...“ Milo grinste schief, sah dabei aber nicht ganz so fröhlich aus wie sonst.
„Vergesst es!“, entfuhr es Cassius. „Meint ihr, ich spiele ihr zu, damit sie was in der Hand hat, um sich über uns lustig zu machen?“
Wütend sprang der Junge auf, klaubte seine Schulsachen zusammen und stürmte aus der Bücherei, was sogar die Blicke der Gryffindor-Zweitklässler am Nebentisch auf sich zog.
Einen Moment lang war es still, dann erhob Nathanael sich langsam, packte seine Sachen ein und folgte Cassius rasch.
Hermine drehte sich demonstrativ zu Milo und sah ihn an.
„'Tschuldigung“, murmelte dieser ziemlich kleinlaut.
„Also“, sagte Hermine leise, um nicht doch noch Madam Pince auf die Bildfläche zu rufen. „Wollt ihr jetzt meine Hilfe oder nicht?“
Milo sah seine beiden verbliebenen Freunde an, die einen raschen Blick tauschten.
„Ok“, sagte dann der eine von beiden.
„Gut, dann lasst uns anfangen.“





Als sie sich an einem Nachmittag nach der Nachhilfe auf den Weg zu ihrem Gemeinschaftsraum machte, traf sie auf Luna, die fröhlich summte.
Wieder einmal dachte sie darüber nach, dass sie es fast beneidenswert fand, wie gut Luna und Neville ihre Trennung wegsteckten und wie ungefangen die beiden miteinander umgingen. Sie konnte sich nicht vorstellen, jemals so über die Trennung von Ron hinweg zu kommen.
„Na, Luna, so fröhlich?“, fragte Hermine und musste tatsächlich ein wenig lächeln.
Irgendwie verbreitete die blonde Ravenclaw stets gute Laune.
„Ja, ich konnte gerade Sue großartig helfen, sie hatte Probleme mit einem Schlickschlupf und wusste es nicht einmal.“
„Oh! Großartig, Luna.“
„Ja, oder? Wenn-“
Aber Hermine hörte nicht mehr, was Luna sagte, denn in diesem Moment bog Draco Malfoy um die Ecke.
Überraschenderweise lief ein aufgeregt plappernder Milo neben ihm, nicht Zabini und Nott.
Malfoy sah ihn beinahe nachsichtig an und lauschte stumm den Worten des jüngeren Hauskameraden.
Aber egal, ob er alleine oder mit den anderen Slytherins unterwegs war – seine Reaktion war immer gleich.
Er sah auf und bemerkte schon von Weitem, dass er auf dem Gang direkt an ihr vorbeigehen müsste – und drehte abrupt um, ging ein Stück zurück und bog dann in einen anderen Gang ab, vermutlich, um einen Umweg zu machen. Milo sah ihm perplex nach.
„Vollidiot“, entfuhr es Hermine.
„Wie bitte?“
Luna sah sie fragend an und wenn sie verärgert war, weil Hermine ihr nicht zugehört und sie sogar unterbrochen hatte, so zeigte sie es nicht.
„Malfoy“, schnaubte Hermine. „Er benimmt sich so albern und kindisch. Jetzt traut er sich scheinbar nicht mehr, mich zu beleidigen, aus Angst vor Konsequenzen, und statt dessen weicht er mir aus, wo es nur geht, damit er bloß keinen Kontakt zu dem dreckigen Schlammblut hat.“
„Oh, das hat nichts mit deinem Blutstatus zu tun“, sagte Luna lächelnd.
„Ach? Meinst du, er findet mich einfach als Person so ätzend, dass er jeden Kontakt mit mir vermeiden möchte?“, fragte Hermine spöttisch. „Könnte natürlich auch stimmen.“
Luna lächelte immer noch.
„Aber nein, Hermine. Es liegt nicht an dir. Mir geht er genauso aus dem Weg. Er vermeidet es sogar, mich anzusehen. Bei mir hat er es aber leichter, wir sind nur in einem Jahrgang, mit dir muss er sich auch noch einen Wohnbereich teilen.“
Hermine starrte sie an.
„Warum sollte er uns beiden aus dem Weg gehen?“, fragte sie perplex.
„Ist das nicht offensichtlich?“, entgegnete Luna.
Schön, dass für Luna immer alles offensichtlich ist, dachte Hermine genervt.
„Nein, finde ich nicht.“
„Nun“, erklärte Luna. „Er hat ein schlechtes Gewissen.“
„Ein schlechtes Gewissen?“, echote Hermine.
„Ja. Weil wir beide in seinem Elternhaus gefangen gehalten und gefoltert wurden.“
Sie sagte es so, als rede sie über das Wetter.
„Er fühlt sich schlecht deswegen und weiß nicht, wie er mit uns umgehen soll.“
Luna lächelte noch einmal, ehe sie Hermine verwirrt zurück ließ.







Hermine schreckte im Bett auf.
Ein Albtraum, schon wieder.
Sie konnte sich an nichts erinnern, aber in ihrer Brust war ein dumpfes Gefühl von Verlustangst.
Sie wusste mittlerweile, dass es keinen Sinn machte, liegen zu bleiben und sich zu zwingen, wieder einzuschlafen, es funktionierte sowieso nicht.
Sie hatte es sich angewöhnt, in solchen Situationen aufzustehen, in die Küche zu gehen, etwas zu trinken, sich ein wenig abzulenken, indem sie die renovierten Räume des Grimmauld Place begutachtete oder etwas las.
Nun war sie zwar nicht mehr im Grimmauld Place, aber sie hatten im Gemeinschaftsraum eine Küche, sie konnte dort etwas trinken, und Bücher hatte sie auch zu Genüge, also stand sie auf, war mal wieder sehr froh, einen Raum für sich alleine zu haben, zog sich dick an, da sie wusste, wie kalt es nachts im Schloss war, und ließ die Spitze ihres Zauberstabs mit einem Lumos aufleuchten.
Es war noch mitten in der Nacht, und es war stockdunkel.
Als sie an ihrer Kommode vorbeiging, fiel ihr Blick auf das Foto von ihr und Ron.
Sie blieb kurz stehen und sah es schwermütig an.
Wie glücklich sie zusammen aussahen!
Es fühlte sich so falsch an, dass sie sich getrennt hatten.
Ron irrte sich, und er musste es einfach einsehen! Er musste!
Hermine seufzte und machte sich auf den Weg, die Treppe hinunter und in den Gemeinschaftsraum.
Nachdem sie leise die Treppe hinunter geschlichen war, schauderte sie, als sie den in Dunkelheit daliegenden Gemeinschaftsraum sah. Er wirkte, mitten in der Nacht, ohne jegliche Beleuchtung – selbst der Kamin war mittlerweile heruntergebrannt – nicht so einladend wie am Tage.
Sie hatte den Raum gerade halb durchquert, als sie eine Bewegung aus dem Augenwinkel wahrnahm.
Erschreckt fuhr sie herum.
Im Fenstersims saß eine düstere Gestalt.
Ihr Körper reagierte instinktiv. Sie spürte, wie ihr Herz zu rasen begann und ihre Hände merkwürdig taub wurden. Der Schreck fuhr ihr so heftig durch die Glieder, dass sie sich gerade noch so davon abhalten konnte, sofort einen Zauber auf die Gestalt zu schleudern.
Alles an ihr war in Alarmbereitschaft. Der Krieg hatte sie geprägt.
Da die Gestalt tatsächlich direkt im Fenster saß, konnte Hermine nicht viel mehr als die Silhouette erkennen. Aber sie wurde vom Mondlicht angestrahlt, das durchs Fenster fiel, und im nächsten Moment erkannte sie silberblondes Haar.
Erleichtert ließ sie ihren Stab etwas sinken – bis ihr etwas anderes auffiel und ihr einen unangenehmen Schauder den Rücken hinab jagte.
Er starrte sie an.
Sie konnte sein Gesicht nicht erkennen, aber sie spürte seinen Blick überdeutlich, und sie konnte nicht gerade sagen, dass es ein angenehmes Gefühl war, von Draco Malfoy in der Dunkelheit angestarrt zu werden.
Und ihr wurde bewusst, dass er sie sehr deutlich erkennen musste, hielt sie den erleuchteten Zauberstab doch fast direkt vor ihr eigenes Gesicht.
Aber ehe sie noch weiter über die Situation nachdenken konnte, ehe sie sich entscheiden konnte, ob hier Gefahr vorherrschte oder nicht, sprang er aus der Fensterbank und ging gerade so schnell, dass er nicht rannte, durch den Gemeinschaftsraum und die Treppe hinauf, und ließ Hermine mit klopfendem Herzen zurück.

What if... (Dramione) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt