Theodore

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Kaum, dass Dracos Vater gegangen war, stürmte Hermine aus dem Schrank.
„Draco...“, murmelte sie, aber er sah sie nicht an.
Deutlich sah sie seine gestresste Atmung, es sah mehr aus wie ein unkontrolliertes Pumpen, aber ansonsten deutete nichts darauf hin, dass der Auftritt seines Vaters ihn berührt hatte.
Hermine an seiner Stelle wäre zusammengesackt, hätte geweint, hätte vermutlich am ganzen Leibe gezittert. Aber sie verstand, dass sie solche Gefühlsausbrüche von ihm nicht erwarten konnte.
Sie zog ihren Zauberstab.
„Draco, setz dich. Lass es mich ansehen und heilen.“
Er reagierte immer noch nicht, wich weiterhin ihrem Blick aus.
Sie trat zögernd näher, hob die Hand und legte sie vorsichtig auf seinen Unterarm.
„Draco-“
„Lass das“, murmelte er und zog seinen Arm weg.
Sie atmete tief ein, versuchte ruhig zu bleiben, versuchte nicht gekränkt zu sein.
„Bitte, lass es mich heilen.“
Er seufzte.
„Ich kann das selbst, Granger.“
Erst jetzt fiel ihr auf, wie sehr er ihren Namen vermieden hatte, seit dem sie das zweite Mal miteinander geschlafen hatten.
Und ihr fiel auf, wie er ihren Nachnamen nun aussprach: Fast so, wie er es früher getan hatte.
Sie startete einen letzten Versuch.
„Draco, bitte, lass mich dir doch kurz helfen.“
Schweigen.
„Bitte, setz dich.“
Einen Moment lang war sie sich sicher, dass er sie jetzt einfach aus dem Zimmer werfen würde, aber plötzlich ging ein Ruck durch seinen Körper und er ließ sich auf die Bettkante sinken.
Erleichtert setzte sie sich neben ihn.
„Zeig mal her.“
Gehorsam drehte er sein Gesicht etwas in ihre Richtung, ließ den Blick aber gesenkt.
Sie spürte die Wut wie einen schweren Stein in ihrer Magengegend, als sie die Verletzung sah und ebenso den dunklen Schatten, der sich auf seiner Wange zu bilden begann. Könnte sie es nicht mit Magie heilen, würde es neben der Platzwunde noch einen Bluterguss geben.
Sie hob die Hand, fuhr vorsichtig mit den Fingern über seine Wange und sah, wie seine Augen leicht zuckten, als täte ihm selbst diese leichte Berührung schon weh.
Sie ließ ihre Hand, wo sie war und hob den Stab.
Leise sprach sie die nötigen Heilzauber.
Es dauerte nur wenige Sekunden, bis man nichts mehr von der Gewalteinwirkung sah.
Sie strich noch einmal sanft über seine Wange.
„Siehst du“, sagte sie leise und sanft. „Sieht aus wie neu.“
Er drehte den Kopf noch weiter zu ihr und da sie nicht damit gerechnet hatte, lagen ihre Finger nun auf seinen Lippen.
Sie erstarrte, als er den Blick hob und sie ansah.
Dann zog sie ihre Hand hastig weg.
„Natürlich“, sagte er, ohne den Blickkontakt zu unterbrechen. „Du bist ja auch sehr talentiert.“
Sie wünschte sich, sie könnte irgendetwas in seinen Augen lesen, aber er hatte sich komplett verschlossen.
In diesem Moment ging die Tür auf.
„Entschuldigt, ich wollte nicht stören“, sagte Blaise. Dann, an Hermine: „Ich wusste nicht, dass du noch hier bist.“
Blaise musste Dracos Vater absichtlich aufgehalten und angelogen haben, da er sich gedacht hatte, dass Hermine zu Draco gegangen war – und ihm musste auch klar gewesen sein, dass sie sich irgendwo versteckt hatte.
„Du störst nicht“, sagte sie und stand hastig auf.
„Alles ok, Kumpel?“, wandte Blaise sich an Draco.
„Alles bestens“, kam es absolut ruhig von diesem zurück.
Aber Hermine sah sofort, dass die beiden sich zu gut kannten – Blaise war klar, dass dieses „alles bestens“ nicht der Wahrheit entsprach, sie sah es in seinen Augen.
Blaise sah sie an.
„Würdest du uns alleine lassen?“, fragte er.
„Klar“, sagte sie schnell.
Sie ging rasch aus dem Zimmer, über den Flur zu ihrem eigenen Schlafzimmer.
Sie schloss die Tür hinter sich, lehnte sich dagegen und rutschte langsam daran herunter.
Wo sollte das ganze jetzt bloß hinführen?






Theodore war auch am nächsten Tag nicht wieder da.
Hermine hatte Minerva nach ihm gefragt, aber die Schulleiterin hatte ihr bedauernd mitgeteilt, dass es eine private Angelegenheit sei und Theodore selbst entscheiden sollte, was er erzählte, wenn er zurück war.
Es war frustrierend für Hermine, ebenso wie die Tatsache, dass Draco sie wie Luft behandelte.
Er war nicht unfreundlich, er beleidigte sie nicht, er war nicht einmal direkt abweisend.
Er sah mehr oder weniger durch sie hindurch, redete nicht mit ihr, suchte ihre Nähe nicht mehr.
Es tat weh. Es tat so unfassbar weh, dass Hermine das Gefühl hatte, die Trennung von Ron sei ein Spaziergang gewesen.
Andererseits erlebte sie nun vermutlich einfach das, was früher oder später – genau genommen im Sommer – sowieso auf sie zugekommen wäre.
Denk nicht an irgendeine Beständigkeit nach Hogwarts, hatte Theodore zu ihr gesagt.
Es hätte weh getan, so oder so. Und jetzt tat es eben einfach ein bisschen früher weh.
Die Zwischenprüfungen standen quasi vor der Tür und sie stürzte sich ins Lernen. Sie wollte Ablenkung, um jeden Preis.
Am dritten Tag von Theodore's Abwesenheit kam Blaise in der Bibliothek auf sie zu und setzte sich neben sie.
Er erzählte, dass Theodore eine Eule mit einem Brief geschickt habe, in der er darum bat, auch sie zu grüßen, denn sie sei „ja auch eine Freundin“.
Hermine spürte albernerweise Tränen in ihren Augen, als sie diesen Satz aus Blaise' Mund hörte.
Theodore schrieb, er würde für den Rest der Woche und auch das Wochenende noch mit Familienangelegenheiten zu tun haben, die Schule sei informiert und habe ihn freigestellt.
„Und“, endete Blaise und verdrehte die Augen. „er hat mich gebeten, dir auszurichten, dass du im Unterricht für ihn mitschreiben sollst.“
Hermine konnte nicht anders, trotz Tränen in den Augen musste sie lachen.
Und zu ihrer Überraschung verzog sich auch Blaise' Mund zu einem regelrecht warmen Lächeln, ehe er aufstand und sie wieder allein ließ.
Draco wechselte auch den Rest der Woche kein Wort mit ihr, sah sie nicht einmal an.
Sie selbst erwischte sich immer wieder dabei, wie sie ihn heimlich beobachtete.
Sie war sich nicht sicher, ob sie nicht einfach von sich aus den Kontakt suchen sollte.
Andererseits verhielt er sich so eindeutig distanziert, dass sie es nicht wagte.
Am darauffolgenden Montag war Theodore wieder da.
Hermine hatte nur eine Stunde mit den Slytherins, und wegen Draco traute sie sich nicht, in die Nähe der Dreiergruppe zu gehen, aber später, in der Bibliothek, sah sie ihn alleine vor einem Regal stehen.
Er wirkte blasser als sonst und irgendwie eingefallen, auch war sein sowieso immer verstrubbeltes, braunes Haar ein einziges Chaos.
Sie ging mit raschen Schritten auf ihn zu.
„Theodore!“
Er drehte sich zu ihr um, und plötzlich kam alles so abrupt in Hermine hoch, dass sie einen Satz nach vorne machte und ihm um den Hals fiel.
Er stand vollkommen perplex da, rührte sich einen Moment nicht, und deutlich merkte sie, wie er sich einen Ruck gab und dann fest die Arme um sie legte.
„Na na“, sagte er leise. „Was ist denn los?“
Er schien zu bemerken, dass sie aufgewühlt war.
„Ich habe mir solche Sorgen gemacht“, wisperte sie. „Als wir dich nicht gefunden haben... Als du plötzlich verschwunden warst... Ich dachte, dir sei etwas passiert. Ein Unfall oder-“
Sie brach ab, wollte nicht mehr an die schlimmen Dinge denken, die ihr an dem Tag durch den Kopf gegangen waren.
Er tätschelte ihr beinahe etwas ungeschickt den Rücken.
„Alles gut, es ist ja nichts passiert. Tut mir leid, dass ich niemandem Bescheid gesagt habe, Slughorn hat mich alleine abgefangen und zur Schulleiterin gebracht, und McGonagall meinte, ich müsste sofort los. Es war alles sehr... überraschend und ging sehr schnell. Aber jetzt“, sagte er und löste sich vorsichtig von ihr. „solltest du wieder etwas Abstand nehmen, sollte Draco uns zufällig so sehen, bricht er mir sämtliche Knochen im Leib.“
Sie trat gehorsam einen Schritt zurück.
„Blödsinn“, murmelte sie, aber er lächelte nur milde.
„Theodore“, entfuhr es Hermine. „Entschuldige, ich hätte das schon viel eher sagen sollen. Das mit deinem Vater, es tut mir-“
Sie brach ab, schnappte erschrocken nach Luft.
Theodore's Hände waren vorgeschossen und umschlossen nun regelrecht schmerzhaft ihre Oberarme.
Er sah sich kurz um und zog sie schließlich hinter ein anderes Regal, wo sie vor Blicken geschützt waren.
Ihre Arme ließ er nicht los und sie versuchte, den Schmerz herunterzuschlucken.
„Was-“, begann sie, wurde aber sofort von ihm unterbrochen.
„Sag es nicht“, zischte er und wirkte plötzlich furchtbar aufgewühlt. „Sag nicht, dass es dir leid tut, Hermine. Sag das auf keinen Fall.“
„Theodore, was-“, setzte sie noch einmal an.
„Es hat dir nicht leid zu tun“, fuhr er eindringlich fort. „Es darf dir nicht leid tun!“
„Warum-“, begann sie.
„Hör zu, mein Vater war der größte Mistkerl, der unter dieser Sonne umhergewandert ist, verstehst du? Er hat Menschen wie dir den Tod gewünscht. Er hätte dich, ohne mit der Wimper zu zucken, umgebracht, wenn er keine Konsequenzen erwartet hätte. Es darf dir also verdammt noch mal nicht leid tun, dass er jetzt tot ist.“
Sie schluckte.
„Ok“, flüsterte sie.
„Und mir tut es auch nicht leid“, ergänzte er kalt.
„Theodore... Du tust mir weh.“
Er blinzelte perplex, und erst nach ein paar Sekunden schien er zu bemerken, wie fest er ihre Oberarme umschlossen hielt.
Beinahe erschrocken ließ er sie los.
„Entschuldige“, murmelte er.

What if... (Dramione) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt