Aussprache

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„Hey, Granger.“
Hermine schloss ergeben die Augen.
Als sie sie wieder öffnete, sah sie, wie Malfoy seine Schultasche beiläufig auf den Tisch warf, ehe er neben sie auf die Bank glitt.
„Ach, mir fällt grad ein, ich muss noch wo hin. Wir lernen morgen weiter, Hermine“, sagte Theodore, während er rasch seine Sachen zusammenklaubte, um die Bibliothek zu verlassen, und Hermine kam es tatsächlich so vor, als würde er das Feld für seinen Freund räumen.
Sie war Malfoy zwei Tage erfolgreich aus dem Weg gegangen. Sie hatte an den beiden Tagen sogar kaum Unterricht mit ihm gehabt, allerdings wusste sie, dass ihr morgiger Stundenplan nur so vor Unterricht mit den Slytherins zusammen strotzte, daher hatte sie gehofft, wenigstens heute noch vor ihm Ruhe zu haben so gut es ging.
Sie wusste, dass es weder sinnvoll war noch viel brachte, vor einer Sache davon zu laufen, aber der Abstand zu Malfoy hatte ihr gut getan. Immer noch war ihr irgendwie unangenehm, was passiert war.
„Was möchtest du, Malfoy?“, fragte sie und wich seinem Blick aus.
Er sah sie so normal an, als wäre gar nichts zwischen ihnen passiert.
„Unsere Übungseinheiten“, erklärte er. „Wann machen wir damit weiter? Deine Okklumentik-Künste sind immer besser geworden, aber du bist noch nicht fertig, und mein Patronus muss vielleicht nicht unbedingt gestaltlich werden, aber ein bisschen mehr Kraft könnte er schon bekommen.“
Er machte eine Pause, aber sie schwieg, sah weiter in ihr Buch.
Sie merkte, wie er sich etwas näher beugte.
„Granger? Was ist denn nun? Treffen wir uns heute Abend im Klassenraum für Verteidigung?“
Sie seufzte.
„Klar, Malfoy.“
„Gut“, befand er. „Und Granger, ich wollte noch was anderes...“
Sie sah auf und drehte den Kopf zu ihm – was ein Fehler war.
Er saß viel zu dicht bei ihr, und ihre Blicke trafen sich sofort.
Und sie konnte nichts dagegen machen, musste es sich eingestehen: Er war verdammt anziehend.
Sie fragte sich, warum ihr früher nie aufgefallen war, wie gutaussehend er war.
Andererseits war sie ihm früher auch nie so nahe gekommen.
Wie hätte ihr über die Ferne auffallen sollen, wie fesselnd das Grau seiner Augen war, wie markant sein Kinn, wie schön geschwungen seine Lippen?
Auch er starrte ihr einen Moment lang fast überrumpelt in die Augen, ehe sein Blick sich kurz auf ihre Lippen senkte.
Und kurz meinte sie, dass er begann, sich leicht zu ihr zu beugen.
„Draco!“
Sie zuckten beide überrascht zusammen und fuhren regelrecht außeinander.
An ihrem Tisch stand Milo und strahlte sie beide ahnungslos an.
„Hast du es etwa vergessen?“, plapperte der jüngere Slytherin drauflos. „Du wolltest mit mir und den anderen aufs Quidditchfeld und die anderen etwas anleiten und du hast versprochen, mir ein paar Tipps zu geben, damit ich vielleicht doch besser werde, und dann-“
„Vergiss nicht Luft zu holen, Kleiner“, kam es von Malfoy, der aufstand und seine Tasche schnappte. „Bis heute Abend, Granger.“
Er ging an Milo vorbei und wuschelte ihm halb freundschaftlich, halb verärgert durchs Haar.
Hermine konnte den beiden nur mit klopfendem Herzen nachsehen.
Wie sollte sie den Abend mit Malfoy überstehen?






„Malfoy, das ist richtig gut!“
Mittlerweile, nachdem sie ihn ein paar Mal an diesem Abend üben lassen hatte, bekam Malfoy den gestaltlosen Patronus gut und problemlos hin, er leuchtete hell, und gerade war der Slytherin dabei, seinen Stab hin und her zu bewegen, so dass kurzzeitig in der Luft wunderschöne, leuchtende Schlieren zu sehen waren.
Mit einem Lächeln ließ Malfoy den Patronus verschwinden.
„Ich denke, du bist somit durch“, befand Hermine. „Besser wird er nicht mehr. Und ob er irgendwann eine Gestalt annimmt, wird die Zeit zeigen.“
Sie musste lächeln, als sie sah, wie zufrieden er wirkte.
„Du kannst stolz auf dich sein, es ist großartig, wie schnell du den Zauber gelernt hast“, setzte sie noch hinzu, und wieder sah sie, wie er das Lob regelrecht aufzusaugen schien, wie gut es ihm tat, diese Worte zu hören, wie sich der Stolz in seinem Gesicht spiegelte.
Manchmal fragte sie sich, warum er so nach Lob lechzte – ob das einfach der stolze Slytherin in ihm war, der so etwas gerne hörte, oder ob mehr dahinter steckte.
„Gut, jetzt du“, befand Malfoy. „Setz dich.“
Gehorsam ließ Hermine sich nieder.
Malfoy ging so normal mit ihr um, dass sie mittlerweile überhaupt keine Bedenken mehr hatte, sich nicht mehr unwohl fühlte.
„Bereit?“
„Bereit.“
Mittlerweile startete Malfoy bereits mit erheblichen Druck, wenn er versuchte, in ihren Geist einzudringen. Und sie war erstaunt, wie leicht es ihr fiel, dagegen zu halten.
Das Bild der Tür in ihrem Geist war kaum noch nötig, sie schaffte es die meiste Zeit, ihn einfach mit purer Willenskraft von ihren Gedanken fern zu halten.
„Gut“, sagte er, und der Druck verschwand augenblicklich. „Noch mal. Pass dieses Mal gut auf, ich werde nicht zimperlich sein.“
„Ok.“ Hermine rutschte auf dem Stuhl in eine bequemere Position, ehe sie Malfoy konzentriert in die Augen sah.
„Bereit?“
„Ja.“
Er hatte nicht übertrieben.
Rasch konzentrierte Hermine sich darauf, wieder das Bild von der geschlossenen Tür im Kopf zu haben. Dieses Mal war es nicht so, als wenn er von außen gegendrückte, sondern als würde etwas kräftig dagegenschlagen, so dass sie fast Sorge hatte, die Tür könnte zerbrechen unter dem Druck.
Aber sie schaffte es, ihn draußen zu halten.
Und kurz überlegte sie, was wohl passieren würde, wenn er nun doch in ihren Geist eindringen würde.
Er würde wissen, was sie bei dem Kuss hinter der Statue empfunden hatte!
Es war eine merkwürdige Vorstellung.
Und plötzlich kam ihr in den Sinn, dass sie ihn geküsst hatte, sich wünschte, er würde sie wieder küssen, obwohl sie nach wie vor Ron liebte.
Der Gedanke warf sie vollkommen aus der Bahn.
Wie konnte sie so etwas nur tun?
Und in der nächsten Sekunde brach ihre Konzentration vollends.
Es war vollkommen anders dieses Mal.
Es war, als hätte sie die Tür losgelassen und Malfoy stolperte unkoordiniert in ihren Geist hinein.
Sie hörte ihn erschrocken aufkeuchen, als er von Gedanken überrannt wurde, und da ihr letzter Gedanke Ron galt, waren es hauptsächlich Gedanken, die mit ihm zusammenhingen: Ihr erstes Kuss – ihr erster richtiger Kuss, nicht der, als sie ihm um den Hals gefallen war, als er vorschlug, die Elfen zu warnen – ihr Kennenlernen damals im Zug, ihre Traurigkeit, als er sie nicht wegen des Balls fragte, Eindrücke aus der Zeit, als sie zusammen waren, ihre Trennung... Und zwischendurch andere Gedankenfetzen, aus ihrer Kindheit, aus Hogwarts, von ihrer Mission mit Harry und Ron... Es war ein einziges Chaos an Bildern.
Dann war er aus ihrem Kopf verschwunden, und sie Begriff, dass er sofort reagiert hatte, vermutlich nur eine Sekunde Einblick in ihre Gedanken gehabt hatte.
Er war noch blasser als sonst und atmete schwer.
„Salazar! Granger, verfluchte Scheiße, was sollte das?“
„Was?“
Sie war immer noch verwirrt, verstand selbst nicht, was passiert war.
„Du hast dich nicht konzentriert, verflucht! Ich habe mich verdammt erschrocken, ist dir das eigentlich klar?“
„Ich... ich habe nicht aufgepasst...“
„Das kann man wohl sagen!“, schimpfte er. „Fuck!“
Sie verstand nicht, warum er sich so aufregte.
„Entschuldige, meinst du ich finde es toll, dass du meine Gedanken gelesen hast?“, schnappte sie.
„Natürlich nicht! Aber warum konzentrierst du dich denn dann nicht? Ich will den Scheiß bestimmt nicht sehen. Meinst du, deine gescheiterte Beziehung zu Weasley ist das, was ich unbedingt sehen will?“
Hermines Herz schlug hart in ihrer Brust.
„Halt Ron da raus...“, zischte sie.
Noch stärker meldete sich das schlechte Gewissen. Wie hatte sie nur so wenig an Ron denken können in der letzten Zeit!
„Merlin, es hätte noch gefehlt, dass ich das Wiesel womöglich nackt sehe!“, echauffierte Malfoy sich.
Sie merkte deutlich, wie sie die Kontrolle über ihren Körper verlor.
Ehe sie es selbst begriff, war sie auf den Beinen, der Stuhl kippte und ging krachend zu Boden, so ruckartig war sie aufgestanden.
„Halt Ron da raus, habe ich gesagt!“
Sie erschrak selbst – sie erschrak, weil sie geschrien hatte, weil sie Tränen in ihren Augen spürte, weil sie ihre Hände zu Fäusten geballt hatte.
Der Schmerz darüber, dass Ron sie einfach so verlassen hatte, sie einfach so regelrecht abserviert hatte, übermannte sie ungeahnt stark.
Er starrte sie an. Sein Mund war leicht aufgeklappt, die Augen riesig, er war eindeutig sprachlos.
Und plötzlich schämte sie sich.
Sie schämte sich, so die Beherrschung verloren zu haben.
Sie wollte sich abwenden, wollte schnell den Raum verlassen, aber er schien zu merken, was sie vorhatte, denn blitzschnell war er auf den Beinen, hatte seine Überraschung eindeutig überwunden, und in der nächsten Sekunde waren da seine Hände an ihren Schultern, sanft, vorsichtig.

What if... (Dramione) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt