Das Monster unter dem Bett

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Es war eine ungemütliche Nacht, eine schlaflose Nacht.
Der November war fortgeschritten, es war nur noch ein knapper Monat bis Weihnachten.
Ihre offiziellen Treffen mit Malfoy fanden im Schnitt einmal wöchentlich statt, und nachdem sie noch einmal vollkommen erfolglos den Patronus-Zauber geübt hatten, wobei Malfoy hart an seine Frustrationsgrenze gekommen war, hatten sie in der Stunde darauf auf sein Drängen hin wieder Okklumentik geübt. Hermine fiel auf, dass er den Druck dabei langsam erhöhte, was ihr nur Recht war, machte sie doch rasche und gute Fortschritte. Aber selbst der stärkere Druck war immer noch nicht unangenehm, denn jedes Mal, wenn er ihren Willen schließlich durchbrach, zog er sich so schnell aus ihrem Geist zurück, dass die flüchtigen Gedankenfetzen, die zu sehen waren, so rasch an ihr vorbeizogen, dass sie selbst sie nicht einmal richtig wahrnehmen konnte, sie war sich also sicher, dass er in diesem Bruchteil einer Sekunde auch keinen Einblick in ihre Gedanken hatte.
Heute hatte sie ihn überzeugt, wieder am Patronus zu arbeiten, und er hatte widerwillig zugestimmt.
Das ganze hatte damit geendet, dass er irgendwann einen kleinen Wutanfall bekam, bei dem er ziemlich heftig fluchte, da nicht einmal der Ansatz eines gelungenen Zaubers zu sehen war. Schließlich war er aus dem Klassenraum gestürmt, hatte die Tür zugeknallt und sie einfach alleine stehen lassen.
Sie hatte ihn den ganzen restlichen Abend nicht mehr zu Gesicht bekommen, und als sie nachts in den Gemeinschaftsraum geschlichen war, weil mal wieder ein furchtbarer Albtraum sie geweckt hatte, war dieser leer gewesen. Sie hatte das Feuer im Kamin entfacht und versucht zu lesen, bis leise Schritte hinter ihr sie dazu brachten, sich umzudrehen.
Er war in die Küche gegangen, ohne sie anzusehen, hatte Tee gekocht und sich dann – überraschend dicht – neben sie aufs Sofa gesetzt und ihr eine Tasse gereicht.
Da saßen sie nun, lauschten dem heulenden Wind, der an den Fensterscheiben rüttelte und begutachteten die Flammen, die unruhig im Kamin züngelten.
Und schließlich sprach sie an, was ihr auf dem Herzen lag.
„Malfoy“, begann sie. „Ich wollte nur sagen... Bitte, gib deinen Patronus nicht auf. Ich... ich mache mir schon Gedanken, was ich beim nächsten Mal anders machen kann, wie ich es besser erklären kann, und-“
„Es liegt nicht an dir.“
Sie schwieg perplex nach seinem Einwurf.
Er bemerkte, dass sie ihn vollkommen verblüfft anstarrte und wandte sich ihr zu, zog sein Bein sogar leicht aufs Sofa, um sich mehr zu ihr drehen und sie besser ansehen zu können.
Sie bemerkte, dass nun zwischen ihnen nur noch eine Handbreit Platz war und fragte sich, warum ihr das überhaupt so bewusst auffiel.
„Granger, du kannst da nichts anders erklären und du kannst auch nichts besser machen. Ich kann einfach keinen Patronus heraufbeschwören. Ende der Geschichte.“
Er sagte es überraschend ruhig, so, als habe er sich nun damit abgefunden.
„Blödsinn“, entfuhr es ihr. „Jeder kann einen Patronus heraufbeschwören.“
„Das stimmt nicht“, sagte er schlicht, vollkommen ruhig, und nippte an seinem Tee, ohne sie aus den Augen zu lassen.
„OK“, gab sie widerwillig zu. „Es ist höhere Magie und sehr schwierig, vermutlich kann es tatsächlich nicht jeder, aber du bist talentiert, sehr sogar, warum solltest du es nicht hinbekommen?“
Kurz schien es in seinen Augen aufzublitzen, als sie ihn als talentiert bezeichnete – er schien Komplimente aufzusaugen wie ein Schwamm - , aber direkt im Anschluss verfinsterte sich sein Blick noch mehr.
„Es wird nicht funktionieren“, sagte er düster. „Und jetzt lass uns das Thema wechseln.“
„Malfoy“, sagte sie eindringlich, denn sie war sich sicher, so sicher, dass irgendetwas seine glücklichen Gedanken blockierte und ihm ein Patronus gelingen würde, sobald diese Blockade aus dem Weg geräumt war. „Hast du nicht selbst gesagt, dass dich etwas von den glücklichen Gedanken ablenkt? Wenn du-“
„Granger.“ Die Art, wie er ihren Namen aussprach, klang fast wie ein drohendes Knurren.
„Hör mir doch bitte kurz zu. Wenn du das, was deine glücklichen Gedanken blockiert, aus dem Weg räumst, wird es klappen. Siehst du, es ist ganz einfach-“
„Es ist nicht einfach!“, zischte er, das Gesicht plötzlich wutverzerrt. „Es ist alles mögliche, aber ganz gewiss nicht einfach!“
„Malfoy-“
„Verflucht, Granger! Lass es doch jetzt einfach sein! Es kann dir doch scheißegal sein, ob mir ein Patronus gelingt oder nicht. Ich übe schon weiter mit dir Okklumentik, keine Sorge.“
„Darum geht es doch gar nicht-“
„Ach ja? Worum geht es dann?“
„Es geht darum, dass es verschenktes Talent ist! Du könntest-“
„Salazar! Ich könnte nicht, Granger! Geht das jetzt endlich mal in deinen Dickschädel hinein?“
Er war wütend, sie sah es, obwohl er sich immer noch darum bemühte, leise zu sein.
Aber sein Blick hatte sich verdunkelt, seine Atmung ging schneller. Er umfasste seine Tasse so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten.
„Malfoy“, sagte sie und bemühte sich bewusst um einen ruhigen Ton. „Es geht doch nur darum, dass du dir bewusst machst, was deine glücklichen Gedanken blockiert, damit du-“
„Granger, lass es jetzt einfach-“
„-damit du dich vollkommen auf das Positive konzentrieren kannst und es klappt“, fuhr sie ungerührt fort. „Wenn du die negativen Gedanken loslassen-“
„Du hast doch keine Ahnung, was du da redest!“, fuhr er sie so aufgebracht an, dass sie erschrocken schwieg. „Du kannst dir nicht mal ansatzweise vorstellen, wie mächtig diese verdammten anderen Gedanken sind! Also hör mit deiner Klugscheißerei auf und nerv jemand anders!“
Sie hätte wütend sein müssen. Aber sie war es nicht. Sie hatte ihn mittlerweile zu gut kennen gelernt, um nicht zu sehen, dass etwas anderes hinter seinem verbalen Angriff steckte.
Und sie wollte jetzt auf keinen Fall locker lassen.
„Malfoy, vielleicht verstehe ich mehr, als du denkst.“
„Blödsinn“, schnaubte er abfällig. „Du kannst dir nicht vorstellen, wie es ist. Was es bedeutet, wenn einen diese Dinge fest im Griff haben und nachts nicht schlafen lassen. Du hast keine Ahnung, wie es sich anfühlt, nachts aufzuwachen, mit diesem Gefühl, das der Albtraum hinterlassen hat, als wenn-“
Er brach abrupt, fast erschrocken ab, als würde ihm in genau diesem Moment klar werden, was er gesagt hatte.
„... als wenn man nie wieder froh sein kann“, beendet sie leise seinen Satz. „Als wenn die Dinge, die passiert sind, so schrecklich sind, dass sie für immer im Kopf sitzen und einen nie wieder ruhig schlafen lassen. Und wenn man aufwacht, hat man dieses furchtbare Gefühl in der Brust, das einem Angst macht und-“
Nun war sie es, die abbrach, denn sie hatte mittlerweile den Blick gesenkt und spürte kurz Tränen in den Augen, die sie rasch wegblinzelte, denn auf keinen Fall wollte sie, dass er sie weinen sah.
Einen Moment war es gespenstisch still.
„... und einem die Luft zum Atmen abschnürt“, beendete er nun ihren Satz und sie sah überrascht auf.
„Ja“, murmelte sie, als sich ihre Blicke trafen.
Einen Moment lang sahen sie sich schweigend an, beide verblüfft und ein wenig irritiert.
Schließlich unterbrach sie den Blickkontakt wieder und sah in die Flammen.
„Gib dem ganzen noch einmal eine Chance“, sagte sie leise in die merkwürdige Stille hinein. „Lass mich ein wenig recherchieren. Ich bin mir sicher, ich werde fündig und der Patronus wird dir gelingen.“
Wieder war es einen Moment lang still.
„In Ordnung“, sagte er dann.









What if... (Dramione) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt