Nächtliches Gespräch

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„Du kriegst dein Grinsen ja gar nicht mehr aus dem Gesicht“, sagte Neville amüsiert beim Mittagessen zu ihr.
„Ja, es war eine sehr erfolgreiche Woche“, bestätigte Hermine.
Es stimmte.
Sie hatte schon immer viel positive Resonanz seitens der Lehrkräfte erfahren, aber momentan ging ihr der Unterricht so leicht von der Hand, dass ihre Leistungen noch herausragender waren als die Jahre zuvor.
Sie konnte kaum glauben, dass der Oktober bereits vor der Tür stand, die Zeit verging wie im Fluge.
„Wie du dieses ganze Hausaufgabenpensum schaffst, noch zusätzliche Aufsätze schreibst und nebenbei noch die Zeit findest, Nachhilfe zu geben, ist mir ein Rätsel“, bemerkte Neville.
„Ich gebe keine Nachhilfe, Neville“, korrigierte sie geduldig. „Ich helfe den Erst- und Zweitklässlern nur ab und an.“
Ein wenig untertrieben war das schon. Zwar half sie den Hufflepuff- und Gryffindor-Erstklässlern nur noch einmal wöchentlich, da diese mittlerweile sehr selbstständig arbeiteten, aber die Slytherin-Jungs aus der Zweiten hatten tatsächlich einen recht großen Nachholbedarf, so dass sie zwei- bis dreimal in der Woche zusammensaßen. Auch sie machten bereits große Fortschritte.
„Ja, es war wohl eine Weile Hauptthema bei den Slytherins“, sagte Neville beiläufig.
„Was?“, fragte Hermine perplex.
„Hm, na dass du einigen aus ihrem Haus Nachhilfe gibst“, spezifizierte Neville.
„Woher weißt du das?“
Neville runzelte die Stirn.
„Dass du einigen Zweitklässlern aus Slytherin Nachhilfe gibst? Na, das hast du mir doch selbst erzählt und ich habe euch auch in der Bibliothek-“
„Nein, ich meine, woher du weißt, dass sie darüber reden?“
„Hat Zabini mir erzählt.“
Hermine starrte ihn an.
„Wie bitte?“
Neville erwiderte ihren Blick irritiert.
„Was denn?“
„Wieso weißt du es von Zabini?“
„Weil ich mit ihm geredet habe“, erklärte Neville schulterzuckend.
„Du hast mit Zabini geredet?“
„Ja, wieso?“
Hermine schwieg einige Sekunden irritiert.
„Naja, weiß nicht, es ist eben Blaise Zabini...“, sagte sie, weil ihr keine wirklich kluge Erwiderung einfiel.
„Ja, war auch mein erster Gedanke, als wir ins Gespräch kamen. Aber dann war es eigentlich ein ganz nettes Gespräch. Wusstest du, dass er sich sehr gut mit Heilkräutern auskennt?“
„Äh... nein?“
„Ich auch nicht. Nott und Malfoy wohl auch, meinte er. Malfoy, weil er sich sehr für Zaubertränke interessiert, meinte Zabini, da werden ja auch etliche Kräuter benötigt, und Nott... Naja, der soll wohl sowieso ziemlich wissbegierig sein, wusste ich gar nicht.“
„Ach?“, machte Hermine tonlos, da sie nicht so genau wusste, was sie dazu sagen sollte.
„Ja. Naja, jedenfalls, man kann echt normal mit ihm reden, mit Zabini, meine ich. Klar, er wirkt immer ein bisschen hochnäsig, aber was will man auch erwarten von jemandem, der mit einem goldenen Hintern geboren wurde.“
Hermine prustete los.
„Oh Merlin, Neville, du bist manchmal echt großartig“, japste sie und wischte sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel.




„Das ist sehr gut geschrieben, Cassius“, lobte Hermine und reichte dem Zweitklässler sein Pergament.
Wie immer reagierte der Slytherin auf ihr Lob mit einem nahezu bösen Blick in ihre Richtung.
Eine weitere Woche Nachhilfe mit den Slytherin-Jungs war ins Land gezogen, als eines nachmittags, als sie gerade leise mit Milo, Jasper und Keno lernte, ihre Freunde an ihrem Tisch auftauchten – Hermine war durchaus aufgefallen, dass Nathanael Cassius am Arm zum Tisch zog – und Nathanael fragte, ob sie doch mitmachen könnten. Sie hätten bemerkt, wie sehr sich die Noten der anderen verbessert hatten und wären daher froh über Hilfe.
Hermine fand, dass Cassius so aussah, als würde er lieber einen Knallrümpfigen Kröter küssen als sich von ihr Nachhilfe geben zu lassen, aber zumindest protestierte er nicht.
Seitdem saßen die beiden mit am Tisch und lernten. Nathanael war hochmotiviert, manchmal aber mit den Gedanken woanders, wie Hermine bemerkte, und Cassius guckte bei jedem Treffen so finster, als würde er zu seiner eigenen Hinrichtung geführt. Sie lobte ihn besonders viel und war ausgesucht freundlich zu ihm, aber beides schien einfach an ihm abzuperlen und er warf ihr nur ab und an bitterböse Blicke zu.
Sie fragte sich, ob ihm sein Hass gegen sie – oder gegen Gryffindors an sich oder gegen Muggelgeborene allgemein – von seinem Elternhaus eingeimpft worden war. Und sie fragte sich, woher sein Hang kam, ständig Regeln zu verletzen, denn Milo hatte Recht, wie sie schnell herausfand: Cassius bekam tatsächlich sehr häufig Strafarbeiten oder musste nachsitzen.
Und manchmal, ja manchmal fragte sie sich, was sie tun konnte, um dem Jungen zu zeigen, dass seine Vorurteile nicht berechtigt waren. Vielleicht schaffte sie dies, indem sie einfach weiterhin freundlich blieb, auch wenn er unfreundlich war? Vielleicht half nur Geduld?
Denn derzeit fragte sie sich, ob aus ihm eines Tages ein zweiter Malfoy werden würde.
Nach wie vor konnte sie sich nicht vorstellen, dass Malfoy seine Vorurteile jemals ablegen würde.
Und sie wünschte sich für diesen Jungen, dass er nicht in solche Fußstapfen treten würde.








What if... (Dramione) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt